Vom Versuch, anständig zu essen

Aktualisiert

ExperimentVom Versuch, anständig zu essen

Wie schwierig ist es, Pflanzen keinen Schmerz zuzufügen? Und wie lebt es sich eigentlich als Veganer? Karen Duve über einen Selbstversuch mit Folgen.

Runa Reinecke
von
Runa Reinecke

Gummibärchen, Schweinebraten, Poulets im Sonderangebot: Das alles war für Karen Duve für einmal passé. Die deutsche Autorin lebte über zehn Monate lang verschiedenste Ernährungsmodelle, darunter den Veganismus, Vegetarismus und den Fruktarismus. Welche ungeplante, nachhaltige Auswirkung die - zunächst zeitlich limitierte - Ernährungsumstellung auf ihr Leben hatte, erzählt Sie im Interview mit 20 Minuten Online.

Frau Duve, was kommt bei Ihnen heute Abend auf den Tisch?

Karen Duve: Es gibt Kürbissuppe mit Kokosmilch, dazu Toast mit eifreier Mayonnaise, Tomaten und ein bisschen Schnittlauch obendrauf.

Ist die Kürbiszeit nicht schon vorbei?

Ja, stimmt! Bei mir liegen aber noch ein paar Kürbisse herum, die ich während meiner Fruktarierzeit auf dem Misthaufen geerntet habe.

Fruktarier, ein gutes Stichwort. Wie fühlt es sich an, wenn man nur noch das isst, was nicht aktiv geerntet wurde, sondern ohne Zutun vom Baum oder vom Strauch gefallen ist?

Ganz so ist es ja nicht, aber es ist schon schwierig. Von allen Ernährungsformen, die ich während meines zehnmonatigen Selbstversuchs ausprobiert habe, empfand ich die fruktarische Ernährung als am einschränkendsten.

Was fiel Ihnen besonders schwer?

Essen gehen, das ging gar nicht. Dadurch isoliert man sich gesellschaftlich.

Abgesehen davon vergeht einem am Ausgehen ohnehin die Lust, weil einen ja überall diese verlockenden Gerüche quälen. Und von seinen Mitmenschen wird man auch noch mitleidig belächelt.

Eine grosse Herausforderung …

Und ob! Rückblickend muss ich sagen, dass ich das Ändern eingefahrener Ernährungsgewohnheiten allgemein als besonders schwierig empfand. Es gibt in jeder Ernährungsform – zum Beispiel auch beim Veganismus – genügend Nahrungsmittel, die man essen kann. Was aber wegfällt, sind die ganzen Gerichte, mit denen man die eine oder andere Kindheitserinnerung verbindet – etwa Grossmutters Schweinebraten. Andererseits entdeckt man durch die vegane Ernährung auch viel Neues.

Welche Nahrungsmittel kommen für einen Fruktarier infrage?

Früchte, Gemüsefrüchte, Nüsse, Samen, es gibt auch Fruktarier, für die Getreide essen okay ist. Ich habe aber die strenge Variante gewählt – zu leicht sollte es ja auch nicht sein. Bei der Zubereitung von Saucen habe ich häufig Kokosmilch verwendet. Das Würzen war etwas einseitig, da eigentlich nur Pfeffer und Salz erlaubt waren. Kräuter hätten ja abgeschnitten werden müssen, und ein Fruktarier zerstört nun einmal keine Pflanzen.

Und das haben Sie durchgehalten?

Um dabei zu bleiben, habe ich mir die verschiedenen Ernährungsweisen nicht zugemutet – ich habe sie gelebt! Ich habe mich der jeweiligen Überzeugung mit Haut und Haaren verschrieben und sie auch gegenüber anderen vertreten. Aber, um ehrlich zu sein: Das Fruktarier-Dasein hat mich trotzdem überfordert.

Was verstehen Sie unter einer «Ernährungsweise mit moralischem Anspruch»?

Man sollte sich darüber im Klaren sein, welche Konsequenzen es hat, bestimmte Nahrungsmittel zu essen. Wer zum Beispiel Fleisch aus Massentierhaltung kauft, unterstützt barbarische Grausamkeit.

Wie erkenne ich als Konsument, woher das Fleisch kommt?

In Deutschland kommt Fleisch ohne Biosiegel fast immer aus Massentierhaltung. Die paar Bauern, die noch wenige Tiere halten, fallen kaum ins Gewicht.

Wie sah Ihr Speiseplan vor der Läuterung aus?

So wie bei vielen anderen auch – vielleicht sogar noch ein bisschen schlimmer.

Früher ass ich viel Fleisch, ass gerne Joghurt, Schokolade und andere Süssigkeiten, die mit tierischen Produkten hergestellt werden. In Deutschland enthält jedes zweite industriell hergestellte Lebensmittel Ei.

Was kommt bei Ihnen heute auf den Teller?

Ich kann nicht ausschliessen, dass ich nicht doch irgendwann mal wieder ein Stück Fleisch esse, aber zur Zeit lebe ich vegetarisch. Ausserdem kaufe ich kaum noch Milchprodukte, esse aber die Eier, die meine Hühner legen. Sie nicht zu essen, hätte etwas mit Prinzipien zu tun, und damit habe ich es nicht so.

Inwiefern hatte Ihr Selbstversuch Einfluss auf andere Aspekte und Sichtweisen?

Ich bin in allem ein bisschen achtsamer und rücksichtsvoller geworden. Wenn man nichts mehr kaufen will, was mit dem Leid von Tieren bezahlt wird, dann will man natürlich auch nichts mehr haben, was durch Kinderarbeit hergestellt wurde. Auch das ganze Ausmass der Klimaproblematik wurde mir dadurch erst richtig bewusst. Ich bin heute weniger sorglos, aber gleichzeitig auch engagierter. Ausserdem bin ich misstrauischer geworden – gegenüber der Lebensmittelindustrie und gegenüber den Glücksversprechen des Konsums.

Sind Veganer und Vegetarier heute gesellschaftlich akzeptiert?

Früher galten Vegetarier als Spinner, Exoten oder als seltsame Asketen. Heute sind sie gesellschaftliche Vorreiter. Das hat vermutlich die Klimaerwärmung vollbracht. Nun werden die Veganer so belächelt wie früher die Vegetarier.

Aber wer kein Fleisch isst, wird auch heute nicht immer ernst genommen …

Ein Vegetarier wirkt auf Fleischesser nun einmal provozierend. Solange alle Fleisch essen, können auch alle das Gefühl haben, dass das in Ordnung sei. Sobald ein Vegetarier mit am Tisch sitzt, wird das Selbstverständliche plötzlich in Frage gestellt. Fleischkonsum beruht auf Verdrängung. Aber nun funktioniert dieser Verdrängungsmechanismus nicht mehr. Und gegen die drohende Erkenntnis schützt man sich halt durch abfällige Kommentare.

Wieso macht der Mensch gewisse Tiere zu seinen Freunden, während er andere zu seiner Mahlzeit werden lässt?

Weil er die Macht dazu hat. Da Tiere keine Lobby haben und nicht widersprechen können, eignen sie sich genauso gut zur Projektionsfläche für überschwängliche Gefühle wie dafür, ausgebeutet zu werden.

Das Schwein ist intelligenter als der Hund, warum steht es trotzdem auf der Speisekarte?

Gewohnheit, Tradition, … logisch ist das nicht. Aber an dem Gefühl «das habe ich schon immer so gemacht, deswegen muss es richtig sein» prallen die Argumente ab wie Wasser an der Ente.

In Ihrem Buch taucht immer wieder der Begriff «Qualfleisch» auf …

Naja, die Grillhähnchen, die wir essen, stammen von einer Zuchtlinie von Masthühnern, die aberwitzig schnell an Gewicht zulegen. Sie stehen dicht an dicht in ihrem eigenen Dreck, haben Schmerzen, orthopädische Probleme, offene Wunden und werden nach vier bis fünf Wochen auf grausame Art geschlachtet. Ihr Leben ist eine einzige Qual.

Der Dioxin-Skandal ist in Deutschland derzeit buchstäblich in aller Munde. Was können Konsumenten tun, um sich vor vergifteten Lebensmitteln zu schützen?

Die Verbraucher dürfen sich nicht darauf verlassen, dass die Politiker alles für sie regeln. Die Erfahrung zeigt, dass das nicht funktioniert. Auf Nummer sicher geht, wer gar kein Fleisch und keine Eier isst. Wer nicht verzichten mag, sollte seinen Fleischverzehr wenigstens einschränken und sich informieren, wie und wo sein Fleisch hergestellt wird.

Welche Tipps geben Sie Menschen, die ihr Essverhalten ändern wollen?

Mit kleinen Schritten anfangen und erst einmal das umsetzen, was einem nicht ganz so schwer fällt. Respekt gegenüber Lebensmitteln ist auch Respekt gegenüber uns selbst. Also auf Qualität achten. Und ganz egal, wie gut etwas schmeckt – wenn dafür Tiere gequält worden sind, handelt es sich nicht mehr um ein Qualitätsprodukt.

Veranstaltungs-Tipp:

Karen Duve und der amerikanische Bestseller-Autor Jonathan Safran Foer («Fleisch essen») sind am kommenden Freitag, 21. Januar im Kaufleuten in Zürich zu Gast.

Weitere Informationen zur Lesung ...

Über die Autorin:

«Wie kannst du dieses Qualfleisch kaufen?», schrie Karen Duves Mitbewohnerin Kerstin während des Einkaufs im Supermarkt, «du weisst doch ganz genau, wie diese Hühner gehalten werden.» Kerstins Ermahnung stimmte Karen Duve nachdenklich. Nach diesem Erlebnis beschliesst die Autorin ein Experiment: Fast ein Jahr lang testet sie Ernährungsweisen mit moralischem Anspruch, von biologisch-organisch, über vegetarisch und vegan bis hin zu fruktarisch. Und sie protokolliert diese Erfahrung in ihrem neu erschienenen Buch «Anständig essen» - schonungslos und spannend.

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt mit einem Maultier, einem Pferd, einem Esel, zwei Katzen und zwei Hühnern auf dem Lande in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Weihnachten mit Thomas Müller und Thomas Müller und der Zirkusbär sind inzwischen Klassiker, ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt.

Deine Meinung zählt