Olympia-Piste 2018Bernhard Russi und der magische Baum
Die Speed-Cracks befahren in Südkorea Neuland. Ein Schweizer kennt die Olympia-Strecke für 2018 in- und auswendig: Pistenarchitekt Bernhard Russi.
Die Eckdaten der Strecke: Sie ist 2,852 km lang (zum Vergleich: die Lauberhorn-Abfahrt ist 4,480 km lang) und weist einen Höhenunterschied von 825 Metern auf. Der Start befindet sich auf 1370 Metern über Meer, das Ziel auf 545 m ü.M. Es ist davon auszugehen, dass der Kurs trotz vier Sprüngen nicht das ganz grosse Spektakel garantiert. Die richtig steilen Passagen fehlen, eine eigentliche Mutprobe gibt es nicht; überwinden müssen sich die Fahrer nirgends.
Russi weiss um die Thematik und hat eine Reaktion angekündigt. Eine direktere Linienwahl bei der Kurssetzung etwa oder weitere Erdarbeiten im Bereich der Sprünge sollen zur Attraktivitätssteigerung beitragen.
Eine statt zwei Pisten
Ursprünglich waren es zwei Pisten, für die Russi eine Lösung suchte. Der Plan, für Männer und Frauen eigene Strecken zu bauen, musste aber verworfen werden. Im Verlauf der drei Kandidaturen Pyeongchangs für die Ausrichtung von Winterspielen war der obere Teil des Berges zur Schutzzone erklärt worden. Umweltschützer hatten sich für den Erhalt einer seltenen Baumart stark gemacht.
Besagte Bäume stehen vor allem dort, wo die Frauen-Strecke vorgesehen war. «Ich spürte, dass wir den Aktivisten entgegenkommen und einen Kompromiss finden mussten», erinnert sich Russi. «Noch am selben Abend wurde vereinbart, lediglich eine Piste zu bauen.» Mit Ausnahme eines rund 300 Meter langen Abschnitts ist die Strecke für Männer und Frauen nun identisch.
Breiter als anderswo
Weitere Kompromisse hatte Russi nicht einzugehen. «Ich konnte das bauen, was ich mir vorgenommen hatte.» Die einzige Abweichung betraf die Traverse kurz nach dem Start, zurückzuführen auf ein kleines Missverständnis. Die einheimischen Arbeiter hatten Russis Vorgabe nicht wie gewünscht umgesetzt. Einfluss auf den Streckenverlauf nahm das Versehen allerdings keinen.
Mehr fällt die mehrfach überdimensionierte Breite der Strecke auf. Russi klärt auf. «Ich plane jede Passage auf hundert Prozent Breite, lasse vorerst aber nur die Hälfte davon bauen, so dass ich auf jeder Seite Spielraum habe. An besagten Stellen wurde die Schneise von Anfang an aber auf eine Breite von über hundert Prozent geschlagen.»
Die Abfahrts-Strecke in der Video-Grafik. (Quelle: Streamable)
Russi und der «Magic Tree»
Für die engagierte Firma war es ein attraktives Geschäft. Mit dem gefällten Holz liess sich ganz schön Geld verdienen. Der bekannteste Baum im Gebiet, «Magic Tree», blieb von der Profitgier verschont. Für die Rettung des Baums brachte Russi sogar Änderungen an. «Der Baum beeindruckte mich. Ich machte mir meine Gedanken.»
Das allein hätte wohl nicht gereicht, um das Entfernen des magischen Baums zu verhindern. Es ist eine Sage, die den Fortbestand sicherte. Erzählt wird die Geschichte von Frauen, die erst schwanger wurden, nachdem sie eine Nacht bei «Magic Tree» verbracht hatten.
Tritt Défago in Russis Fussstapfen?
Dieser Tage kann Russi zum zweiten Mal auf die Dienste von Didier Défago zählen. «Im vergangenen Sommer waren wir schon einmal gemeinsam vor Ort», erzählt Russi weiter. Diesmal hat Défago eine Doppelfunktion inne. Er stellt sich auch als Testfahrer zur Verfügung – für Russi eine absolute Luxuslösung. «Mit seiner Erfahrung ist er vor allem für den Kurssetzer (Hannes Trinkl, den Verantwortlichen der FIS für den Speed-Bereich, Red.) extrem wichtig.»
Ob Défago, der wie Russi eine Lehre als Hochbauzeichner absolviert hat, ihm in der Rolle des Pistenarchitekten folgen wird? «Ich habe mir vor längerer Zeit Gedanken darüber gemacht, wer nach mir diese Aufgabe übernehmen könnte. Mit Didier (Défago) habe ich vor zwei Jahren schon lose darüber diskutiert. Auf jeden Fall hat er nicht gleich abgewinkt.»
Nächster Halt: Peking
Einen zeitlichen Rahmen für seinen Abgang hat sich Russi nicht gesteckt. «Diesbezüglich bin ich kein grosser Planer.» Planen wird er vorläufig weiterhin im Sold der FIS. Mit der Abfahrtspiste für die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking steht die nächste Aufgabe bevor. (sda)