«Great Ape Project»Menschenrechte für Menschenaffen?
Weil Schimpansen und Gorillas uns so ähnlich sind, fordern Tierschützer die Ausweitung der Gemeinschaft der Gleichen. Wer das konsequent durchdenkt, begibt sich auf heikles Terrain.
«Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die Neandertaler von morgen», heisst es im Leitbild der Giordano-Bruno-Stiftung. Aufklärung, kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit sind die Grundpfeiler der Bewegung. Die moralische Verpflichtung, seinen Nächsten gerecht gegenüber zu treten, hört am Rande der Zivilisation nicht auf. Auch die Bewohner des Waldes sollen in die «Gemeinschaft der Gleichen» aufgenommen werden.
Die Rede ist von Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans: Die Affen, deren DNA uns ähnlicher ist, als die Klassifizierung der Primaten in Mensch und Tier es vorgibt. Die Giordano-Bruno-Stiftung zeichnete im Juni 2011 Peter Singer und Paola Cavaliere mit dem Ethik-Preis aus. 1993 riefen der australische Ethiker und die italienische Philosophin das Great Ape Project ins Leben. Die «Deklaration der Grossen Menschenaffen» fordert auch für diese Tiere das Recht auf Leben, den Schutz der individuellen Freiheit und das Verbot der Folter. Würde das politische Manifest durchgesetzt, wären Jagd, Wildfang, Zirkusauftritte und Zoohaltung der Menschenaffen keine Option mehr.
Hochsensibel und emotional
Sich von der Verwandtschaft von Mensch und Affe faszinieren zu lassen, ist alles andere als neu. Die gemeinsamen Vorfahren werden dem Zoobesucher vor dem Schimpansenkäfig durch bekannte Verhaltensweisen klar. Forscher wie die weltberühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall haben herausgefunden, das Menschenaffen ein ausgeprägtes Erinnerungsvermögen haben, abstrakt denken können und Humor zeigen. Sie malen Bilder, zeigen altruistisches Verhalten und sprechen über en Tod.
Die Psychologin Penny Patterson hat ihr Leben der Erforschung von Kommunikation zwischen den Spezien gewidmet. Vor 40 Jahren entdeckte sie das heute fast 140 Kilo schwere Gorillaweibchen Koko als ausgehungertes Baby im Zoo von San Francisco. Koko kann sich heute mit Bildkarten ausdrücken, kennt 1000 Zeichen der Amerikanischen Gebärdensprache (ASL) und versteht rund 2000 gesprochene englische Wörter.
(Quelle: Youtube/kokoflix)
Experimente ja, wenn die Folgen gerechtfertigt sind
Auch diese Art der Forschung könnte gegen das Recht auf individuelle Freiheit verstossen, doch der Great-Ape-Project-Begründer Singer macht Ausnahmen. Als Utilitarist wäre es für ihn sogar vertretbar, dass mit einem Experiment an hundert Affen ein Mittel gegen Parkinson entdeckt und damit Hunderttausenden von Menschen geholfen würde, sagt er im Interview mit der «FAZ». Allerdings bleibt er konsequent bei der Gleichstellung von Mensch und Menschenaffe. Auch der Abschuss eines von Terroristen entführtes Personenflugzeugs wäre für ihn gerechtfertigt, könnte man damit den Anschlag verhindern und Tausende Menschenleben retten.
Es ginge ihm um die Würde der Tiere, so Singer. Doch warum macht ein Tierfreund Halt bei den Gleichen, und fordert nicht mehr Würde für alle Tiere? Er wolle mit dem «Great Ape Project» eine Barriere niederreissen und eine Brücke zwischen Mensch und Tier schlagen. Die Menschenaffen sind demnach nur der Anfang eines grösseren Unterfangens. Wegen ihrer Ähnlichkeit könnte es dem Menschen leichter fallen, Empatie für sie zu empfinden. Das ist logisch und fragwürdig zugleich.
Logisch, weil es manchen unwillkürlich abstösst, wenn Äffchen in Latzhosen für Shows auf Dreiräder gesetzt werden oder stundenlang an an der Orgel drehen. Auch ein gelangweilter Zoo-Affe stimmt nicht wenige Besucher traurig, weil sie sich selbst erkennen können. Volker Sommer, Professor für Evolutionäre Anthropologie an der Universität London, geht mit dem Ähnlichkeitsansat sogar noch weiter: Er ist der Meinung, dass sich Menschenaffen und Menschen heute noch kreuzen könnten. Sommer beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Sozialverhalten wilder Affen und Menschenaffen und bezeichnet sich selbst in einem Interview mit der «Zeit» als «lediglich eine besondere Art von Tier».
Fragwürdig, weil wir die Intelligenz und Sensibilität der Menschenaffen zwar erkennen – aber trotzdem «in einem haarsträubenden und erschütternden Widerspruch zur Art, wie wir mit ihnen umgehen», stehen, wie Philosoph und Tierrechtler Helmut F. Kaplan es ausdrückt.
Kämpfen für die, die nicht können
Nebst seiner Durchsetzbarkeit und der begrenzten Ausweitung der moralischen Verantwortung wirft «Great Ape Project» auch eine andere Frage auf: Warum sollte man Menschenrechte für Menschenaffen gesetzlich verankern, bevor sie für die Gesamtheit der Menschen gesichert und durchgesetzt sind?
Für den holländischen Zoologen und Verhaltensforscher Frans de Wals greift auch hier wieder die Grundlage der Gemeinschaft der Gleichen. Das Warten bis alle Menschen ihre Rechte erlangt haben würde erstens den Unterdrückten nicht helfen, und ausserdem würde das Warten unterstellen, «dass Wesen, die anderen Spezies angehören, eine geringere moralische Bedeutung haben als menschliche Wesen», schreibt de Waal in «Der gute Affe. Der Ursprung von Recht und Unrecht bei Menschen und anderen Tieren». Zudem, so steht es in der «Deklaration über die Grossen Menschenaffen», seien Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans nicht in der Lage, für sich selbst zu kämpfen, im Unterschied zu anderen unterdrückten Gruppen, die die Forderung nach Gleichheit durchsetzen konnten.
Vielfalt vs. Evolution
Als Penny Pattersons Koko mit einer Gruppe Gorillas Kontakt hatte, die zwar auch in Gefangenschaft lebte, jedoch nicht von Menschenhand aufgezogen wurde, nannte sie sie diese «Schwarze Käfer». Sie kenne das Zeichen für Gorillas sehr wohl, so Betreuerin Patterson. Mit der Bezeichnung äusserte das Tier seine Geringschätzung für seine Artgenossen.
Wenn also der Gorilla selbst sich durch sein Anderssein schon auf eine andere Stufe setzt als seine Artgenossen, würde er die Gemeinschaft der Gleichen ausweiten, wenn er die Oberhand hätte? Ob Löwen gegenüber Tigern wohl eine moralische Verpflichtung empfinden? Niemand erwartet von Wölfen, dass sie Vegetarier werden.
Steht das «Great Ape Project» möglicherweise auf unnatürlichem Boden? Als Sommer von der «Zeit» die Frage gestellt bekam, warum man den Gang der Evolution aufhalten solle, antwortet er: «Eigentlich gibt es keinen Grund, das Aussterben von Lebensformen zu bedauern. Ich kann nur mein subjektives Lebensgefühl geltend machen: Ich möchte mehr als nur Menschen und Kühe. Ich will Vielfalt.»