Riesen-Op mit 150 ÄrztenNeues Gesicht – neues Leben
Bei einem Schiess-Unfall wurde Richards Lee Norris' Gesicht völlig entstellt. 15 Jahre konnte er nicht sprechen. Dank der grössten Gesichts-Transplantation der Geschichte wartet nun ein neues Leben auf ihn.
Richard Lee Norris hat 15 Jahre lang nicht geredet. Bei einem Unfall war sein gesamtes Gesicht weggeschossen worden. Jetzt haben Ärzte Norris' altes Gesicht gegen ein komplett neues getauscht. Wie im Film Face-off.
Nach einem Unfall mit einem Gewehr war von Richard Lee Norris' Gesicht kaum noch etwas übrig. Es war so deformiert, dass Norris nicht mehr sprechen konnte. Auch beissen konnte er nicht mehr, so dass er kaum etwas ass. 15 Jahre lang verkroch sich der Mann aus Hillsville, Virginia, bei sich zu Hause. Er ging nur nachts einkaufen, um nicht angestarrt zu werden, trug bei seinen seltenen Ausflügen Maske und Baseball-Kappe. Er arbeitete nicht und heiratete nie.
Zwölf erfolglose Operationen
Jetzt beginnt sich Norris aus seinem Gefängnis der Einsamkeit zu befreien. Sieben Monate nach seiner vollumfassenden Gesichts-Transplantation, der bislang grössten in der Geschichte der Medizin, wie die «Washington Post» schreibt.
Möglich machten es starke Medikamente – und Norris' noch stärkerer Wille. Denn der Heilungsprozess verlief schneller und besser als erwartet. «Wir Ärzte führen die Operation aus, aber der Rest liegt am Patienten. Er muss den Ball tragen», so Norrris' Arzt Eduardo Rodriguez in Anspielung auf die populäre US-Sportart American Football. «Norris nahm den Ball auf und rannte los.»
Als Norris 2005 am University of Maryland Medical Center als Transplantations-Kandidat aufgenommen wurde, hatte er bereits über ein Dutzend Operationen hinter sich. Sie alle hatten zum Ziel, dass Norris zumindest seinen Mund wieder benutzen konnte. Sie alle scheiterten, denn die Schäden an Lippen, Nase und Zunge waren zu gross. «Nach mehreren Versuchen einer Rekonstruktion gab es nur noch die Möglichkeit einer Transplantation», so Norris im schriftlich geführten Interview mit der «Washington Post».
150 Menschen an der Transplantation beteiligt
In einer 36-stündigen Operation wurde im März 2012 Norris' Gesicht transplantiert. 150 Ärzte und Schwestern waren an dem Mammut-Eingriff beteiligt. «Alles von meinem Skalp bis zu Mitte meines Halses wurde ersetzt, inklusive meines Kiefers, meiner Zähne, eines Teils meiner Zunge, Gesichtsmuskeln und Nerven», so Norris.
Und die Ergebnisse liessen sich sehen: Bereits eine Woche nach der Transplantation konnte sich Norris rasieren und seine Zähne putzen. Dennoch zog sich der Heilungsprozess in die Länge, Norris blieb zwei Monate im Spital, wo er mit Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern an seiner Genesung arbeitete.
Das grosse Problem war und ist weiterhin die Gefahr einer Abstossung des Gewebes. Starke Medikamente sollen dies verhindern. Auf sie wird Norris sein Leben lang nicht verzichten können. Hoffnung geben ihm frühere Transplantationen. 2012 wurde in Spanien die erste, wenn auch weniger umfassende Gesichtstransplantation vorgenommen, der Patient lebt auch heute noch mit seinem neuen Gesicht.
«Jetzt kann ich mit meinem Leben weitermachen»
«Die Frage, die wir am meisten hören, lautet: ‹Wie geht Norris damit um, ein neues Gesicht zu haben?›», erzählt Chirurg Rodriguez. «Wir denken aufgrund des ganz neuen Aussehens sofort an eine Identitätskrise.» Doch dies seien Vorstellungen von Menschen mit «normalen» Gesichtern. Verunstaltete Menschen wie Norris aber, die deswegen jeden Kontakt zur Gesellschaft verloren, empfänden dies anders.
Der Heilungsprozess und die Resozialisierung nach 15 Jahren ist dennoch schwierig. Allein Zunge und Zähne wieder zu gebrauchen ist eine enorme Herausforderung. Aber: «Ich kann jetzt unter Menschen gehen, ohne angestarrt zu werden», schreibt Norris. Mittlerweile ist Norris wieder bei sich zu Hause in Hillsville und geht wöchentlich zur Therapie. «Hier mache ich jeden Tag Fortschritte im Bemühen, meine Sprache wieder zu erlangen.» Er fügt an: «Das Leben meiner Freunde ist weitergegangen, sie haben Familie und Karriere. Jetzt kann auch ich mit meinem Leben weitermachen, das mir wiedergegeben wurde.»