«Falls sie Kokain nahm, war es Naivität»
Bei Swiss Olympic ist man konsterniert über den schweren Kokain-Verdacht, der über dem nunmehr ehemaligen Schweizer Tennis-Star Martina Hingis lastet. Die Haarprobe, mit der die Sportlerin den Gegenbeweis antreten will, dürfte wertlos sein.
Für André Vonarburg, Athletenvertreter bei der Dopingbekämpfungsstelle von Swiss Olympic, ist die Nachricht ein Schock. Erst von 20minuten.ch erfährt er von der Bombe, die Martina Hingis heute in Zürich platzen liess.
«Das ist mir unverständlich und erschreckend. Ich bin vor den Kopf gestossen», ist die erste Reaktion des Schweizer Ruderers. «Ich kann auch nicht nachvollziehen, wieso Martina Hingis Kokain nehmen sollte.» Er schätzt Kokain als Mittel zur Leistungssteigerung für Sportler als kontraproduktiv ein.
«Die Tests sind sicher»
«Falls sie es genommen hat, dann aus Naivität», so Vonarburg. «Die Labore arbeiten seriös. Wenn A- und B-Probe positiv sind, stellt sich schon die Frage, wie das Kokain in die Probe reingekommen ist.» Und: Wenn nicht nur die A-Probe sondern auch die B-Probe positiv sei, dann stimme der Befund mit grosser Sicherheit.
Dieser Meinung ist auch der Pharmazeut bei der Dopingbekämpfungsstelle von Swiss Olympic, Hans-Peter Grünig. «Die Tests sind sicher. Da sollte kein Fehler passieren.» Egal wie Kokain aufgenommen wird, ob durch Nasenscheidewand oder - wie Martina Hingis an der Pressekonferenz mutmasste - unabsichtlich oral eingenommen wird: Bei der Ausscheidung im Urin kann die Droge mit grosser Sicherheit nachgewiesen werden. Für den Haartest, den Hingis selbst angefertigt haben will und der laut der Sportlerin negativ ausgefallen sei, hat man bei Swiss Olympic keine Erklärung.
Haarprobe wertlos
Den Versuch von Hingis, das Ergebnis der beiden Dopingproben mit einem negativen Haartest anzuzweifeln, schätzt Swiss-Olympic-Chefarzt Dr. Beat Villiger als wertlos ein. Villiger: «Mit dem negativen Haartest kann Martina Hingis nur beweisen, dass sie nicht chronisch kokste», erklärte der Direktor des Paraplegiker-Zentrums Nottwil auf Anfrage.
Hingis ordnete Mitte September - über zwei Monate nach dem positiven Befund in London - eine Haarprobe an. Koksspuren waren keine mehr vorhanden, was bei gelegentlichem Konsum gemäss Villiger nicht unüblich ist. Die missbräuchliche Einnahme der «Partydroge» war früher vor allem im nordamerikanischen Basketballsport weit verbreitet.
«Droge der High Society»
«Kokain ist die angesagte Droge in der High Society», glaubt Vonarburg. Eine Feststellung, die auch der französische Suchtexperte Dr. William Lowenstein, Mitglied des Rates zur Prävention und Kampf gegen Doping (CPLD), gegenüber der Zeitung «Le Monde» bestätigte: «[Kokain hat] ein Image, das an Stars und an Publicity gebunden ist. Ein Gewinner-Image, das beispielsweise Heroin nicht hat. Kokain gehört zum Nachtleben und zum Showbiz, Milieus, in welche die Sportler immer häufiger eingeladen werden. Man stellt auch eine Annäherung an die Model-Welt fest, in der Kokain eine der am häufigsten konsumierten Substanzen ist.»
«Kokain hilft, extreme Situation zu ertragen»
Wieso sollte ein Sportler Kokain nehmen? Dr. Lowenstein: «Konsumenten beschreiben Dynamik, Euphorie, Verringerung von Müdigkeit, aber auch das Gefühl der Allmacht als positive Eigenschaften der Droge. Kokain macht einen im Kopf zum Helden, der die anderen wegfegt. Kokain gibt einem die Fähigkeit, andere zu dominieren, Hemmungen anderen gegenüber zu verlieren. Es hilft, extreme Situationen zu ertragen.»
Martina Hingis im Originalton:
(Video: AP)
Aurel Stevens, 20minuten.ch