Deus - «Pocket Revolution»Neues vom Chef
Lange Jahre herrschte Funkstille, doch nun melden sich Deus zurück. Bandleader Tom Barman über alte Zeiten und neue Freunde.
Tom, fast alle Leute freuen sich über euer Comeback und wollen das neue Album hören. Nicht schlecht nach all den Jahren.
Tom Barman: Schön ja, aber frei nach LL Cool J: Don't call it a comeback! Es war ja nie die Rede davon, die Band aufzulösen.
Zusammengekommen seid ihr zwar, aber im Studio habt ihr euch doch getrennt.
Das ist wahr. Ich wollte eigentlich, dass dies erstmals ein Album wird mit demselben Line-up wie das vorige. Es sollte nicht sein …
Woran lag es?
Frag das mal besser die andern. Es war eine sehr schmerzhafte Situation und raubte mir den letzten Nerv. Aber nun bin ich wieder sehr relaxed, denn es sind tolle neue Leute hinzugekommen.
So eine Trennung mitten in den Aufnahme-Sessions weckt doch auch Aggressionen. Das hört man den neuen Songs aber kaum an.
Ein paar der Songs waren ja bereits geschrieben. Andere wie «Pocket Revolution» entstanden gerade während des Splits. Es war sehr hart, damit umzugehen. Steckst du mitten in der Krise, ist es sehr schwierig, über sie zu sprechen. Sogar jetzt mag ich noch nicht wirklich darauf eingehen.
«Pocket Revolution» hast du in der Krise geschrieben. Ist das der Grund, dass du das Album danach benannt hast?
Der Song bringt meine damalige Stimmung auf den Punkt. Ich war am Boden zerstört, fühlte mich blockiert (stockt und schluckt). Ich war total übermüdet und mental ausgebrannt – zum ersten Mal in meinem Leben. Normalerweise hab ich ungeheuer viel Energie, um etwas voranzutreiben. Nun riss mich dieselbe Energie mit voller Wucht nach unten. Das war echt beschissen. Zum Titel wurde «Pocket Revolution» aber aufgrund der Tatsache, dass wir traditionellerweise paradoxe Titel haben wie «In a Bar, Under the Sea» oder «The Ideal Crash».
Hast du nie daran gedacht, alles hinzuschmeissen?
Da musst du halt durch. Das ist schliesslich auch ein Job. Irgendwann fokussierte ich nur noch darauf, das Album zu einem guten Ende zu bringen. Ich liess es nicht zu, dass andere Leute die Band fertig machen. Vor allem nicht so, wie es geschah. Aber wir sind ja nicht die erste Band, der das passiert. Ausserdem machen dich Krisen stärker. Du überdenkst dich und deine Arbeit komplett. Ich habe ein, zwei Dinge daraus gelernt.
Profitiert hast du auch vom Magnus-Projekt mit Techno-Mann C.J. Bolland. Scheint fast so, als hättest du daraus die Refrain-Zeile von «What We Talk About» übernommen.
Das ist möglich, ja – nein: Das ist wahr. Es überkam mich einfach. Bei Deus hab ich die Zeile aber ohne Stimmen-Transformator gesungen. C.J. war sowieso in das neue Deus-Album involviert. Er unterstützte uns musikalisch wie menschlich – gerade in der schweren Zeit. Ich lernte bei Magnus anders an Songs heranzugehen. Die Grooviness von «Pocket Revolution» ist definitiv auf das Dance-Projekt zurückzuführen. Oder nimm die Gitarren: Es hat mich massiv beeinflusst, wie C.J. die Gitarren-Feedbacks cuttet und einsetzt. Aber das ist normal. Ich nehme an, Damon Albarn brachte auch einiges von den Gorillaz mit zu den nächsten Sessions von Blur.
Das Label Belgien steht heute für innovative Musik. Man sucht im Songwriting nicht den einfachen Weg, sondern lotet die Möglichkeiten aus und experimentiert.
Unser Gitarrist sagt: Die englischen Kids werden mit den Beatles gross, die Belgischen mit den MusicStars. Wir haben hier keine musikalischen Wurzeln. Das verleiht Freiheit. Als kleines Land müssen wir offen sein für alles. Man ist weder snobistisch noch arty und kann Freejazz ebenso wie die Eurythmics gut finden. In England geht das nicht, da gibt es diese dummen «Guilty Pleasures»: Dinge, die du besser nicht gut finden solltest, auch wenn du sie magst. Ich wehre mich gegen diesen künstlerischen Snobismus.
Kommt daher auch deine Lust, ständig neue Musik- oder Filmprojekte zu starten?
Sehe ich Bands, die mit uns gestartet sind und den normalen Weg gingen, dann sind diese heute kommerziell vielleicht weiter als wir. Aber sie haben nicht den Luxus, sagen zu können: OK, wir stoppen hier für zwei, drei Jahre und machen jetzt einen Film. Manchmal bin ich frustriert und wäre mit Deus gerne weiter, andererseits bin ich glücklich, nicht andauernd ein neues Album promoten zu müssen. Das würde mich nur langweilen.
Jetzt kannst du ja erst mal die Bühnen stürmen. Muss befreiend sein nach dem ganzen Stress im Studio.
Es ist grossartig! Und die Stimmung in der Band ist wirklich die beste, die ich je erlebt habe. Erstmals haben wir Lust darauf, nahezu alle neuen Songs zu spielen. Aber wir spielen auch Songs, die wir seit über acht Jahren nicht mehr gespielt haben – wenn die Leute es wollen, haben wir Material für mehr als zwei Stunden.
Was ist der grösste Unterschied zu früher, wenn du heute auf Tour gehst?
The days we started were the days we started. Wir waren jung und hatten keine Erwartungen. Nun bin ich alt und habe Erwartungen. Zudem kommen junge Leute, die uns vor zehn Jahren unmöglich gekannt haben können. Das ist grossartig.
Du warst ja immer ein Frauenschwarm. Wie fühlt man sich, wenn einen plötzlich Teenager anhimmeln?
(Lachend) Deus hatten immer das Glück, viele Frauen anzusprechen. Bei unseren Konzerten ist das Geschlechterverhältnis stets 50:50 – die perfekte Mischung: Da hast du die Power und das Adrenalin der Typen und die Aufmerksamkeit der Girls. Aber als Sexsymbol habe ich mich nie gesehen. Ich spüre schon, dass mir eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, und das tut auch gut. Aber das ist nicht etwas, das mich wirklich beschäftigt oder wichtig wäre. Ich bin nicht Jon Bon Jovi. Ich kümmere mich lieber um die Songs.
Olivier Joliat
Deus «Pocket Revolution» (V2/TBA). ab 12. September im Handel.