Amerikas KriegseintrittRoosevelt und die Pearl-Harbor-Verschwörung
Hat Präsident Franklin D. Roosevelt über den japanischen Angriff in Hawaii vor 70 Jahren Bescheid gewusst? Verschwörungstheoretiker sind überzeugt, er habe damit den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg erzwingen wollen.
Eines unterscheidet den 7. Dezember 1941 vom 11. September 2001: Niemand behauptet ernsthaft, die USA hätten den Angriff auf ihre Pazifikflotte in Pearl Harbor selbst inszeniert. Die «Täterschaft» der kaiserlich-japanischen Marine steht ausser Zweifel. Doch ähnlich wie bei 9/11 sind auch im Fall von Pearl Harbor viele davon überzeugt, dass die US-Regierung im Vorfeld Bescheid gewusst und den Angriff provoziert oder zumindest zugelassen hat. Dadurch sollte der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg herbeigeführt werden.
Tatsache ist: US-Präsident Franklin D. Roosevelt war gewillt, dem britischen Premierminister Winston Churchill zu Hilfe zu eilen. Dieser führte an der europäischen Westfront einen einsamen Kampf gegen Nazi-Deutschland. Doch die Vereinigten Staaten hatten die Grosse Depression kaum überwunden, entsprechend stark war die isolationistische Gesinnung. Eine grosse Mehrheit der US-Bevölkerung lehnte eine «Einmischung» in den europäischen Krieg ab. Nach dem 7. Dezember 1941 wandelte sich die Stimmung faktisch über Nacht. Der «Tag der Schande» – so Roosevelt – setzte die amerikanische Kriegsmaschinerie in Gang.
Flugzeugträger in Sicherheit gebracht?
Drei Tage nach dem japanischen Angriff erklärte auch Deutschland den USA den Krieg – Roosevelt schien sein Ziel erreicht zu haben. Schon damals äusserten Kritiker Zweifel daran, dass die US-Regierung von den Japanern wirklich überrascht wurde. Bis heute blühen die Verschwörungstheorien rund um Pearl Harbor. Der Historiker Robert Stinnett behauptete in seinem Buch «Day of Deceit» (Tag der Täuschung), die USA hätten den japanischen Marinecode JN-25 schon vor dem Angriff geknackt. Weil die japanische Flotte zudem die Funkstille nicht eingehalten habe, sei man über ihre Bewegungen im Bild gewesen.
Hinzu kommen weitere Ungereimtheiten, besonders die Tatsache, dass die beiden in Hawaii stationierten US-Flugzeugträger «Enterprise» und «Lexington» sich ausgerechnet am Tag des Angriffs nicht im Hafen befunden hatten. Wurden sie rechtzeitig in Sicherheit gebracht? Tatsächlich hielt sich der materielle Schaden durch den japanischen Angriff in Grenzen. Die knapp 2500 getöteten Amerikaner habe man zynisch in Kauf genommen – ähnlich wie 60 Jahre später die rund 3000 Todesopfer in den New Yorker Twin Towers.
Hinweise zu wenig beachtet
Doch genau wie bei 9/11 halten die meisten seriösen Forscher die Verschwörungstheorien rund um Pearl Harbor für baren Unsinn. Der Marinecode etwa wurde erst im Frühjahr 1942 geknackt, und die Funkstille wurde von den Japanern sehr wohl beachtet. Es gab zwar Funksprüche, doch die wurden vom Festland abgeschickt, um die Amerikaner zu täuschen. «Weder Roosevelt noch sonst jemand in seiner Regierung wusste, dass die Japaner Pearl Harbor angreifen würden. Es gab keine Verschwörung», sagte der Historiker Craig Shirley, Autor eines neuen Buches über Amerikas Kriegseintritt, dem britischen «Telegraph».
Zwar habe es Hinweise gegeben, dass Japan eine militärische Aktion gegen US-Einrichtungen plante, doch diese seien zu wenig beachtet worden. Bereits im Januar 1941 berichtete Joseph Grew, der amerikanische Botschafter in Japan, von Gerüchten über einen Angriff auf Pearl Harbor. In den folgenden Monaten gab es weitere Indizien in diese Richtung. Doch niemand hielt einen solchen Husarenstreich für realistisch. Eher dachte man an einen Angriff auf eine Militärbasis auf den Philippinen.
Zweite Angriffswelle abgesagt
«Man konnte sich nicht vorstellen, dass die Japaner die Kühnheit besassen, eine Armee Tausende Meilen über den Pazifik zu bewegen, um Hawaii anzugreifen», sagt Shirley. Genauso wenig hielt man 2001 einen Angriff mit vier Flugzeugen auf die Symbole von Amerikas wirtschaftlicher und politischer Macht für möglich. Pearl Harbor war wie 9/11 nicht das Ergebnis einer Verschwörung, sondern von Schlamperei und Inkompetenz.
Zudem hätte der relativ geringe Schaden in Pearl Harbor weit schlimmer ausfallen können. Denn die Reparaturanlagen und die Ölvorräte im Kriegshafen wurden nicht getroffen. Sie wären das Ziel einer zweiten japanischen Angriffswelle gewesen. Diese wurde jedoch vom Befehlshaber Admiral Nagumo abgesagt, weil es bereits spät war und Landungen auf Flugzeugträgern bei Dunkelheit damals zu gefährlich waren. Eine zweite Attacke hätte vermutlich auch den Flugzeugträger «Enterprise» getroffen, der am Nachmittag in Pearl Harbor eingelaufen war.
Nur 17 Schlachtschiffe
Ein Aspekt wird ebenfalls oft übersehen: Amerika war 1941 nicht die hochgerüstete Supermacht von heute. «Wir hatten ein kleines Heer, eine kleine Marine und eine sehr kleine Luftwaffe», sagte der Historiker David Martinez, ein Mitarbeiter der Pearl-Harbor-Gedenkstätte, der Nachrichtenagentur AFP. So besassen die USA damals nur 17 Schlachtschiffe, von denen acht in Hawaii ankerten. Dass nur zwei – die «Arizona» und die «Oklahoma» – irreparabel beschädigt wurden, liess sich wohl kaum voraussehen.
Nicht Kalkül, sondern pures Glück hat dazu geführt, dass die US-Marine am 7. Dezember 1941 einigermassen ungeschoren davon kam und Amerika seine Kriegsvorbereitungen mit voller Kraft vorantreiben konnte. Und schliesslich spricht ein wichtiger Aspekt gegen eine Verschwörung: Sie hätte zahlreiche Beteiligte erfordert. Irgend jemand hätte wohl irgendwann geredet. Doch auch mehrere offizielle Untersuchungen erbrachten keinen Beweis dafür, dass Franklin D. Roosevelt die Attacke wissentlich und zynisch zugelassen hätte.