US-WahlenSarah Palin gerät ins Zwielicht
Die Ernennung von Sarah Palin zu seiner Vize-Kandidatin erweist sich für John McCain zunehmend als Eigentor. Die Schwangerschaft ihrer Tochter ist nur die Spitze eines Eisbergs von peinlichen Enthüllungen.
John McCain und Sarah Palin: Wie gut liess er sie durchleuchten? (Bild: Keystone)
Mit Begeisterung hatte die christlich-konservative Basis der Republikaner auf John McCains Schachzug reagiert, die weitgehend unbekannte Gouverneurin von Alaska für das Vizepräsidium zu nominieren. Die stramme Gegnerin von Abtreibung und Schwulenehe war ganz nach ihrem Geschmack. McCain war in den Umfragen auf gleicher Höhe mit Barack Obama, er sammelte Spenden wie nie zuvor. Dann folgte am Montag das Geständnis von Sarah Palin, ihre 17-jährige, unverheiratete Tochter Bristol erwarte ein Kind.
Vertreter der religiösen Rechten am Parteitag in St. Paul reagierten mit Verständnis auf die Meldung, die so gar nicht zu den von ihnen beschworenen Familienwerten - «Kein Sex vor der Ehe!» - passt.
«Familien haben andauernd Probleme», sagte der einflussreiche Prediger Rick Scarborough. Auch sein Kollege James Dobson, der bis vor kurzem John McCain seine Unterstützung verweigert hatte, spielte die Affäre herunter. Sie beweise nur, dass Sarah Palin und ihre Familie «menschlich» seien. Trotz der schwierigen Umstände hätten sie sich «für das Leben und für die Familie» entschieden.
Was wusste McCain?
Doch nicht alle Republikaner reagierten so verständnisvoll auf die Nachricht, die dem Parteitag nach dem Hurrikan «Gustav» ein weiteres unwillkommenes Nebengeräusch bescherte. Sie befürchten, dass die Demokraten «John McCains Urteilskraft und seine Fähigkeit, weitreichende Entscheidungen zu treffen, in Frage stellen könnten», schrieb die «New York Times». Sein Wahlkampfteam habe zwar betont, McCain habe von der Schwangerschaft gewusst, doch hochrangige Mitarbeiter hätten nicht sagen können, wann und wie er davon erfahren habe, so die Zeitung.
Andere Republikaner gingen noch weiter: Es zeige sich immer deutlicher, dass John McCain seine Vizekandidatin «übereilt» ausgewählt habe. Bis Mitte letzter Woche habe er gehofft, seinen Freund Joe Lieberman – den abtrünnigen Demokraten aus Connecticut – oder Tom Ridge, den ehemaligen Gouverneur von Pennsylvania, ernennen zu können. Beide sind jedoch Abtreibungsbefürworter und damit ein rotes Tuch für Evangelikale, die mit einem Aufstand am Parteitag drohten. Erst danach habe er sich für die 44-jährige ehemalige Schönheitskönigin Sarah Palin entschieden.
Ehemann mit Alkohol am Steuer
Sein erstes ausführliches Gespräch habe der Kandidat am Donnerstag mit ihr geführt, einen Tag vor der Bekanntgabe. Und erst danach habe McCain ein Team nach Alaska geschickt, um Palins Hintergrund auszuleuchten.
Es dürfte mehr finden, als ihm lieb ist. Blogger und Journalisten haben bereits einiges zu Tage gefördert, das ein schlechtes Licht auf die Gouverneurin wirft. Dabei gehört die Tatsache, dass ihr Ehemann Todd Palin vor 22 Jahren betrunken am Steuer erwischt wurde, zu den lässlichen Sünden.
Schwerer wiegt da schon, dass Sarah Palin zwei Jahre lang Mitglied der «Alaska Independent Party» gewesen sein soll, die sich für die Abspaltung der Arktis-Region von den USA ausspricht. Gemäss einem Bericht der «Washington Post» soll Palin als Bürgermeistern von Wasilla zudem mit Hilfe einer Lobbyfirma Bundessubventionen von 27 Millionen Dollar in das Kleinstädtchen mit 6700 Einwohnern geschleust haben – eine Praxis, gegen die John McCain in seinem Wahlkampf explizit ankämpft.
Für die «Brücke nach Nirgendwo»
Ins Zwielicht gerät auch ihre Behauptung, sie habe das umstrittene 220-Millionen-Projekt einer «Brücke nach Nirgendwo» im Süden Alaskas beerdigt. Dies gilt als Beleg für ihren Reformwillen und ihren Mut, gegen das korrupte Establishment der eigenen Partei anzutreten. Während ihres Wahlkampfs für den Gouverneursjob allerdings soll sie das Bauwerk laut «Washington Post» noch unterstützt haben. Erst nachdem Politiker in Washington Widerstand angemeldet hätten, habe sie eine Kehrtwende vollzogen.
Noch mehr Sprengstoff enthält ein weiterer Skandal: In Alaska untersucht ein Ausschuss, ob die Gouverneurin ihr Amt missbraucht hat, als sie Walt Monegan entliess, den Beauftragten für die öffentliche Sicherheit. Er hatte sich geweigert, Palins Ex-Schwager, einen Polizisten, zu feuern. Dieser lieferte sich mit Sarah Palins Schwester einen harten Sorgerechtsstreit. Der Untersuchungsbericht soll Ende Oktober veröffentlicht werden, also kurz vor der Präsidentschaftswahl. Am Montag wurde bekannt, dass die Gouverneurin wegen dieser Ermittlungen einen Anwalt engagiert hat.
«Ein enormes Risiko»
Beinahe in den Hintergrund rückt dabei der Hauptvorwurf gegen Sarah Palin, es mangle ihr an Erfahrung für den Vize-Job. Bereits wird sie mit Harriet Miers verglichen, die George W. Bush für den Obersten Gerichtshof nominiert und eiligst zurückgezogen hatte, nachdem sie in den Anhörungen miserabel abgeschnitten hatte. Es sei «ein enormes Risiko, jemanden zu ernennen, der nicht genau durchleuchtet wurde», sagte Dan Schnur, ein ehemaliger McCain-Adlat und heutiger Universitätsprofessor, der «New York Times».
Wikipedia-Eintrag gesperrt
Sarah Palins Eintrag im Online-Lexikon Wikipedia ist manipuliert worden. Ein Nutzer namens «Young Trigg», der sich inzwischen als Mitarbeiter von John McCains Wahlkampfteam geoutet hat, entfernte unter anderem den Verweis auf ihre Teilnahme an Schönheitskonkurrenzen. Der Eintrag wurde inzwischen für «normale» User gesperrt, nur noch genau definierte Autoren dürfen ihn verändern.