Medizinchecks im Sport«Bei Fussballern ist das Infarkt-Risiko grösser»
Sportkardiologe Matthias Wilhelm registriert und erforscht plötzliche Todesfälle von Sportlern. Er begrüsst es, dass Swiss Olympic Gesundheits-Checks für Jungtalente ins Auge fasst.
Sie haben 2011 zusammen mit einer Arbeitsgruppe ein Register für Todesfälle von Sportlern ins Leben gerufen. Weshalb?
Matthias Wilhelm: Das Risiko plötzlicher Todesfälle ist für Sportler im Allgemeinen eher niedrig. Allerdings gibt es Athleten mit angeborenen oder erworbenen Herzerkrankungen. Beim Leistungssport können diese Personen Herzrhythmusstörungen entwickeln und plötzlich versterben. Mit unserem nationalen Register wollen wir diese Fälle in der Schweiz dokumentieren und deren Ursachen erfassen. Ziel ist, dadurch geeignete Untersuchungen und Präventionsmassnahmen zu entwickeln, um einen Teil der Todesfälle zu verhindern. Ausserdem können wir so die Angehörigen besser informieren und schützen.
Inwiefern können Sie Angehörige schützen?
Herzerkrankungen können vererbbar sein. Wenn bisher ein Athlet plötzlich verstorben ist, gab es keine etablierten Kommunikationswege zwischen der Rechtsmedizin und anderen Ärzten. So ist die Weitergabe der Information an die Familie erschwert. Ich erinnere mich an den Fall eines Langstreckenläufers. Dieser verstarb bei einem Lauf an Herzversagen. Seine Schwester war als Langläuferin ebenfalls im Leistungssport tätig - wurde aber nicht über die Notwendigkeit einer Herzuntersuchung informiert. Dank unserer Arbeitsgruppe sollte das in Zukunft besser werden.
Wie oft kommt es denn in der Schweiz zum plötzlichen Tod von Sportlern?
Unser Register existiert erst seit 2011, wir haben aber retrospektiv die Fälle seit 1999 ausgewertet. In den letzten elf Jahren haben wir in der Deutschschweiz 43 Todesfälle von Athleten erfasst. Die absolute Zahl wird aber höher sein, weil sicherlich nicht alle betroffenen Personen in den Instituten für Rechtsmedizin obduziert wurden. Der Anteil an Kaderathleten war mit drei Fällen gering.
Dennoch will Swiss Olympic als Dachverband der Schweizerischen Sportverbände prüfen, ob künftig nicht nur Spitzenathleten, sondern auch Jungtalente einmal pro Jahr medizinisch untersucht werden. Ist das denn überhaupt nötig?
Absolut. Junge Athleten sind Aushängeschilder der Gesellschaft und man sollte alles tun, um sie zu schützen. Mit einem ausgeweiteten Screening setzt die Schweiz ein Zeichen, dass ihr die Gesundheit von Athleten von Anfang an am Herzen liegt. Wichtig ist jedoch, dass die ärztlichen Untersuchungen risikobasiert sind.
Was heisst das?
Erfahrungen aus unserem Register und internationale Daten zeigen, dass bei Sportlerinnen das Risiko, an einem plötzlichen Herztod zu sterben, sehr niedrig ist. Andererseits haben beispielsweise Fussballer und Basketballer, und hier insbesondere schwarze Athleten, ein wesentlich höheres Risiko, beim Sport plötzlich zu versterben. Auch im Hinblick auf knappe Ressourcen erscheint ein Screening unter Berücksichtigung von Geschlecht, Sportart und Ethnizität sinnvoll. Grundsätzlich kann man sagen, dass Hochrisiko-Athleten öfter, Niedrigrisiko-Athleten seltener untersucht werden sollen.
Wer sollte die Untersuchung durchführen?
Die Swiss Medical Center der Swiss Olympic sind von logistischer Seite sicher der richtige Ort für die Kontrollen. Wichtig ist, dass Sportmediziner mit entsprechender Weiterbildung diese Checks durchführen. Denn Herztests wie ein EKG können schnell einmal falsch beurteilt werden, was nicht nur zu unnützen Folgekosten führen kann. Die Auswirkungen einer Disqualifikation für den Athleten oder die rechtlichen Konsequenzen für den beurteilenden Arzt müssen bedacht werden. Die Sportkardiologie kann hier bei unklaren Fällen beratend tätig sein.
Würden die Ärzte haften, wenn Sie einem Athleten nach der Untersuchung das O.k. geben und dieser danach verstirbt?
Das ist eine schwere Frage und hängt sicherlich von den genauen Umständen ab. In Italien sind beispielsweise medizinische Checks für alle Athleten, die an Wettkämpfen teilnehmen, gesetzlich vorgeschrieben. Sagt dort ein Arzt einem Fussballspieler, dass er wegen einer diagnostizierten Herzerkrankung nicht spielen darf, ist das für die Verbände bindend. Ärzte müssen auch die rechtlichen Konsequenzen tragen, wenn sie jemanden spielen lassen und es zu einem plötzlichen Todesfall kommt.
Wie hat sich die italienische Praxis auf die Zahl der Todesfälle ausgewirkt?
Nach Einführung des Screeningsystems reduzierte sich in Italien die jährliche Rate des plötzlichen Herztodes beim Sport von 3,6 auf 0,4 Todesfälle pro 100 000 Personen pro Jahr. Allerdings gibt es auch Daten aus Israel, wo ein ähnliches Screeningprogramm nicht zu einer Reduktion sportassoziierter Todesfälle geführt hat.
Das Register
Seit 2011 gibt es das Register, welches plötzliche Todesfälle von Athleten erfasst und untersucht. Es ist eine Online Datenbank, in der die Todesfälle in der Schweiz ab 2011 prospektiv erfasst werden und diejenigen von 1999 bis 2010 retrospektiv ausgewertet wurden. Persönliche Daten der verstorbenen Athleten wie Name oder Adresse werden dabei nicht erfasst. Zugang haben die kantonalen Institute für Rechtsmedizin. Für Angehörige von Betroffenen, Athleten, Trainer und Zuschauer von Sportveranstaltungen gibt es die Möglichkeit, plötzliche Todesfälle unter www.swissregard.ch zu melden. (jep)