Kämpferinnen gegen ihr eigenes Recht

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FrauenstimmrechtKämpferinnen gegen ihr eigenes Recht

Aus Ablehnung gegenüber Feministinnen wehrte sich Rosmarie Köppel-Küng gegen das Frauenstimmrecht – und war nicht alleine. Ein Besuch, 40 Jahre danach.

Antonio Fumagalli
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Antonio Fumagalli

Am 7. Februar 1971 mussten sie die Segel streichen, der Kampf war verloren: Mit Zweidrittelsmehrheit entschieden die Schweizer Männer, dass künftig auch ihre Ehefrauen, Mütter und Töchter die Geschicke des Landes mitbestimmen durften. «Ich kann mich noch gut an jenen Tag erinnern», sagt Rosmarie Köppel-Küng und lehnt sich in ihren Polstersessel zurück, «die Enttäuschung war gross, obwohl wir mit diesem Ergebnis rechnen mussten.» Die Frauenrechtsbewegung der Nachkriegszeit hatte obsiegt – und damit ihrem jahrelangen Engagement gegen die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts über Nacht die Grundlage entzogen.

Angefangen hatte alles mit einem Leserbrief im Jahre 1959: Die 32-jährige Köppel-Küng, noch unverheiratet und mit einer Ausbildung als Kindergärtnerin in der Tasche, äusserte auf postalischem Weg ihren Unmut über einen Leitartikel der damaligen Annabelle-Chefredaktorin, in ihren Augen der «Inbegriff einer Frauenrechtlerin». Die Zuschrift wurde veröffentlicht – und knapp zwei Wochen später sollte Frau Köppel-Küng einen schicksalsträchtigen Anruf erhalten.

Am anderen Ende der Leitung: Eine Vertreterin des «Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht». Der ihr bis anhin völlig unbekannte Verein war eben erst aus dem «Schweizerischen Frauenkomitee gegen das Frauenstimmrecht» hervorgegangen, das sich im Hinblick auf die erste nationale Abstimmung zum Thema eilig gebildet hatte. «Diese Frauen haben mein weibliches Idealbild verkörpert. Ich fühlte mich sofort aufgehoben, obwohl ich mit Abstand die Jüngste war», erinnert sich Köppel-Küng. Schneller als ihr gewahr wurde, war sie Aktuarin des Bundes.

Die Furcht vor dem sozialen Niedergang

Was treibt Frauen an, sich gegen die Einführung eines für sie bestimmten Rechts aufzulehnen? Daniel Furter hat sich im Rahmen seiner historischen Lizentiatsarbeit an der Universität Bern eingehend mit der Frage befasst: «Im Allgemeinen waren die Gegnerinnen des Frauenstimmrechts einer gehobenen Gesellschaftsschicht angehörig und empfanden die sozialen Entwicklungen der Nachkriegszeit nicht als Chance, sondern als Bedrohung», sagt Furter. Mit der Einführung des allgemeinen Stimm- und Wahlrechts befürchteten sie eine Verschlechterung ihrer sozialen Stellung, hatten sie in ihrer Optik unter der vorherrschenden Ordnung ja unter keinen ihnen relevant erscheinenden Diskriminierungen zu leiden.

Hinzu kommt das elitäre Umfeld der «umgekehrten Suffragetten», wie sie Furter in seiner Arbeit nennt: «Die Frauen stammten aus einem wertkonservativen, rechtsbürgerlichen Milieu und vertraten ein Geschlechtermodell, welches das Private der Frau und das Öffentliche dem Mann zuschrieb.» Die Furcht, die Emanzipation führe zu einem Zerfall traditioneller Werte und zu sozialem Wandel, war aus dieser antifeministischen Logik gross.

Das Zugbillett aus der Vereinskasse

«Dem kann ich nur bedingt zustimmen», sagt Rosmarie Köppel-Küng, «es stimmt zwar, dass wir den Frauen abgesprochen haben, in einer vergleichbaren Position gleich belastbar und überlegt zu sein wie ein Mann. Dieser Meinung bin ich übrigens noch heute.» Es treffe allerdings nicht zu, dass die meisten Mitglieder des Anti-Frauenstimmrecht-Bundes aus gutem Hause gekommen seien: «Einigen mussten wir jeweils sogar das Zugbillett für die Anreise zur Generalversammlung aus der Vereinskasse bezahlen», so die Sehschultherapeutin.

Ohnehin sei ihr Engagement im «Bund gegen das Frauenstimmrecht» mehr als Abwehrreflex gegen einen Typ Frau zu verstehen. «Eine Frau muss für mich weiblich und gepflegt sein, was sich von vielen politisierten Feministinnen nicht sagen lässt. Zudem soll die Familie im Zentrum stehen», sagt Köppel-Küng. Die sich mit den Emanzipationsbewegungen der Nachkriegsjahre entfaltenden Frauen entsprachen nicht diesem Bild. Entsprechend wollte sie diese nicht an der Macht sehen. Die Ablehnung eines ihr eigentlich zustehenden Rechts war ein Aufhänger, um ein in ihren Augen grösseres Übel zu verhindern. Dass sie damit das Kind mit dem Bade ausschüttete, nahm sie bewusst in Kauf.

Nur so ist zu erklären, dass es durchaus politische Frauen gibt, die Köppel-Küng imponieren: Golda Meir, die erste Premierministerin Israels, ist eine, Angela Merkel eine andere. «Es sind aber halt nicht viele, die Familie und Politik unter einen Hut bringen können», sagt sie und schenkt sich nochmals eine Tasse Kaffee ein.

Der verlorene Kampf gegen Windmühlen

Der «Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht» führte anfänglich ein Schattendasein. Man auferlegte sich Zurückhaltung und versuchte, durch Medienarbeit seine Positionen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zwischen der ersten eidgenössischen Abstimmung zum Thema von 1959, in welcher die Schweizer Männer das Frauenstimmrecht noch haushoch verwarfen, und der letztlich entscheidenden Vorlage von 1971 veränderte sich die Gesellschaft aber tiefgreifend. Flower Power statt Häkeldecke war angesagt und die von wertkonservativen Fesseln befreiten Forderungen der Hippie-Bewegung fanden auch in Bezug auf Geschlechterfragen ihren Widerhall in der Bevölkerung. Kurz: Die öffentliche und veröffentlichte Meinung hatte sich gewandelt.

Die Zeitungen wollten die Ansichten der Anti-Frauenstimmrechtlerinnen je länger, desto weniger abdrucken. Es brauchte also einen Kurswechsel: Die Frauen erkannten, dass gezieltes Lobbying bei der Landesregierung (siehe Bildstrecke) oder in den kantonalen Exekutiven zielführender ist. Nicht ohne Erfolg: Die Stellungnahme des «Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht» fand in den Botschaften des Bundesrates zum Thema mehrmals Erwähnung.

Der Wandel der Zeit war dennoch nicht aufzuhalten: Gegen Ende der Sechzigerjahre, als mehrere Stände das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene bereits eingeführt hatten, verkam das Vorgehen der Anti-Feministinnen immer mehr zum Kampf gegen Windmühlen. «Dies zeigte sich unter anderem dadurch, dass sich im zweiten Abstimmungskampf – auch aus Rücksicht auf zukünftige Wählerinnen – nur noch vereinzelt Parlamentarier gegen das Frauenstimmrecht engagierten», so Historiker Furter.

Es kam, wie es kommen musste: Die Schweizerinnen erhielten – mit Ausnahme des Kantons Appenzell Innerrhoden, wo das Frauenstimmrecht erst per Bundesgerichtsbeschluss im Jahr 1990 eingeführt wurde – die vollen politischen Rechte und die Daseinsberechtigung des «Bundes gegen das Frauenstimmrecht» fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Keine zwei Monate nach der Abstimmung war der Verein offiziell aufgelöst.

Der widersprüchliche Gang zur Urne

Wer nun denkt, dass dessen ehemalige Mitglieder konsequenterweise ihr neu erworbenes Stimmrecht nicht ausübten, liegt falsch. Zwar hat keine für ein öffentliches Amt kandidiert, zur Urne gingen sie aber alle. «Es ist mir bewusst, dass es widersprüchlich klingt. Aber schliesslich waren wir ja in hohem Mass politisch interessiert», sagt Köppel-Küng.

Die 83-Jährige lebt heute zurückgezogen in der Nähe von Basel. Mit ihren damaligen Weggefährtinnen vom «Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht» pflegte sie auch nach dessen Auflösung noch jahrelang freundschaftliche Kontakte, mittlerweile sind sie aber praktisch alle gestorben. Obwohl sie ihr ehemaliges Engagement nicht bereut, sagt sie heute selbstkritisch: «Wir hätten wohl nicht gegen ein Projekt kämpfen müssen, sondern für die Werte, die wir vertraten. Vielleicht hätte uns ein Kommunikationsberater gut getan – aber die gab es ja damals noch nicht.»

Eine überarbeitete Version von Daniel Furters Lizentiatsarbeit wird noch dieses Jahr in Buchform erscheinen.

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