Amoklauf von NewtownDas Land der Feuerwaffen
Das entsetzliche Blutbad in der Schule von Newtown wirft einmal mehr die Frage auf, warum sich in den USA solche Massaker häufen. Die Debatte um die Verschärfung der Waffengesetzte ist neu lanciert.
Es scheint, als sei die Nation diesmal tiefer getroffen. Präsident Obama kämpfte mit den Tränen, als er sich an diesem blutigen Freitag an seine Landsleute wandte und sie dazu aufrief, etwas zu unternehmen, um Ähnliches in der Zukunft zu verhindern.
Das Schulmassaker in der Sandy-Hook-Grundschule, bei dem ein junger Mann sechs Erwachsene und 20 Kinder erschoss, wird die Debatte über die Verschärfung der Waffengesetze in den USA anheizen. Die Frage, warum es immer wieder zu solch furchtbaren Massakern kommt, weist aber über den rechtlichen Bereich hinaus. Erst im Juli schoss ein Mann in einem Kino im Bundesstaat Colorado um sich und tötete dabei zwölf Menschen. Im April erschoss ein Amokläufer sieben Menschen an einem christlichen Privatcollege in Kalifornien.
Ein waffenstarrendes Land
Bei der Suche nach den Ursachen fällt zunächst einmal eine unübersehbare Tatsache ins Auge: Die USA sind ein waffenstarrendes Land. Weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung leben in den Vereinigten Staaten, aber von den weltweit rund 650 Millionen Feuerwaffen im Besitz von Zivilisten befinden sich laut dem «Small Arms Survey» etwa 270 Millionen in diesem Land. Das nächstgrössere Kontingent hat gemäss einer Aufstellung des britischen «Guardian» Indien mit lediglich 46 Millionen Schusswaffen (bei einer Bevölkerung von über 1,2 Milliarden). 88,8 Feuerwaffen auf 100 Personen machen die US-Amerikaner zur schwerstbewaffneten Bevölkerung der Welt. Mit grossem Abstand folgen der Jemen (54,8) und die Schweiz (45,7).
Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass die meisten Tötungsdelikte, die mit Schusswaffen verübt werden, in den USA geschehen. Hier liegen vier lateinamerikanische Staaten vor ihrem nordamerikanischen Nachbarn: In Venezuela, Mexiko und Kolumbien kommen jeweils zwischen 11'000 und 12'500 Menschen pro Jahr durch Schusswaffen ums Leben, in Brasilien sogar über 34'000. In den USA sind es nur 9100. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gesehen, akzentuiert sich dieses Bild: Mit 68,43 Tötungsdelikten je 100'000 Einwohner ist Honduras mit Abstand am mörderischsten; darauf folgen mit einigem Abstand El Salavador (39,9), Jamaica (39,4) und Venezuela (38,97). Hier liegen die USA (2,97) auf dem 28. Platz, weit hinter Ländern wie Südafrika (17,03) oder Mexiko (9,97).
Tödliche Effizienz
Die grosse Menge an Waffen in Privatbesitz und die in vielen Bundesstaaten sehr laxen Waffengesetze gehören mit Sicherheit zu den Ursachen für die Häufung von Massakern in den USA. Doch dies allein genügt nicht als Erklärung – auch in Kanada gibt es beispielsweise relativ viele Feuerwaffen (30,8 auf 100 Personen), aber es gibt dort weniger Tötungsdelikte pro 100'000 Einwohner (0,51) als in der Schweiz (0,77).
Was die Situation in den USA von jener in anderen Ländern wie Deutschland oder Norwegen – in denen es ebenfalls verheerende Amokläufe gab – abhebt, ist neben der Häufung auch das tödlich effiziente Waffenmaterial, das bei den Massakern eingesetzt wird. Der «Guardian» weist in einem Kommentar darauf hin, dass die Täter in den USA oft über halbautomatische Sturmgewehre verfügen, mit denen sie enormen Schaden anrichten können. Auch der Täter von Newton, Adam Lanza, benutzte eine solche Waffe, als er seine Opfer allesamt mit mehreren Schüssen tötete.
Psychotiker auf der Strasse
Möglicherweise sind allerdings noch ganz andere Einflüsse am Werk, die nicht direkt mit Waffen zu tun haben. So postuliert der in die USA ausgewanderte deutsche Journalist Hannes Stein in der «Welt Online», der entscheidende Unterschied liege darin, dass es in den USA keine allgemeine Krankenversicherung gebe. Psychotiker, die in Zürich in Kliniken behandelt würden, so Stein, schlurften in den USA als «Obdachlose durch die Strassen».
Was immer auch die Gründe dafür sind, dass es in den USA so oft zu schlimmen Amokläufen kommt, es sieht derzeit nicht danach aus, dass sich fundamental etwas ändern wird. Die amerikanische Waffenlobby ist mächtig und effizient; sie wird alles versuchen, um die Diskussion in ihrem Sinne zu beeinflussen.