Verfolgung«Diesen Männern macht es Spass, anderen Angst einzujagen»
Zahlreiche Frauen erzählen auf Twitter von Vorfällen, in denen sie von fremden Männern verfolgt wurden. Drei Experten erklären, wieso es zu solchen Übergriffen kommt.
Darum gehts
Journalistin Nadine Brügger schilderte auf 20 Minuten ihre Erfahrungen mit einem Mann, der sie beim Wandern verfolgte. Inzwischen wurde ihr Beitrag fast mehr als 600 Mal geteilt. Unter dem Hashtag #istpassiert veröffentlichen Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, ihre Geschichten. Auch auf einen Aufruf von 20 Minuten haben sich innerhalb kürzester Zeit viele Frauen gemeldet, die schon einmal von einer fremden Person verfolgt oder gestalkt wurden.
Laut Helena Trachsel von der Fachstelle für Gleichstellung Zürich gibt es verschiedene Gründe, wieso Männer Frauen verfolgen. «Fast immer ist Machtdemonstration das Ziel: Die Männer, die so etwas tun, überschreiten ungefragt die Grenze einer anderen Person. Dadurch zeigen sie: Ich bestimme jetzt die Distanz, egal, ob du dich dabei wohlfühlst oder nicht. Das gibt ihnen ein Gefühl von Bestätigung und Kontrolle.» Ein Nein werde nicht akzeptiert. «Es macht ihnen Spass, zu sehen, wenn sich andere unwohl fühlen. Sie wollen schauen, wie weit man Grenzen austesten kann.»
«Fremden Personen nachts genügend Raum geben»
Es gebe auch andere Hintergründe: «Ein Mann kann sich auch aus reinem Interesse einer Frau nähern und nicht realisieren, dass sein Verhalten die Frau verängstigt», sagt Trachsel. Es brauche deshalb eine tiefgehende Sensibilisierung in der Gesellschaft: «Die Grenzen anderer Personen müssen erkannt werden. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass man in gewissen Situationen im öffentlichen Raum auf fremde Menschen furchteinflössend wirken kann.»
Deshalb sei es wichtig, fremden Personen gerade nachts genügend Raum zu geben: «Um Frauen ein sichereres Gefühl zu geben, kann man etwa genügend grossen Abstand wahren oder zum Überholen die Strassenseite wechseln.»
Zivilcourage von beiden Geschlechtern sei gefragt
Ausserdem soll man eingreifen, wenn man einen Zwischenfall beobachtet, bei dem sich eine Person offensichtlich unwohl fühlt: «Man kann der Betroffenen seine Hilfe anbieten, den Belästiger zurechtweisen oder die Polizei verständigen.» Dazu raten auch die kantonalen Polizeikorps.
Das gilt laut Trachsel für beide Geschlechter: «Auch Männer können verfolgt werden, auch wenn dies sehr viel seltener vorkommt als bei Frauen. Beobachtet man Übergriffe und Belästigung, sind Zivilcourage und Solidarität von beiden Geschlechtern gefragt.»
«Man soll unbedingt Anzeige gegen Unbekannt erstatten»
Trachslers Erfahrung nach herrscht bei vielen Männern ein Bewusstsein für die Problematik. «Es ist eine Minderheit von Personen, die solche Übergriffe tätigen.» Betroffenen Frauen rät sie, Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten: «Damit werden Übergriffe in die Statistiken aufgenommen. Wenn es in der gleichen Region viele Meldungen gibt, kann die Polizei reagieren, zum Beispiel mit vermehrten Streifzügen oder verbesserter Infrastruktur.»
«Zurückweisung trifft sie in ihrer Männlichkeit»
«Es gibt immer wieder Männer, die Mühe haben, ein Nein zu akzeptieren», sagt auch Mike Mottl, Geschäftsführer des mannebüro Züri: «Es trifft sie in ihrer Männlichkeit, eine Zurückweisung zu bekommen.» Auch er spricht von Macht: «Der Mann weiss genau, dass die Frau Angst hat. Das ist eine typische Problemerscheinung von tradierter Männlichkeit, bei der Männer in alten Rollenbildern denken.»
Als Mann solle man versuchen, sich in die Situation einer Frau zu versetzen, die alleine unterwegs ist, ergänzt Christoph Gosteli, Männer- und Gewaltberater beim mannebüro: «Mitdenken, mitfühlen, den Frauen zuhören. Eigene Verhaltensweisen kritisch hinterfragen. Uns Männern ist oft nicht bewusst, in was für schwierigen Situationen sich Frauen wiederfinden können.»
Nicht zuletzt dank #MeToo haben viele Männer ein grösseres Bewusstsein entwickelt, so Mottl: «Noch ist das leider nicht bei allen angekommen. Wir müssen davon wegkommen, dass es ein Problem der Frauen ist, sondern dass das Problem in der Verhaltensweise von Männern liegt.»
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