Wie die Waffennarren den Kampf gewannen

Aktualisiert

Schärfere GesetzeWie die Waffennarren den Kampf gewannen

Zwei Massaker in zwei Wochen erschüttern die USA. Die Befürworter schärferer Waffengesetze sind dennoch chancenlos – zu mächtig ist die Waffenlobby.

von
Peter Blunschi
New York

Für die New Yorker Kongressabgeordnete Carolyn McCarthy war es ein Déja-vu der unerwünschten Art. «Solche Berichte führen zurück an einen Ort, an den die meisten Opfer nicht mehr hinwollen», beschrieb sie in der Polit-Talkshow «Meet the Press» ihre Reaktion auf das Massaker von Aurora. McCarthy kennt diesen Ort: Ihr Ehemann wurde getötet und ihr Sohn schwer verletzt, als ein Amokläufer am 7. Dezember 1993 in einem Pendlerzug das Feuer eröffnete. 6 Menschen starben, 19 wurden verletzt.

Die persönliche Tragödie trieb Carolyn McCarthy in die Politik. 1996 wurde die frühere Hausfrau und Republikanerin für die Demokratische Partei ins Repräsentantenhaus gewählt. Dort profilierte sie sich als lautstarke Befürworterin schärferer Waffengesetze. Seither wurde sie stets wiedergewählt und musste dennoch miterleben, dass sie mit ihrem Anliegen auf verlorenem Posten stand. Denn trotz zahlreicherer Schiessereien und Massaker haben die Befürworter strengerer Gesetze in dieser Zeit laufend an Terrain verloren.

Ein polarisierendes Thema

Daran werden weder das Blutbad vom 20. Juli während einer Mitternachtspremiere des Batman-Films «The Dark Knight Rises» in Aurora noch das Massaker am Sonntag in einem Sikh-Tempel in Oak Creek etwas ändern. In einer Umfrage des Pew Research Center nach Aurora befürworteten nur 47 Prozent eine schärfere Kontrolle des Waffenbesitzes. Nach dem Massaker an einer Highschool in Columbine 1999 waren es noch 66 Prozent. Weshalb sich in einem Wahljahr niemand an dieses heisse (Schiess-)Eisen heranwagt, denn kein Thema neben der Abtreibungsfrage polarisiert die USA mehr als der Waffenbesitz.

Nur wenige Politiker wie Carolyn McCarthy oder der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg wagen es, sich für mehr Kontrollen und Verbote auszusprechen. McCarthy stellte letzte Woche einen Gesetzesentwurf vor, der ein Verkaufsverbot für grosse Mengen Munition über das Internet vorsieht. James Holmes, der Todesschütze von Aurora, hatte rund 6000 Schuss online erworben. «Wenn jemand solche Mengen kauft, sollte man sein Gesicht sehen», betonte McCarthy. Doch selbst dieser Vorstoss dürfte chancenlos sein.

Erfolg für Brady-Gesetz

Wie kommt es, dass trotz blutigen Schiessereien wie in Aurora, Columbine und Oak Creek, an der Hochschule Virginia Tech 2007 (32 Tote) und auf dem texanischen Militärstützpunkt Fort Hood 2009 (13 Tote) der Besitz von Schusswaffen in den USA nicht stärker reguliert wird, dass «die Waffen gewonnen haben», wie das Magazin «Time» in seiner jüngsten Ausgabe schreibt? Die Antwort hängt mit einem der wenigen Erfolge auf diesem Gebiet zusammen, dem 1994 von Präsident Bill Clinton unterzeichneten Brady-Gesetz.

Benannt wurde es nach James Brady, dem ehemaligen Pressesprecher von US-Präsident Ronald Reagan. Als ein geistig verwirrter Ex-Neonazi 1981 ein Attentat auf Reagan verübte, wurde Brady lebensgefährlich am Kopf verletzt. Zusammen mit seiner Frau setze er sich darauf für mehr Kontrollen ein. Das Brady-Gesetz brachte eine Wartefrist von fünf Tagen, damit Waffenkäufer auf Vorstrafen geprüft werden können. Gleichzeitig wurde damals auch ein für zehn Jahre geltendes Verkaufsverbot für halbautomatische Waffen beschlossen.

Waffenlobby macht mobil

Dieser doppelte Durchbruch aber erwies sich als Pyrrhussieg. Denn die Befürworter eines möglichst uneingeschränkten Waffenbesitzes setzten zum Gegenschlag an, allen voran ihre mächtige Lobbyorganisation, die National Rifle Association (NRA). Bill Clinton machte in seiner Autobiographie die NRA dafür verantwortlich, dass die Republikaner 1994 erstmals seit über 60 Jahren die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern konnten. Eine etwas verkürzte Sicht, denn Clinton hatte auch mit ambitionierten Vorhaben (Stichwort Gesundheitsreform) und Steuererhöhungen den Zorn der Wähler provoziert.

Bei der umstrittenen Niederlage von Clintons Vizepräsident Al Gore gegen George W. Bush bei der Präsidentschaftswahl 2000 dürfte das NRA-Lobbying dagegen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Gore hatte sich im Nachgang zum Columbine-Massaker für strengere Waffengesetze ausgesprochen. «Die NRA war mit Sicherheit ein Faktor», sagte Elaine Kamarck, eine damalige Gore-Beraterin, gegenüber «Time».

Ein verlorener Kampf

Die NRA hat in den letzten 30 Jahren ihre Mitgliederzahl fast verdoppelt, von 2,4 auf 4,3 Millionen. In zahlreichen Bundesstaaten wurden die Gesetze so weit gelockert, dass Waffen praktisch überall getragen werden können. Hinzu kamen die kontroversen Notwehr-Gesetze, die bei der Erschiessung des schwarzen Teenagers Trayvon Martin im Februar in Florida Schlagzeilen machten. Die rückläufige Gewaltkriminalität in den USA dient den Waffenfans als Beleg für die Berechtigung ihres Kreuzzugs. Man müsse nur jedem eine Knarre in die Hand drücken, dann werde die Gesellschaft viel sicherer.

Wen kümmert es da, dass die Zahl der Amokläufe seit den 70er Jahren unverändert bei etwa 20 pro Jahr liegt? Oder dass die Zahl der Waffenbesitzer so tief ist wie nie in den letzten 40 Jahren, wie «Time» mit Berufung auf Studien schreibt - trotz Waffenboom nach der Wahl von Barack Obama? Der Präsident wird den Ball flach halten, er hat bloss versprochen, den Vorstoss von Carolyn McCarthy und Konsorten zu «prüfen». Kristin Goss, Professorin an der Duke University und Autorin eines Buches zum Thema, kam gegenüber CNN zu einem deprimierenden Fazit: Die Befürworter strengerer Waffengesetze hätten den Kampf um die öffentliche Meinung «vor langer Zeit verloren».

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