Ejaculatio praecox«Viele Männer lassen sich von Pornos blenden»
Es betrifft jeden zehnten Mann, doch die wenigsten trauen sich, darüber zu sprechen. Der Männerarzt Christian Sigg über Ursachen und Therapiemöglichkeiten des vorzeitigen Samenergusses.
Kaum eine andere Sexualstörung belastet eine Partnerschaft so sehr wie der vorzeitige Samenerguss. Der Androloge (Männerarzt) Christian Sigg erklärt, welche physischen Faktoren zur Ejaculatio praecox führen können und ermutigt Betroffene dazu, einen Facharzt aufzusuchen.
Herr Sigg, was passiert bei der Ejaculatio praecox, dem vorzeitigen Samenerguss?
Der Erregungsreflex läuft sehr schnell ab und lässt sich dann nicht mehr willentlich steuern. Von einem vorzeitigen Samenerguss spricht man, wenn zwischen dem Eindringen und der Ejakulation während des Geschlechtsverkehrs weniger als eine Minute vergeht.
Wo liegt die Norm?
Untersuchungen in Deutschland besagen, dass die Dauer des Geschlechtsverkehrs durchschnittlich fünf bis sieben Minuten beträgt. Ich sehe immer wieder Patienten, die glauben, mit ihnen stimme etwas nicht. Während des Gesprächs stellt sich dann aber heraus, dass sie sich lediglich an falschen Vorstellungen orientieren.
Wie kommt es zu diesen falschen Vorstellungen?
Einerseits prägen Pornos ein solches Zerrbild. Andererseits der Stammtisch. An keinem anderen Ort der Welt wird so übertrieben und geprahlt. Viele Männer lassen sich von solchen Übertreibungen blenden – dabei sieht die Realität ganz anders aus.
Inwiefern?
Tatsächlich handelt es sich bei der sogenannten Ejaculatio praecox um die häufigste beim Mann auftretende Sexualstörung. Es ist davon auszugehen, dass bis zu 15 Prozent aller Männer betroffen sind.
Wie wirkt sich das Problem auf die Psyche aus?
Aus Lust wird Frust. Die Männer leiden, weil sie sich selbst stark unter Leistungsdruck setzen. Auch auf die Partnerschaft kann sich das belastend auswirken. Besonders junge Männer suchen erst dann einen Arzt auf, wenn die Beziehung bereits zerbrochen ist.
Wer kommt zu Ihnen in die Praxis?
In erster Linie sind es jüngere Männer zwischen 16 und 25 Jahren. Es gibt aber auch immer mehr ältere Männer, die bereits einen langen Leidensweg hinter sich haben und erst jetzt den Mut aufbringen, darüber zu sprechen. Auslöser sind meist Probleme, die sich in der Partnerschaft durch den frühzeitigen Samenerguss ergeben. Vielfach sind es die Frauen, die ihren Partnern zu einem Besuch beim Arzt raten.
Welche Gründe gibt es für diese Störung?
Meist lässt sich das Problem auf eine angeborene Stoffwechselstörung zurückführen. Es macht sich bereits bei der ersten sexuellen Aktivität bemerkbar und bleibt bis ins hohe Alter bestehen. Dass es im fortgeschrittenen Alter zum ersten Mal auftritt, ist eher selten. Dann kann eine neurologische Störung oder eine chronische Infektion, wie etwa eine Prostata-Entzündung, dahinterstecken. Ganz selten ist ein Tumor ursächlich.
Wie gestaltet sich die Behandlung?
Das hängt von der Ursache der Störung ab. Während eines Gesprächs und einer anschliessenden Untersuchung wird abgeklärt, ob der Patient interdisziplinär betreut werden muss. In diesem Fall wird ein Psychiater, ein Urologe oder ein Mediziner eines anderen Fachgebietes hinzugezogen.
Welche Therapien gibt es?
Hier stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung: Es gibt Sprays oder Cremes, mit denen der Penis vor dem Geschlechtsverkehr behandelt werden kann, um die Erregung zu mindern. Auch die Verwendung eines Kondoms hat diesen Effekt. Darüber hinaus kann aber auch die Einnahme eines Antidepressivums, eines sogenannten Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmers, helfen.
Macht die Einnahme von Viagra in diesem Zusammenhang Sinn?
Viagra kann – in extrem niedriger Dosierung – mit einem speziellen Antidepressivum kombiniert werden. Wichtig ist, dass diese Therapie ärztlich eingeleitet und kontrolliert wird, da diese Medikamente zum Teil zu gefährlichen Neben- und Wechselwirkungen führen können.