Hormonelle VerhütungSo gefährlich sind die neuen Antibabypillen
Orale Verhütungspräparate der neusten Generation weisen ein höheres Thrombose-Risiko auf als ältere Kontrazeptiva. Trotzdem raten Mediziner von einem übereilten Wechsel auf eine andere Pille ab.
Gut 50 Jahre ist es her, da erlebte die Pille ihren Durchbruch. Seither wird das orale Kontrazeptivum kontinuierlich weiterentwickelt, um unerwünschte Nebenwirkungen von der Gewichtszunahme bis hin zu schwerwiegenderen gesundheitlichen Komplikationen zu verhindern. Doch von all ihren Kinderkrankheiten ist die Pille auch heute noch nicht befreit: «Wenn 10 000 Frauen kombinierte Kontrazeptiva mit niedriger Östrogendosis während eines Jahres einnehmen, ist gemäss einer grossen Langzeitstudie bei acht bis zehn Frauen mit einer venösen Thromboembolie zu rechnen», heisst es in einer Publikation des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic. Zum Vergleich: Bei 10 000 Nichtanwenderinnen, welche nicht schwanger sind, tritt während eines Jahres bei vier bis fünf Frauen eine venöse Thromboembolie auf.
Um nicht ungewollt schwanger zu werden, nehmen in der Schweiz mehrere hunderttausend Frauen die Pille. Rund 100 000 dieser Anwenderinnen greifen dabei auf Yasmin zurück, ein orales Kontrazeptivum mit Drospirenon, einem Gelbkörperhormon der 4. Generation. Seit dem Jahr 2000 sind Antibabypillen mit diesem Gelbkörperhormon - auch Gestagen genannt - auf dem Markt.
Die Pille für Haut und Haar
Gegenüber Gestagenen früherer Generationen verfügt das noch relativ neue Drospirenon über einen grossen Vorteil: «Drospirenon hat einen Einfluss auf die männlichen Hormone, die bei Frauen Hautprobleme wie Akne oder Haarausfall verursachen können», erläutert die Medizinerin Gabriele Merki, Leiterin Kontrazeption und Adoleszenz in der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie des Universitätsspitals Zürich. Auch Wassereinlagerungen, die durch die Einnahme anderer Pillen häufiger auftreten, liessen sich der Ärztin zufolge mit Drospirenon vermeiden. Zudem gelte dieses Gestagen als «gut verträglich».
So weit, so gut, wären da nicht zwei Fall-Kontrollstudien, die nach ihrer Publikation Ende April im renommierten British Medical Journal aufhorchen liessen. Beide Studien kamen zum Schluss, dass das Risiko, eine venöse Thromboembolie (VTE) zu erleiden, unter Drospirenon grösser ist als bisher angenommen - auch wenn derartige Komplikationen grundsätzlich äusserst selten auftreten. Die Forscherin Susan Jick analysierte mit ihrem Team von der Boston University School of Medicine Krankenakten der General Practice Research Database, GPRD. Dabei stellten die Wissenschaftler das VTE-Risiko unter Drospirenon-Präparaten dem VTE-Risiko unter Levonorgestrel, einem Gestagen der 2. Generation, gegenüber. Ihre Untersuchungen ergaben, dass das VTE-Risiko unter Drospirenon gegenüber einer Anwendung mit levonorgestrel-haltigen Präparaten um den Faktor 3,3 erhöht ist.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Lianne Parkin von der Universität von Otago in Neuseeland und ihre Kollegen: Sie ermittelten anhand von US-Abrechnungsdaten ein um das 2,3-Fache erhöhtes Risiko.
Bayer hält an Drospirenon fest
Bei Bayer, der Herstellerin der Drospirenon-haltigen Pille «Yasmin», stellt man die Aussagekraft der Studien von Jick beziehungsweise Parkin in Frage: «Die von den Autoren in beiden Studien verwendete Methodik und die zugrunde liegenden Datenbanken werfen erhebliche Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit der Ergebnisse und der Schlussfolgerungen der Autoren auf», sagt Bayer-Sprecherin Friederike Lorenzen im Rahmen einer Stellungnahme gegenüber 20 Minuten Online.
Nach bisherigen wissenschaftlichen Analysen der Studien sei man beim Pharmakonzern der Auffassung, dass die Publikationen der beiden Forscherinnen weniger verlässliche Schlussfolgerungen zuliessen als die vorhandene, umfassende und aussagekräftige Datenbasis zum Risiko von venösen Thrombosen/Throboembolien (VTE), also von Blutgerinnseln, unter der Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva. Bayer bekräftige seinen wissenschaftlichen Standpunkt, dass das VTE-Risiko unter Drospirenon-haltigen kombinierten oralen Kontrazeptiva vergleichbar sei mit dem VTE-Risiko unter anderen kombinierten oralen Kontrazeptiva - einschliesslich solcher mit Levonorgestrel.
Klinische Daten aus mehr als 15 Jahren und die Ergebnisse von Postmarketing-Sicherheitsstudien aus bis zu zehn Jahren belegten laut Lorenzen, dass das Risiko für eine VTE bei allen untersuchten niedrigdosierten kombinierten Pillenpräparaten vergleichbar sei - und dazu gehörten auch Kombinationspräparate mit Drospirenon und Levonorgestrel.
Swissmedic analysiert Studien
Haltlos erscheinen die Resultate der Studien von Lianne Parkin und Susan Jick den Arzneimittelbehörden offenbar nicht: Während die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) zurzeit eine Sicherheitsprüfung durchführt, werden in Europa bereits die Fachinformationen für Drospirenon-haltige Präparate geändert, wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet. Auch Swissmedic reagiert auf die Erkenntnisse der Untersuchungen von Jick/Parkin: «Die erwähnten Studien sind Swissmedic bekannt und werden zurzeit analysiert», sagt Pia Caduff-Janosa von der Abteilung Arzneimittelsicherheit. Die Produkt-Informationen der hormonalen Kontrazeptiva würden gegenwärtig auch beim Schweizerischen Heilmittelinstitut angepasst.
Die Situation bewirkt bei den Anwenderinnen von Drospirenon-haltigen Pillen vor allem eines: Verunsicherung. Sollten Frauen, die ein solches Kontrazeptivum verwenden, nach aktueller Sachlage also vorsichtshalber auf eine Pille mit einem anderen Gestagen umstellen? «Das ist keine sinnvolle Massnahme», sagt Gabriele Merki und ergänzt, dass eine erhöhte Thrombosegefahr «hauptsächlich während der ersten Einnahmemonate» bestehe, danach sinke das Risiko deutlich. Da orale Kontrazeptiva eine Kombination der Hormone Östrogen und Gestagen beinhalten, könne es beim Beginn der Einnahme der Pille zu einem Ungleichgewicht im Blutgerinnungssystem und zu einer Thrombose kommen. «Gefährlich ist das für Frauen, die unter einer Grunderkrankung leiden. Aus diesem Grund ist das Gespräch zwischen Gynäkologen und Patientin vor dem Verschreiben der Pille sehr wichtig», betont die Expertin.
Raucherinnen und Übergewichtige besonders gefährdet
Wichtig sei gemäss der Medizinerin deshalb, die Anzeichen richtig zu deuten: «Angeschwollene oder schwere Beine können auf eine drohende Thrombose hinweisen. Auch bei sehr starken Kopfschmerzen, die man zuvor nie hatte, sollte man unbedingt den Arzt kontaktieren.»
Insbesondere bei einer familiären Thrombosebelastung oder wenn man selbst schon eine Thrombose erlitten habe, müsse man sich des Risikos bewusst sein. Selbiges gelte, so Merki, auch für Frauen, die unter einer Migräne mit Aura (Schlaganfall-Risiko) oder erhöhten Cholesterinwerten leiden, sowie für Übergewichtige und Raucherinnen ab einem Alter von etwa 35 Jahren. Diese Patientinnengruppe sollte eher auf die Einnahme kombinierter Pillen verzichten.
Gestagene
Erste Generation:
Norethisteron, Lynestrenol
Zweite Generation:
Levonorgestrel
Dritte Generation:
Gestoden, Desogestrel, Norgestimat
Vierte Generation:
Drospirenon
Stichwort Pille
Die Antibabypille ist eine beliebte Verhütungsmethode: Schätzungsweise rund 500 000 Frauen in der Schweiz nehmen orale Kontrazeptiva. Doch das seit Anfang der 60er Jahre erhältliche Hormonpräparat hat Tücken: Zwar wurde die Pille im Laufe der vergangenen Zeiten kontinuierlich weiterentwickelt - doch Nebenwirkungen treten auch bei der neusten Generation niedrig dosierter Präparate auf. Frauen mit Gefässerkrankungen neigen durch die Einnahme der Pille eher zu Thrombosen, Lungenembolien und Schlaganfällen. Raucherinnen gehören ebenfalls zur Risikogruppe.
Ob die Einnahme von Kontrazeptiva die Entstehung von Krebs begünstigt, wurde bereits in diversen Studien untersucht. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Datenlage eher verwirrend: Während für die einen Krebsarten laut dem Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenschaftstransfer das Risiko offenbar sinkt, könnten andere bösartige Erkankungen durch die Einnahme der Pille begünstigt werden.