Vagina dentata

Aktualisiert

Vagina dentata

Dieser Mythos bringt Männer zum Schaudern: Die mit Zähnen bestückte Vagina verschlingt alles, was sich in sie hineingewagt hat.

Daniel Huber
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Daniel Huber

Der Mythos der Vagina dentata ist wohl so alt wie die Furcht der Männer vor dem Verlust ihres Sexualorgans - und damit ihrer Männlichkeit.

Die mit Zähnen bestückte Scheide findet sich im Mythenschatz vieler Kulturen. So gibt es bei nordamerikanischen Indianern eine Sage, wonach ein Held eine «Schreckliche Mutter» überwältigen muss, in deren Vagina ein Fisch lauert. Indem er die Zähne aus dem Fischmaul bricht, zähmt er die Schreckliche Mutter zur Frau.

In China galt die Vagina als Portal zur Ewigkeit - aber auch als «Männerkiller». Und die Araber pflegten zu sagen: «Drei Dinge sind unersättlich: die Wüste, das Grab und die Vulva einer Frau.»

Für einmal nicht Freud

Oft wird der Begriff «Vagina dentata» mit Sigmund Freud (1856-1939) - der für die Psychologie etwa das war, was Isaac Newton für die Physik - in Verbindung gebracht. Die bezahnte Vagina sei gewissermassen das passende Gegenstück zum Kastrationskomplex, einem zentralen Pfeiler des freudschen Theoriegebäudes.

Für Freud entsteht die Kastrationsangst beim männlichen Kind jedoch durch den Anblick eines weiblichen und daher penislosen Genitals. Diesen Mangel erklärt sich der kleine Junge als Verlust: Da war ein Penis, aber jetzt ist er weg - Folge einer Kastration.

Bei Freud ist die Vulva somit klaffende Wunde, und nicht Mund - also Resultat einer Kastration, nicht deren Ursache.

Verschlingender Mund

Die Symbolik, die das weibliche Genitale mit einem Mund gleichsetzt, findet sich besonders explizit bei einem polynesischen Mythos: Der Erlösergott Maui versucht, das ewige Leben dadurch zu erlangen, dass er in den Mund - oder die Vagina - seiner Mutter Hina kriecht, um in die Gebärmutter der Schöpfer-Muttergöttin zurückzukehren. Das Unterfangen misslingt; Hina beisst ihn entzwei und tötet ihn.

Die Analogie von Mund und Vulva zeigt sich nicht nur in den Mythen, sondern auch in der Etymologie. Die Amerikanerin Barbara Walker, eine feministische Autorin, zählt in ihrem Werk «The Woman's Encyclopedia of Myths and Secrets» einige Beispiele auf: «Mouth» (dt. Mund) stamme aus derselben Wurzel wie «mother» (Mutter). Das altgriechische «sema» bedeute zugleich «Samen» und «Nahrung», und eine Vulva besitze Lippen wie der Mund. Die Yanomamo, ein Indianerstamm im Amazonasgebiet, verwenden dasselbe Wort für «essen» und «kopulieren», und «gesättigt» und «schwanger» bezeichnen sie ebenfalls mit dem selben Wort.

Der kleine Tod

Die Gefahr, die für die männliche Psyche offenbar im weiblichen Geschlechtsteil lauert, hat wohl auch mit der immer wiederkehrenden Erfahrung zu tun, dass jeder Orgasmus ein kleiner Tod ist - ein Tod für den «kleinen Mann», den Phallus. Hier liegt für Walker auch eine Wurzel für die asketischen Religionen, die die Verneinung der fleischlichen Lust mit der Verneinug des Todes gleichsetzen.

Mit Blindheit geschlagen

In der stark patriarchalisch geprägten islamischen Kultur, so Walker, wurden der Vulva magische Kräfte zugeschrieben. Ihr Anblick konnte den männlichen Sehstrahl «abbeissen» - der Blick in die weibliche Leibeshöhle liess jeden Mann erblinden. So soll es der Legende nach einem Sultan in Damaskus ergangen sein.

Das Tor zur Hölle

Auch für die Christen lag in der Vagina nicht viel Gutes. Der Höllenmund und die Vagina wurden gleichgesetzt. So erinnern manche mystischen Beschreibungen von Besuchen in der Hölle, die christliche Asketen in ihren Visionen erlebten, an einen umgekehrten Geburtsvorgang, «als würde das Kind in die Gebärmutter gezogen und dort vernichtet», wie Walker schreibt. In dieser Symbolik sieht sie auch Jona, der vom Wal verschlungen wurde, und Jesus, der drei Tage tot in der Grabeshöhle lag.

Vaginaler Horror im Film

Selbstverständlich hat die Urangst vor der bezahnten Vagina auch die Kreativität der Künstler beflügelt. So erzählt der britische Trash-Horrorstreifen «Penetration Angst» (2003) die Story der unfreiwillig männermordenden Helen. In dieselbe Kerbe haut «Teeth» (2007); auch hier muss eine junge Frau entdecken, dass ihr Unterleib ein gewalttätiges Eigenleben entwickelt. Und in «Wicked City» (1987), einem japanischen Anime, tauchen allerhand bedrohliche Frauenfiguren auf, darunter auch eine Vagina dentata.

Aufklärung per Spekulum

So ist es äusserst begrüssenswert, wenn eine Frau wie Annie Sprinkle sich redlich bemüht, den Männern diese Urangst endlich zu nehmen. Die amerikanische Porno-Performance-Künstlerin machte mit ihren Liveshows Schlagzeilen, in denen sie das Publikum einlud, mittels Spekulum und Taschenlampe einen tiefen Blick in ihren Gebärmutterhals zu werfen. Auf diese Weise versucht die Sex-Aufklärerin mit Doktortitel, den «weiblichen Körper zu entmystifizieren».

Kondom des Grauens

Eine mit Zähnen bewehrte Vagina gibt es in der Realität aber doch - in künstlicher Form. Und das erst noch für einen guten Zweck.

Die Firma Rape-aXe in Südafrika, wo die Vergewaltigungsrate beunruhigend hoch ist, bietet ein Anti-Rape-Kondom an, das mit kleinen, aber scharfen Zähnen versehen ist. Der Penis des Vergewaltigers kann zwar eindringen, aber dann krallen sich die Widerhaken in die Haut und können nur noch in einem Krankenhaus entfernt werden.

Quellen: Wikipedia.org / Barbara Walker, «The Woman's Encyclopedia of Myths and Secrets» / imdb.com

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