Zu teuer, nützt nichtsSoll der Tiger doch aussterben!
Der in Freiheit lebende Tiger ist bald von der Erde verschwunden, tot, ausgerottet. Wäre das schlimm? Diese ketzerische Frage stellt die britische BBC. Die Antwort: Nein. Äh, doch.
Der Tiger gilt als stark gefährdet, die Population der grössten Raubkatze der Welt wird von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) auf nur noch etwa 3000 Exemplare geschätzt. Diese Zahl ist erbärmlich, wenn man davon ausgeht, dass um 1900 noch 100 000 Tiger die Erde von Sibirien über Bali bis in die Türkei bevölkert haben. Drei Unterarten der Grosskatze gelten bereits als ausgestorben: Der Java- und der Bali- wie auch der Kaspische Tiger. Wenn nicht schleunigst etwas unternommen wird, droht den restlichen sechs Unterarten das gleiche finale Schicksal.
Wie schlimm wäre es, wenn uns die Streifenkatzen ausgingen? Diese freche Frage stellt eine Wissenschaftsredaktorin auf bbc.co.uk. Die Britin Gaia Vince kennt einige Gründe, die nicht unbedingt für die Arterhaltung von Tigern sprechen.
Kontra Tiger: Die Journalistin
Da wäre zuerst einmal die Tatsache, dass die meisten Menschen eh nie einen Tiger in der Wildnis sehen werden. Darum spielt es laut Vince keine Rolle, ob es ihn dort gibt oder eben nicht. Überkommt einen dann doch mal die Neugier, gibt es schliesslich genug Film- und Fotomaterial, das die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zeigt.
Tiger gibt es, so Vince weiter, genug. Zwar nicht in der freien Wildbahn, aber in Zoos und Parks leben schätzungsweise 20 000 Stück. Dort kann sie bewundern, wer will.
Auch die Kosten sprechen gegen die Erhaltung des Tigers. Gemäss der Britin befürchten Wissenschaftler, dass die gegenwärtige Ausrottung diverser Tierarten als die sechste Massenausrottung in die 4,5 Milliarden Jahre Erdgeschichte eingehen wird. Wollte man alle Arten retten, würde das 300 Milliarden Dollar kosten. Pro Jahr! Für den wilden Tiger alleine würden 350 Millionen Dollar reichen. Sind sie dieses Geld wert?
Neben den hohen Kosten führt Gaia Vince ihren tiefen Nutzen an. Tigerteile, die medizinische Verwendung finden, kosten je mehr, desto rarer die Raubkatzen werden. So berappt man laut WWF in Taiwan, Korea und China für eine Schale Tiger-Penis-Suppe zur Förderung der steifen Männlichkeit schlappe 320 Dollar, ein Set Tigeraugen gegen Epilepsie kostet 170 Dollar und Knochenstaub gegen Gschwüre und Typhus erzielen in Seoul 3200 Dollar pro Kilo. Das Problem – für den Tiger: Diese vermeintlichen Wundermittel braucht es gar nicht, die gewünschte Wirkung kann auch mit anderer Medizin (nicht) erreicht werden. Sie sind also widerum kein Grund, das Tier zu schützen.
Und der Mensch, damit kommt Vince zum nächsten Punkt, schützt nur, was ihm nützt. Den Auerochsen liess er aussterben, ein Schicksal, das die mit ihm verwandte Milchkuh hundert Pro nicht ereilen wird. Gleiches ist beim Wolf und Hund in England zu beobachten: Der eine wurde auf der Insel schon im 18. Jahrhundert ausgemerzt, der andere wird millionenfach als Schoss-, Jagd- und Familienhund verhätschelt, genutzt und geherzt.
Doch müsste man die Raubkatze nicht schon aus kulturhistorischen Gründen schützen? Vielleicht, meint Vince in ihrem letzten Argument gegen den Tiger. Doch nützen wird ihm das nichts. Genauso wenig wie es dem Asiatischen Löwen zugute kam. Oder dem Berberlöwen, der in groben römischen Zeiten gegen die Gladiatoren kämpfen musste und dessen letzter Vertreter 1922 von einem Jäger erschosssen wurde.
Pro Tiger: Der WWF
Den diversen Argumenten der Wisschaftsjournalistin hält der WWF dann doch noch Gründe zum Schutz des Tigers entgegen. So könnte seine Rettung auch die Erhaltung von anderen gefährdeten Tieren bedeuten. Denn ihr Revier, das rund 100 Quadratkilometer gross sein müsste, könnte die Grosskatze mit Nashörnern teilen. Ausserdem würde der Spitzenjäger dafür sorgen, dass die Zahl anderer, sich vegetarisch ernährender Mitbewohner, klein genug bliebe. So würden die dort wachsenden Bäume nicht allesamt aufgefuttert, sondern könnnten auch vom Menschen genutzt werden. Ebenfalls profitieren könnte von wilden Tigern laut dem WWF nicht zuletzt die Tourismusbranche.
Woher das Geld nehmen?
Doch wer, zerstört Gaia Vince das schöne Bild, soll das bezahlen? Wer übernimmt die Kosten für die Einzäumung, die Administration der Besucher, die Löhne der Parkwächter und die Entschädigungen für die Bauern, sollte der Tiger doch mal über den Hag fressen und eine Kuh erlegen? Doch Vince will ja nicht nur schwarzmalen, sie liefert auch eine mögliche Lösung: Warum nicht die Touristen bezahlen lassen, wenn sie einen Tiger sehen möchten? Schiesslich koste das Begaffen von Affen, zum Beispiel der Berggorillas in Ruanda, mindestens 500 Dollar pro Nase.
Nachdem die BBC-Journalistin diverse Pros und Kontras aufgelistet hat, findet sie zum Schluss dann doch noch beschwichtigende Worte, wohl auch um die Flut von Leser-Mails an die BBC einzudämmen. Wir Menschen, so die Britin, haben «den ethischen und moralischen Auftrag, den Tiger in der Wildnis zu retten.» Und weiter: «Ich möchte nicht Teil der Generation sein, die seine Ausrottung zu verantworten hat.» Und da dies kaum einer im Ernst sein will, könnte doch noch Hoffnung für den Tiger bestehen.