Boxkommentator Werner Kastor«Armut, Arbeitslosigkeit, Drogensüchtige, Bordelle - auch das ist die Schweiz»
Der WM-Kampf zwischen Evander Holyfield und Nikolaj Walujew in Zürich sei ein Glücksfall für die Schweiz. Das sagt einer, der es wissen muss: Werner Kastor, der wohl bekannteste Boxkommentator.
Werner Kastor ist der wohl bekannteste Boxkommentator im deutschsprachigen Raum. Seine markigen Sprüche sind bis weit über die Szene hinaus bekannt und brachten ihm bereits Auszeichnungen zum besten Boxkommentator ein. Auch im Interview mit 20 Minuten Online hält sich der Eurosport-Mann nicht zurück.
20 Minuten Online: Was halten Sie von «Opa-Holyfield»?
Werner Kastor: Holyfield ist ein fantastischer Boxer, aber auch er kann die Zeit nicht anhalten oder gar zurückstellen. Er hat bereits viermal die WM im Schwergewicht gewonnen und will als erster zum 5. Mal Weltmeister werden. Gut, wenn er gewinnt, beweist er, dass die gegenwärtige Weltspitze nichts taugt. Verliert er, beweist er, was alle sagen. Wenn Henry Maske mit 43 noch boxen kann, warum sollte es Holyfield nicht mit 45 tun. Er hat bisher immer einen eisernen Willen und enorme Disziplin bewiesen.
Und sein Gegner, der Riese Walujew?
Ein sehr unterschätzter Boxer. Er ist natürlich nicht die grösste Schönheit, aber das darf man weder dazu benutzen, um ihn als Zirkusnummer zu vermarkten, noch darf man ihm, weil er so vermarktet werden kann, das Boxen untersagen. Er hat inzwischen bewiesen, trotz seiner dürftigen Leistung gegen Larry Donald, dass er mit den Weltklasseleuten des Schwergewichts durchaus im Ring stehen kann. Dummerweise stellt sich bei vielen Leuten das David-Goliath-Syndrom ein, wenn sie Walujew boxen sehen. Er ist aufgrund seiner Hormonerkrankung so geworden wie er ist, das schmälert seine Leistung nicht, aber ein Hauch von Tragik ist schon dabei, wenn man die gnadenlose Perzeption des Boxers Walujew mitverfolgt.
Können Sie diesen Kampf als WM-Kampf gelten lassen?
Nein. Vitaly Klitschko ist der Mann, der zu besiegen ist, um sich Weltmeister nennen zu können. Er hat dem letzten Meister aller Klassen und wichtigen Verbände, Lennox Lewis, einen grossartigen Kampf geliefert. Ich habe noch keinen aktiven Boxer gesehen, der besser ist als er damals war.
Sind solche Kämpfe gut für den Boxsport?
Es kommt darauf an, wie sie verkauft werden. Sind die Argumente ehrlich, gibt es kein Problem.
Was halten Sie vom Austragungsort Zürich?
Sehr viel. Die Schweiz wird im Ausland viel zu häufig in Klischeebegriffen verstanden. Da geht es unter, dass es auch in der Schweiz, ob man will oder nicht, Armut, Arbeitslosigkeit, Drogensüchtige, Bordelle und alles andere gibt, was zum Leben gehört. Die Schweiz besteht eben nicht nur aus Banken, Toblerone und der FIFA. Regional basiertes Berufsboxen könnte einen Beitrag dazu leisten, die Sicht der Ausländer auf die Schweiz zu normalisieren.
Was halten Sie vom Trend der Monsterisierung im Kampfsport (Bob Sapp, Semmy Schilt, Choi Hong-man usw.)?
Wegen dieser Entwicklung bin ich ja so sehr vom K1 enttäuscht. Anfangs habe ich mich ja auch faszinieren lassen. Aber dann wurde mir klar, da wurde geschummelt (plötzlich kämpfte der «Weisse Büffel» aus Südafrika für Stefan Leko im Halbfinale des Grand Prix in Japan), da werden Schaueffekte eingebaut, die nichts mit Sport zu tun haben. Abgesehen von Bob Sapp ist der japanische Sumoriese zu nennen, den man zu K1 gebracht hat und auch die Tatsache, dass jemand wie Franz Botha, der reiner Boxer ist, sich da verlustieren darf. Es geht nur um Vermarktung, das ist das Problem. Sport und Vermarktung das ginge ja noch, aber ohne Sport bringt auch die beste Vermarktung nur Betrug.
Wer wird gewinnen?
Walujew!