Telefonterror geht trotz Verbot weiter

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Krankenkassen versagenTelefonterror geht trotz Verbot weiter

Krankenkassen dürfen via Telefon offiziell keine Werbung mehr für sich machen. Bisher geht die Santésuisse aber kaum gegen Verstösse vor. Politiker sprechen von einer Alibiübung.

Jessica Pfister
von
Jessica Pfister
«Guten Tag. Sie sind sicher daran interessiert, weniger Krankenkassenprämien zu bezahlen?». Solche Anrufe sollten eigentlich seit 1. Juni nicht mehr möglich sein. (Symbolbild)

«Guten Tag. Sie sind sicher daran interessiert, weniger Krankenkassenprämien zu bezahlen?». Solche Anrufe sollten eigentlich seit 1. Juni nicht mehr möglich sein. (Symbolbild)

Sie rauben vielen Schweizern den letzten Nerv: Makler, die den Versicherten am Telefon auf Biegen und Brechen zu einem Wechsel der Krankenkasse überreden wollen. Doch damit müsste seit dem 1. Juni eigentlich Schluss sein. Denn seither ist der Verhaltenskodex der Krankenkassen in Kraft, welcher die Telefonwerbung für die Grundversicherung verbietet (siehe Box). Um das Verbot zu kontrollieren, hat der Verband Santésuisse auf seiner Internetseite ein Meldeformular für genervte Versicherte eingerichtet (20 Minuten Online berichtete).

Doch die Massnahme scheint nicht zu greifen. Laut Silvia Schütz von Santésuisse sind in den ersten drei Monaten gerade mal 50 Meldungen eingegangen. Bei vier dieser Meldungen handelte es sich tatsächlich um Verstösse gegen den Kodex. Zwei Kassen sind betroffen. «Wir haben sie kontaktiert und auf ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht», sagt Schütz. Im Juni sprach Santésuisse gegenüber 20 Minuten Online noch von einer schwarzen Liste im Internet, auf der die fehlbaren Krankenkassen publiziert werden sollen. «Da die Kassen auch Mitglieder bei Santésuisse sind, wäre es heikel, sie sofort im Internet an den Pranger zu stellen», so Schütz heute. Erst wenn sich die Verstösse wiederholen würden, werde man zu einem solchen Schritt greifen.

«Offensivere Kommunikation»

Dass bisher erst wenige genervte Versicherte das Meldeformular ausfüllten, ist für SP-Gesundheitspolitikerin Jacqueline Fehr kein Zufall. «Die Möglichkeit, unseriöse Kassen zu melden, wurde kaum kommuniziert», sagt Fehr. Tatsächlich führte Santésuisse für das Meldeformular keine Werbekampagne durch. Einzig in der Mai-Ausgabe der Verbands-Zeitschrift «Brennpunkt» wurde die Massnahme kommuniziert. Allerdings muss man sehr genau hinschauen, um die fünf Zeilen in der Publikation zu entdecken, die hauptsächlich an Fachleute und Politiker verschickt wird. So sind selbst gestandene Gesundheitspolitiker ahnungslos: «Ich habe bisher nichts von einem Meldeformular gehört», sagt Thérèse Meyer-Kaelin, Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission. Und auch ihrem CVP-Parteikollegen Reto Wehrli ist die Massnahme kein Begriff.

Für Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, ist klar: «Der Verband, der eigentlich für die Versicherten einstehen sollte, hat gar kein Interesse daran, dass die Information breit gestreut wird.» Beim Meldeformular handle es sich um eine reine Alibiübung. Auch Jacqueline Fehr kritisiert das Verhalten von Santésuisse als Scheinpolitik. «Es kann nicht sein, dass sich die Kassen auf Druck der Politik zu einem Kodex einigen und diesen dann nicht durchsetzen.» Ihre Forderung an den Bund deckt sich mit jener von Sara Stalder: «Das Verbot von Telefonwerbung muss im Gesetz verankert werden.»

«Maklerverbot jederzeit einfügen»

Ursprünglich war dies die Idee des freisinnigen Gesundheitsministers Didier Burkhalter. So wollte er per Verordnung verbieten, dass Geld aus der Grundversicherung für Telefonwerbung und Makler ausgegeben wird. Durch den Verhaltenskodex haben die Kassen Burkhalter aber nochmals davon abhalten können. Trotzdem wollte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) den Druck aufrechterhalten und «das Inkrafttreten und die Umsetzung» der Branchenvereinbarung aufmerksam mitverfolgen, wie das EDI im Januar schrieb.

EDI-Sprecher Jean-Marc Crevoisier hat im Gegensatz zu Politikern und dem Konsumentenschutz nach den ersten drei Monaten einen guten Eindruck: «Bei uns sind keine Beschwerden eingetroffen, dass sich die Kassen nicht korrekt verhalten.» Trotzdem werde man die Situation weiter beobachten. «Funktioniert die Selbstregulierung nicht, können wir jederzeit im geplanten Aufsichtsgesetz über die Krankenkasse ein Maklerverbot einfügen.»

Sind Sie in den letzten drei Monaten von Krankenkassen kontaktiert worden? Haben Sie schon einmal von dem Meldeformular gehört? Schreiben Sie Ihren Kommentar ins Talkback.

Der Verhaltenskodex

Auf Druck der Politik, haben sich alle Krankenkassen ausser dem Nicht-Verbandmitglied Assura Ende Januar zu einem Verhaltenskodex geeinigt. Dieser gilt seit dem 1. Juni 2011 und verbietet Krankenkassen die «telefonische Kaltaquise» für die Grundversicherung. Dass heisst, ein Makler darf am Telefon keine Grundversicherung anbieten. Erlaubt bleiben nur Beratungen für eine Zusatzversicherung. Zudem dürfen Krankenkassen auch keine Versicherten anrufen, die in den letzten fünf Jahren nicht Kunden bei ihnen waren.

Der Bund und der Krankenkassendachverband Santésuisse erhoffen sich vom Kodex Einsparungen zwischen 60 und 100 Millionen Franken. (jep)

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