Kokain: Martina Hingis tritt zurück

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Kokain: Martina Hingis tritt zurück

Martina Hingis liess heute an einer Pressekonferenz den Tränen nahe eine Bombe platzen: «Ich stehe unter dem Verdacht, mit Kokain gedopt zu haben», sagte die Trübbacherin in Zürich vor Journalisten. Zudem gab sie ihren Rücktritt bekannt.

Bei Blitzlichtgewitter trat Martina Hingis in Zürich vor Kameras und Mikrofone. Der Rücktritt einer der grössten Schweizer Sportlerinnen aller Zeiten war erwartet worden. Aber Hingis liess eine weitere Bombe platzen: Sie steht unter Dopingverdacht.

Martina Hingis (27) verlas eine persönliche Erklärung. Dabei standen ihr Tränen in den Augen. Am 29. Juni in Wimbledon bei der Zweitrunden-Niederlage gegen Laura Granville (4:6, 2:6) soll sie gedopt gewesen sein. Sowohl in der A- wie in der B-Probe wurden Spuren von Kokain nachgewiesen. Hingis bestreitet aber, jemals Kokain geschnupft zu haben. Sie hätte Angst vor Drogen, niemals zu Drogen gegriffen.

Die Fakten hingegen sagen anderes. Im Urin von Hingis wurde Koks nachgewiesen. Mitte September, also zweieinhalb Monate nach der Kontrolle, wurde Hingis das Resultat der A-Probe schriftlich mitgeteilt. Mittlerweile wurde im Labor in Montreal auch die B- Probe untersucht; sie ergab das gleiche positive (für Hingis negative) Ergebnis. Als Hingis im September erfuhr, dass sie unter Dopingverdacht stand, gab sie umgehend eine Haarprobe ab. Das Ergebnis der Haarprobe sei «natürlich negativ» gewesen, erklärte die langjährige Nummer 1 der Welt. Die Haarprobe hilft ihr dennoch nicht im geringsten: Zum einen werden Haarproben von Sportverbänden und der Dopingkommission des IOC nicht anerkannt, zum anderen, so der Schweizer Olympiaarzt Dr. Beat Villiger, «widerlegt das Resultat der Haarprobe die positive Kontrolle in keiner Weise».

Naheliegend wäre also, dass Martina Hingis irgendwann vor dem Wimbledonturnier mal gekokst hat - nicht um zu dopen, sondern um die Lifestyle-Droge zu probieren. Diese Art von Doping liesse sich als Kavaliersdelikt abkanzeln, ähnlich wie bei Cannabis-Doping, welches in der Schweiz mit sechsmonatigen Sperren geahndet wird. Hingis bestreitet aber jeglichen Kokain-Konsum aufs heftigste. Sie bemühte sogar die unbekannte Dritte, welche ihr heimlich Kokain ins Getränk gemixt haben könnte. Die Anschuldigung, sie hätte Kokain konsumiert, bezeichnete Martina Hingis als unglaublich und völlig abwegig. Mit den Worten «Ich habe nie Drogen genommen», beendete Hingis ihre Erklärung.

Lässt sich mit Kokain denn überhaupt eine Leistungssteigerung erreichen? Die überraschende Antwort von Experten lautet: ja, insbesondere im Tennis. Kokain kann bei Zeitumstellungen (Jetlag) helfen, es fördert Selbstvertrauen und kann eine künstliche Euphorie erzeugen. Mats Wilander, der wie Hingis ebenfalls die Nummer 1 der Welt war, wurde 1995 wegen Kokain-Dopings gesperrt.

Zumindest im Fall von Hingis hätte das Kokain aber in jeder Beziehung versagt: Die Niederlage gegen Laura Granville, die Nummer 77 der Welt, war Hingis' schlechtestes Resultat seit einem 2:6, 2:6 im Oktober 2002 gegen Nadia Petrowa, die damals nur die Nummer 145 der Welt war. Seit dem Comeback im Januar 2006 hatte Hingis gegen alle Gegnerinnen von ausserhalb der Top-50 des Rankings stets gewonnen.

Noch steht Hingis nur unter Verdacht. Der Fall ist noch nicht offiziell. Die Ergebnisse der beiden Proben liegen zwar vor, es gebe aber, so Manager Mario Widmer, durchaus Ungereimtheiten. Eine Kommission des internationalen Tennisverbandes entscheidet in den nächsten Wochen oder Monaten, ob es zu einer Dopinganklage kommt. Und gemäss dem englischen Anwalt von Hingis sei die Möglichkeit gross, dass der Fall fallengelassen werde.

Wird der Fall aber weitergezogen, wird Martina Hingis nicht - wie Guillermo Cañas - alle Mittel und Hebel in Bewegung setzen, um ihren Ruf zu säubern. Hingis: «Derartige Fälle ziehen sich über Jahre hinweg. Ich habe absolut keine Lust, mich in den nächsten Jahren mit Doping-Offiziellen herumzuschlagen.» 1000 Dollar pro Stunde verlangt ein Anwalt heutzutage, wenn es um Doping im Sport geht. Guillermo Cañas kostete sein Teilerfolg, eine Reduzierung der Dopingsperre von 24 auf 15 Monate, eine Million Dollar.

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Die grössten Erfolge

Hingis gewann in ihrer Profikarriere 43 Titel im Einzel und 37 im Doppel. Insgesamt verdiente sie mehr als 20 Millionen Dollar Preisgeld und ein Vielfaches davon als Werbeträgerin. Hingis debütierte 1994 in Zürich als 14-Jährige auf der WTA-Tour. Am 31. März 1997 übernahm das Jahrhundert-Talent als jüngste Spielerin aller Zeiten die Führung in der Weltrangliste. Hingis war damals 16 Jahre, 6 Monate und einen Tag alt. In jenem Jahr gewann sie das Australian Open, Wimbledon und das US Open und stand ausserdem im Final des French Open. In Melbourne setzte sie sich auch 1998 und 1999 durch. 2003 trat Hingis wegen chronischer Fussprobleme erstmals zurück. Anfang 2006 gab sie ein vielbeachtetes Comeback, stiess im Ranking noch einmal bis in den 6. Rang vor und gewann bis zu ihrem wohl endgültigen Rücktritt noch drei Turniere.

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