ReisläufereiAls «Schweizer» für «knallharter Typ» stand
Ein US-Historiker erklärt, weshalb der Papst die Schweizer Garde hat und singt dabei ein Loblied auf die alten Eidgenossen.
Haben Sie sich je gefragt, wie es kommt, dass der Vatikan von Schweizer Gardisten in lustig anzusehenden Kostümen bewacht wird? Die Antwort ist einfach: Im Spätmittelalter war der Papst ein wichtiger Akteur. Militärisch hatte er Gewicht.
Er besass riesige Gebiete, stellte Armeen auf und hatte augenscheinlich wenig Skrupel, mit diesen Armeen Massengewalt zu verüben. Den Kern vieler dieser Armeen bildeten Söldner. Da sie reich waren, heuerten die Päpste die allerbesten, die allertödlichsten, die engagiertesten Söldner an, die es gab. Und ab dem späten 15. Jahrhundert unter Papst Sixtus IV. waren das … die Schweizer.
Ja, die Schweizer. Vor langer Zeit waren die Schweizer Hauptexportgüter nämlich nicht Uhren, Schokolade, Käse und das Bankgeheimnis. Was die Schweizer vom 14. bis ins frühe 16. Jahrhundert nach Europa exportierten, waren die mit Abstand gewalttätigsten, tödlichsten und bösartigsten Kampftruppen, die es in Europa für Geld zu kaufen gab: die Eidgenossen.
Was? Die Schweizer?
Ja, die Schweizer. Es war einmal, da waren sie die härtesten Kerle im Quartier. Doch um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muss man sich ein paar Gedanken zu ihren Lebensumständen machen.
Kein Feudalismus in den Alpen
Feudalismus, dieses hierarchische System gesellschaftlicher Organisation, setzte voraus, dass die Eliten die Produktionsmittel beherrschten. Ja, ich weiss, ich klinge wie Bernie Sanders und so, aber darauf lief es heraus. Wenn du die lokale Bevölkerung beherrschen konntest, konntest du den lokalen Reichtum kontrollieren.
Die Herrschaft konnte direkt («Gib mir») oder indirekt sein («Wenn du mir gibst, werde ich dich vor den anderen beschützen»), gewöhnlich aber war es eine Kombination aus beidem. Natürlich traf das meist auf landwirtschaftliche Gebiete zu, wo die Menschen an ihr Land gebunden waren. In den Alpen war das eher nicht der Fall.
Nicht komplett, aber zu einem hohen Grad waren die Pastoralisten (sprich: die Schaf- und Kuhhirten) der Alpentäler nie einem tiefen Feudalismus unterworfen, weil sie letzten Endes einfach das Tal wechseln konnten. Und dagegen konnte der Lehnsherr genau gar nichts machen.
In einem Tal eine Burg bauen? Gut, dann wechsle ich ins nächste rüber. Das macht es dem Lehnsherrn von vornherein einigermassen schwer, genug Geld anzuhäufen, um überhaupt eine Burg zu bauen.
Und so gab es in einem grossen Teil von dem, was heute die Schweiz ist, freie Männer, die durch ihre Familien sowie persönlichen und kommerziellen Beziehungen gebunden waren, nicht durch den Feudalismus. Das war wichtig. (Beachte: Das ist eine starke Überspitzung einer sehr komplexen Sachlage, aber ausreichend, um das Wesentliche zu vermitteln).
Ein mächtiges Werkzeug
Im frühen 14. Jahrhundert gehts dann los mit feindlichen Einfällen auswärtiger Mächte, feudaler Mächte, die versuchten, Teilen der Schweiz oder besser gesagt den Ständen, die heute die Schweiz bilden, ihre eigene Herrschaft aufzudrücken. Orte wie der Gotthardpass waren begehrt. Diese feudalen Mächte glaubten, dass ihre Rüstungen und Ritter den Bauern der Schweiz ein Ende setzen würden. Dumme Idee.
Die Schweizer waren in der Regel nicht reich und hatten deshalb keine schweren Waffen oder Rüstungen. Aber sie konnten Speere machen, verdammt mächtige Speere – bis zu sechs Meter lang –und zweieinhalb Meter lange Äxte, bekannt als Hellebarden, und Schwerter, die grosse wie ein Mann waren.
Sie konnten sich keine schicken Plattenpanzer oder Kettenhemden leisten, aber sie entdeckten ein viel mächtigeres Werkzeug. Durch Zusammenarbeit, en masse, konnten sie eine Streitmacht bilden, die alles abschlachten sollte, das vor ihr stand.
Wertvolle Gefangene
Denken Sie daran, in mittelalterlichen Kriegen, nachdem sich der Feudalismus etabliert hatte, waren Ritter und ihresgleichen die Herren im Hause. Es war verdammt schwer, im Kampf Mann gegen Mann einen Ritter zu töten.
Aber wenn es auch schwer war, einen Ritter zu töten, so konnte man ihn doch immerhin in die Knie zwingen und ihn dann gefangen nehmen. Ein gefangener Ritter war einen Haufen Geld wert, und so wurde es mit der Zeit üblich, dass man Ritter im Krieg einfing.
Später wurden sie dann von ihren Familien oder ihren Lehnsherren freigekauft. Einen Gefangenen zu nehmen wurde zu einem wichtigen wirtschaftlichen Anreiz, solange der Gefangene ein Ritter oder ein Adliger war.
Einer aus dem gemeinen Volk? Brachte nichts. Abschlachten und weiterziehen.
Was so viel heisst, wie dass die Schweizer verdammt gut wussten, dass sie nichts zu verlieren hatten. Und da ihre einzige Überlebenschance darin bestand, einen vernichtenden Sieg zu erringen, hatten sie selber keinen Grund, aus der Hauptformation auszubrechen und Gefangene zu nehmen. Ahhh, das Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen.
Wie eine Dampfwalze
Die taktische Hauptwaffe der Schweizer, nach einigem Ausprobieren, war absurd einfach. Es war ein sechs Meter langer Speer mit einer 30 Zentimeter langen Eisen- oder Stahlspitze am Ende. Die Schweizer – wie gesagt mehr oder weniger ungepanzert – stellten sich in einer riesigen disziplinierten Formation, einer Phalanx, auf. Dann rückten sie vor, mehr als 3000 von ihnen aufs Mal pro Formation. Ganz offensichtlich waren Gefangene das Letzte, woran sie jetzt dachten.
Das erste Glied senkte seine Speerspitzen, dann das zweite und das dritte und das vierte … bis alles, was man von vorne sah, eine konzentrierte Masse von scharfen Spitzen war, die mit Karacho direkt auf einen zu kam.
Nein, diese Formation konnte nicht abdrehen. Sie war nicht flexibel. Sie konnte nicht manövrieren. Aber was sie konnte, hatte man seit beinahe tausend Jahren nicht mehr gesehen. Sie konnte alles, was vor ihr stand, töten, ohne Gnade.
Man hätte gerade so gut eine Pistole auf eine Dampfwalze abfeuern können.
Am Ende blieb nur totes Fleisch
Und wenn die vorderen Reihen diese idiotischen Ritter und Krieger, die versuchten, sich ihnen in den Weg zu stellen, nicht töteten, so warfen sie sie wenigstens um. Dann gingen sie über sie hinweg, und das sechste, siebte, achte … zwanzigste Glied stach mit kurzen Schwertern oder Messern nach unten und tötete sie, ohne anzuhalten, während man weiter vorrückte.
Das Einzige, was hinten aus einem Eidgenossen-Sturm herauskam, war eine Leiche. Keine Geisel, niemand, der freigekauft werden konnte, nur totes Fleisch.
Das war keine militärische Revolution, die auf einer neuen Technologie basierte, sondern auf einer uralten, die in einer Art verwendet wurde, wie man sie seit Jahrtausenden nicht mehr gesehen hatte. Es war eine «neue» Doktrin, und sie funktionierte.
Furchteinflössend
Das alleine war nicht nur eine Beleidigung für die hochbezahlten und durchtrainierten Ritter und Adligen, sondern jagte ihnen auch eine Scheissangst ein, wenn sie den Schweizern gegenübertreten mussten.
Noch viel schlimmer war aber, dass die Schweizer für sich selber nichts anderes erwarteten, wie mehrere selbstmörderische Sturmangriffe gegen zahlenmässig stark überlegene Gegner zeigten. Diese Tatsache machte die Furcht nur noch grösser, die die Feinde überkam, wenn sie eine Eidgenossen-Formation auf einem Hügel erblickten und diese begann, auf sie zuzustürmen.
Keine Pause
Die Methode und das System der taktischen Organisation der Schweizer, das ursprünglich aus der Not entstanden war, als sie ab dem frühen 14. Jahrhundert um ihre eigene Unabhängigkeit kämpften, war einfach. Lokale Kräfte, man kann sie nur als Miliz bezeichnen, rotteten sich rasch an einem vorbestimmten Platz zusammen. Sobald genug da waren, begannen sie, in Richtung des Gegners zu marschieren.
Bevor sie dort ankamen, bildeten sie bereits ihre Kampfformation und gingen dann unmittelbar zum Angriff über. Es gab keine Pause, kein «Lasst uns mal sehen», kein «Beurteilen der Situation». Zuerst kam der Angriff, und zwar immer. Auch das spielte eine Rolle, psychologisch auf einer taktischen Ebene und schliesslich auch auf einer strategischen Ebene.
St. Jakob an der Birs
Nehmen wir zum Beispiel die Schlacht von St. Jakob an der Birs 1444.
Der französische Thronfolger Louis erhielt von seinem Vater den Auftrag, die belagerte Stadt Zürich zu befreien und startete in jenem Jahr eine Invasion mit rund 30'000 Mann. (Beachte: Die Quellen geben verschiedene Zahlen an, die Spanne reicht von 15'000 bis 30'000 insgesamt). Das kam nicht so gut.
Just nachdem Louis mit seiner Armee die Grenze bei Basel, nahe dem Punkt, wo die heutigen Nationen Frankreich, Deutschland und Schweiz zusammenkommen, überschritten hatte, kam die erste Welle der Eidgenossen über einen Hügel und krachte – ohne Pause – in die Mitte seiner Kolonne.
Es waren nur etwa 1500 Mann. Und obwohl wir die genaue Zahl nicht kennen, ist klar, dass sie zahlenmässig mindestens um den Faktor 15, vielleicht gar um den Faktor 20 unterlegen waren. Und trotzdem bremsten sie nicht einmal. Halten Sie sich das vor Augen!
Sie zerschlugen die Mitte von Louis' Kolonne und mussten sich dann der Realität stellen. Sie bildeten einen Igel und richteten ihre Speere nach allen Seiten aus. Immer wieder, den ganzen Tag, griff Louis an, liess seine Armbrustschützen auf die Schweizer schiessen und tat alles, was in seiner Macht stand.
Am Ende waren alle Schweizer tot, aber auch rund ein Siebtel von Louis' Armee, etwas mehr als 2000 von ihnen, und dabei hatten sie nur das Äquivalent einer Ortseinheit der Nationalgarde zu bekämpfen. Louis hatte noch nicht einmal die zusammengezogenen Formationen von 10'000 bis 20'000 Mann gesehen, die er ein paar Meilen weiter im Landesinnern erwarten konnte. In dieser Nacht drehte er um – und ging.
Kein Geld, keine Schweizer
Rund 200 Jahre lang, vom ersten Sieg am Morgarten (1315) bis ins frühe 16. Jahrhundert, als die Technologie ihren Enthusiasmus überwältigte, standen die Schweizer unangefochten an der Spitze. Im Unterschied zu jenem der Langbogenschützen von England und Wales war ihr Können übertragbar, es brauchte hauptsächlich Disziplin, nicht jahrelanges Training.
Und so, nachdem die Schweizer ihre Unabhängigkeit gefestigt hatten, begannen sie ihr tödliches Können als Söldner zu exportieren (daher die Redensart «pas d'argent, pas de Suisses», kein Geld, keine Schweizer). Andere, besonders die deutschen Landsknechte, begannen, ihre Methoden und ihre Formationen zu kopieren. Aber die Schweizer boten am Ende das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, wenn es ums Töten ging.
Der Originalartikel erschien im «Daily Beast».
Übersetzung: Jean-Claude Gerber

Über den Autor
Robert Bateman aus Ohio lehrte Militärgeschichte an der US-Militärakademie in West Point, der George Mason University in Virginia und der Georgetown University in Washington D. C. Als Austauschstudent lebte er einige Zeit in Gland VD woher sein Interesse, und seine Fürsprache, für einige Aspekte der Schweizer Aspekte herrührt.