Die MormonenFromme Gemeinschaft von Fundamentalisten
Mitt Romney könnte als erster Mormone ins Weisse Haus gewählt werden. Die drittgrösste Religion der USA ist äusserst autoritär, verschwiegen – und erfolgreich.
Seine erste Vision will der 1805 geborene Joseph Smith im Alter von 14 Jahren gehabt haben. In der Nähe des Elternhauses im Bundesstaat New York seien ihm Gott und Jesus Christus persönlich erschienen, berichtete er später. Sie hätten ihm geraten, sich keiner Konfession anzuschliessen, da alle das Evangelium verfälscht hätten. 1823 habe sich ihm ein Engel namens Moroni offenbart, der ihn zu in der Nähe versteckten antiken Goldplatten geführt habe. Smith habe diese ins Englische übersetzt und danach zurückgegeben, besagt die Überlieferung weiter. Auf diese Weise entstand das Buch Mormon.
Es schildert eine frühe Besiedlung Amerikas, samt Besuch des auferstandenen Jesus Christus. Amerika ist in dieser Lesart das «verheissene Land». Aus wissenschaftlicher Warte handelt es sich um ein abstruses Konvolut, auch soll Smith aus anderen Büchern abgeschrieben haben. Dem Erfolg tat dies keinen Abbruch. 1830 veröffentlichte Smith sein Buch Mormon und begründete damit die Glaubensgemeinschaft der Mormonen. Im Laufe der Zeit spaltete sie sich in zahlreiche Gruppen auf. Die mit Abstand grösste ist die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage mit weltweit rund 14 Millionen Mitgliedern.
Von Christen nicht anerkannt
In den USA sind die Mormonen die drittgrösste Religionsgemeinschaft nach Protestanten und Katholiken. Zahlreiche Prominente sind oder waren «Heilige der Letzten Tage», wie sich die Kirchenmitglieder selbst nennen (siehe Bildstrecke). Ihr derzeit bekanntester Vertreter dürfte Mitt Romney sein, der ehemalige Gouverneur von Massachusetts. Er hat gute Chancen, als Präsidentschaftskandidat der republikanischen Partei nominiert zu werden. Wie John F. Kennedy, der erste und bislang einzige katholische Präsident, könnte Romney zum Pionier werden, wenn er als erster Mormone ins Weisse Haus einzieht.
Die Anfänge waren schwierig. Zwar fand Joseph Smith rasch Anhänger, die in der jungen Einwanderernation USA nach Orientierung suchten. Doch auch die Anfeindungen waren von Beginn an beträchtlich. Vor allem für evangelikale Christen, die in der Bibel das einzig wahre Wort Gottes sehen, waren die Mormonen mit ihrer eigenen «Heiligen Schrift» eine Provokation. Obwohl sich die «Heiligen der Letzten Tage» ausdrücklich auf Jesus berufen, werden sie von den meisten christlichen Kirchen bis heute nicht als ihresgleichen akzeptiert, sondern als neureligiöse Bewegung betrachtet. Kritiker nennen sie eine Sekte.
Tod des Gründers und Auszug nach Utah
Für Smith und seine «Jünger» begann eine Odyssee durch die Vereinigten Staaten. 1832 wurde der «Prophet» sogar geteert und gefedert. Im Staat Illinois fanden die Mormonen eine vorläufige Heimat. Sie gründeten die Stadt Nauvoo, bauten einen Tempel und erhielten ein Sonderstatut. Dennoch blieben Konflikte und interne Spannungen nicht aus: 1844 wurde Joseph Smith verhaftet, nachdem er die Druckerpresse einer ihm kritisch gesinnten Zeitung hatte zerstören lassen. Am 27. Juni 1844 drangen radikale Gegner von Smith in das Gefängnis ein. Als er zu fliehen versuchte, wurde der Kirchengründer erschossen.
Der Tod des Propheten traf die Kirche unvorbereitet, da Smith keine Nachfolgeregelung verfügt hatte. Es kam zu Abspaltungen. Die Mehrheit der Mormonen zog unter Führung von Brigham Young über die Rocky Mountains in das damals mexikanische Gebiet am Grossen Salzsee. Hier konnte sich die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage niederlassen. Hier machten sie mit ihrer hohen Arbeitsethik das öde Land urbar und gründeten die Stadt Salt Lake City. Und hier praktizierten sie offen, was die Mormonen bis heute angreifbar macht: Polygamie.
Ein Mann und mehrere Frauen
Während die Vielehe unter Joseph Smith – er soll mindestens 33 Frauen gehabt haben – den Kirchenführern vorbehalten war, legte Brigham Young sie auch einfachen Mitgliedern nahe – nur Männern wohlgemerkt, Frauen hatten das gleiche Recht natürlich nicht. Miles Romney, der Urgrossvater von Mitt, hatte insgesamt fünf Frauen. Den Vereinigten Staaten war dieses «Lotterleben» im heutigen Bundesstaat Utah ein Dorn im Auge. Als sich die USA nach Westen ausdehnten, wuchs der Druck auf die Mormonen.
1890 gab die Kirche nach, die Polygamie wurde abgeschafft – es war die entscheidende Voraussetzung für den Beitritt Utahs zu den Vereinigten Staaten im Jahr 1896. Abweichler praktizieren die Vielweiberei aber noch heute. Dabei vertreten die Mormonen eigentlich sehr konservative Moralvorstellungen. Im Zentrum steht die Familie. Die Frau geniesst als Mutter hohes Ansehen, entsprechend hoch ist die Geburtenrate. Berufstätigkeit wird hingegen nicht gerne gesehen. Sex vor und ausserhalb der Ehe ist tabu, Homosexualität wird abgelehnt. Alkohol, Tabak und selbst Kaffee und Schwarztee sind als Genussmittel verpönt.
Junge Männer werden aufgefordert, zwei Jahre lang als Vollzeit-Missionare tätig zu sein – auf eigene Kosten. Von den Mitgliedern wird erwartet, dass sie einen Zehntel ihres Einkommens der Kirche abliefern – andernfalls sind sie vom Tempelbesuch ausgeschlossen. Die Ahnenforschung der Mormonen geniesst einen hervorragenden Ruf – und führt immer wieder zu Kritik, denn die Kirche propagiert die Taufe für Verstorbene. Dazu gehörten auch zahlreiche Holocaust-Opfer, was scharfe Proteste von jüdischer Seite provozierte.
Fundamentalismus-Vorwurf
Auch säkulare Kreise sind gegenüber den «Heiligen der Letzten Tage» kritisch eingestellt. Die Sektenberatungsstelle infoSekta kritisiert auf ihrer Website die hierarchische und patriarchale Struktur der Mormonenkirche und ihre autoritäre Führung, weshalb man die Mormonen «zu den fundamentalistischen Glaubensgemeinschaften» zählen könne. Hinzu kommt ein hoher sozialer Druck, nicht zuletzt gegenüber Abweichlern. Wie traumatisch diese Erfahrung sein kann, schilderte die aus einer mormonischen Pionierfamilie stammende Journalistin Carrie Sheffield in einem Beitrag für die «Washington Post».
Während ihrer Studien an der kircheneigenen Brigham Young Universität seien ihr die Diskrepanzen zwischen Kirchenlehre und Wissenschaft bewusst geworden. Doch die «männliche Gerontokratie» habe ihr geraten, Bücher zu meiden und zu heiraten. Carrie Sheffield fand sich damit nicht ab und verliess die Kirche, worauf ihre Eltern sie fünf Jahre lang auf ihrem Haus verbannt hätten. Im hoch zentralisierten Mormonismus gebe es keine Möglichkeit, eine moderate, reformierte Existenz zu leben, kritisiert die Autorin.
Romney und die schwangere Frau
Ein Beispiel für doktrinäres Verhalten gibt es auch in Mitt Romneys Biographie. Als Bischof seiner Bostoner Kirchgemeinde – die Mormonen kennen keine strikte Trennung von weltlichen und geistlichen Ämtern – soll er in den 80er Jahren eine junge unverheiratete Frau, die einst Babysitterin in seiner Familie war, dazu gedrängt haben, ihr ungeborenes Kind zur Adoption freizugeben. Andernfalls habe er ihr mit Exkommunikation gedroht. Romney bestreitet dies, doch die Episode dürfte ihm im Wahlkampf noch zu schaffen machen.
Ohnehin stösst Mitt Romney wegen seines Glaubens gerade im christlich-konservativen Lager auf Ablehnung. Da erstaunt es wenig, dass sich die Mormonen umgekehrt vom Rest des Landes missverstanden fühlen. 62 Prozent gaben in einer Umfrage des renommierten Pew Research Center an, die Amerikaner wüssten zu wenig über den Mormonismus. Die «Aussteigerin» Carrie Sheffield spielt den Ball allerdings zurück. Die Kirche verhalte sich gegenüber Aussenstehenden «nicht gerade willkommen», schreibt sie. So ist etwa Nichtgläubigen der Zutritt zu den Mormonen-Tempeln strikt verboten.
Geheimniskrämerei um die Finanzen der Kirche (sie gilt wegen den Abgaben ihrer Mitglieder als schwerreich), Frauen- und Schwulenfeindlichkeit gehören zu den weiteren Kritikpunkten von Sheffield. Und Rassismus, könnte man anfügen, denn bis 1978 waren Schwarze nicht zum Priesteramt zugelassen. Die Ex-Mormonin fordert einen fundamentalen Wandel. Manche Mormonen würden Kirchengründer Joseph Smith mit dem Reformator Martin Luther vergleichen, schreibt sie. In Wirklichkeit «braucht der Mormonismus seinen eigenen Luther».