Wo's wirklich kalt ist

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Kalte ZeitenWo's wirklich kalt ist

Sie frieren? Dabei ist es hier doch angenehm warm! In Werchojansk, der kältesten Stadt der Welt, herrschen derzeit Temperaturen von -39° bis -48° Celsius. Und das ist noch gar nichts.

Daniel Huber
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Daniel Huber
Kalt, kälter, Werchojansk: Eine Gedenktafel am Kältepol-Denkmal erinnert in der sibirischen Stadt an mehrere Kälterekorde (Bild: PD)

Kalt, kälter, Werchojansk: Eine Gedenktafel am Kältepol-Denkmal erinnert in der sibirischen Stadt an mehrere Kälterekorde (Bild: PD)

Eine wahrhaft sibirische Kältewelle sorgt derzeit für Zähneklappern in der Schweiz. Doch in gewissen kälteerprobten Gegenden der Welt hätte man für unsere aktuellen Temperaturwerte nur ein müdes Lächeln übrig.

Zum Beispiel in Werchojansk, einer Stadt in Nordjakutien, dem Kühlschrank von Sibirien. Die Siedlung mit nicht einmal 1500 Einwohnern liegt 110 km nördlich des Polarkreises. Kosaken gründeten den Ort 1638 am Jana-Fluss; 1817 wurde Werchojansk zur Stadt erhoben. Viele, die bis ins 20. Jahrhundert hinein in die Stadt gelangten, kamen nicht freiwillig: Sie waren nach Sibirien verbannt worden.

Es gibt ausser Rentieren nicht viel in Werchojansk, und deshalb sind die Bewohner wohl besonders stolz auf das, was die Stadt weltweit berühmt gemacht hat: die Kälte.

Kältepol

Das Januarmittel beispielsweise beträgt atemberaubend kühle -48,9°C; übrigens genau die Temperatur, ab der die Kinder im Ort kältefrei haben: Ab -49°C jubeln die Unterstufenschüler, die Oberstufenschüler erst ab -57°C.

Heute sind es nur gerade zwischen -39° und -48°C. Die kälteste je in Werchojansk gemessene Temperatur lag da um einiges tiefer: -75°C. Allerdings wurde dieser Rekord nie offiziell bestätigt; der niedrigste anerkannte Wert betrug «nur» -67,8°C. Das war 1892 und machte den Ort zum Kältepol aller bewohnten Gebiete der Erde. Ein Kältepol-Denkmal (siehe Bild oben) weist in der Stadt auf diesen Umstand hin.

Konkurrenz in Oimjakon

Bis 1916 konnte sich die Werchojansker Seele konkurrenzlos an diesem Rekord erwärmen — dann fiel das Thermometer im rund 600 Kilometer südöstlich von Werchojansk gelegenen Dorf Oimjakon auf unglaubliche -81,2°C. Freilich war auch dieser Wert nicht offiziell; genau so wenig wie jene -71,2°C von 1926, die in Oimjakon ebenfalls auf einem Kältepol-Denkmal verewigt wurden. Hingegen wurden 1964 tatsächlich -72°C offiziell gemessen. Für die Werchojansker bleibt aber weiterhin klar, dass die Messungen in Oimjakon nicht ganz exakt sein können.

Beide Orte liegen in einer Mulde, in der die kalte Luft über lange Zeiten hinweg liegen bleibt. Zudem beherrscht fast das ganze Jahr über ein Hochdruckgebiet die Gegend, was wegen des wolkenlosen Himmels zu einem enormen Wärmeverlust führt. Die riesige Entfernung zum Atlantik begünstigt das Kälteklima zusätzlich, denn auf der Nordhalbkugel bestimmt vor allem die Westwinddrift die Witterungsbedingungen. Der viel näher gelegene Pazifik übt daher praktisch keinen klimatischen Einfluss aus.

Im kurzen subpolaren Sommer mit den langen Tagen hingegen sorgen dieselben Verhältnisse für extrem hohe Temperaturen: Die höchste in Werchojansk gemessene Temperatur war 39°C. Das bedeutet, dass zwischen den Extremtemperaturen in Werchojansk eine Spanne von sage und schreibe 107°C liegt.

Der absolute Kältepol

Werchojansk und Oimjakon streiten sich um die Ehre des Kältepols aller bewohnten Gebiete, der mit dem Kältepol der Nordhalbkugel identisch ist. Denn Nordjakutien liegt zwar zwei- bis dreitausend Kilometer vom Nordpol entfernt, ist aber mit seinem extrem kontinentalen Klima gleichwohl kühler als die Polregion, die dem mässigenden Einfluss des Nordpolarmeers unterworfen ist.

Noch kälter aber ist es im tiefsten Süden: Der globale Kältepol liegt in der Antarktis. Die tiefste Temperatur, die je auf diesem Planeten gemessen wurde, waren klirrende -89,2°C. So tief fiel 1983 das Thermometer in der russischen Forschungsstation Wostok in der Ost-Antarktis (siehe Infografik).

Im Vergleich dazu ist es bei uns derzeit gemütlich warm.

Probleme bei Extremkälte

Bei extremen Minusgraden, wie sie im winterlichen Jakutien auftreten, können alltägliche Handlungen problematisch werden. Vor allem die Extremitäten müssen gut geschützt werden, damit es nicht zu Erfrierungen kommt. In der eiskalten Luft schmerzen die exponierten Hautflächen und die Nasenspitze wird schnell taub. Die Atemluft sticht; bei Anstrengungen muss man Vorsicht walten lassen, sonst gelangt bei tiefen Atemzügen zu viel eisige Luft in die Bronchien, was sehr schmerzhaft ist.

Problematisch ist auch die Befriedigung von bestimmten körperlichen Bedürfnissen: Wer bei dieser Kälte draussen pinkeln muss, sollte gut auf seine exponierten Körperteile aufpassen. Hingegen ist es nicht so, dass der Urin – wie oft behauptet wird – gefriert, bevor er am Boden ankommt. Der Harn verlässt den Körper nämlich mit rund 37 °C. Zudem enthält er Salze, die die Eisbildung verlangsamen. Damit der Urin gefroren ist, bevor er am Boden ankommt, müsste man von einem dutzende Meter hohen Gerüst herabpinkeln.

Auf keinen Fall sollte man der Versuchung nachgeben, bei Minusgraden mit der Zunge Gegenstände aus Metall abzulecken. Es kann sehr schnell passieren, dass sie am Metall festfriert. Das geschieht, weil das sehr kalte Metall, das ein hervorragender Wärmeleiter ist, den Speichel an der Zunge sofort zum Gefrieren bringt. Die Eiskristalle wachsen sofort in die unzähligen Poren der Zunge hinein und verbinden sie so mit dem Metall. Dann hilft nur noch Aufwärmen, am besten mit warmer Flüssigkeit.

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