Unschöne TöneWarum uns das Kratzen der Kreide schmerzt
Treibt Sie das Quietschen von Kreide an der Wandtafel auch die Wände hoch? Musikwissenschaftler haben nun herausgefunden, warum das so ist.

Dass uns das Quietschen von Kreide oder Fingernägeln an einer Tafel nervt, haben wir unseren frühesten Vorfahren zu verdanken. (Quelle: Colourbox)
Das Kratzen von Fingernägeln oder Kreide auf einer Tafel geht vielen Menschen gehörig auf die Nerven. Zwei Musikwissenschaftler aus Köln und Wien gingen diesem Umstand näher auf den Grund. Die Forscher liessen 104 Versuchspersonen aus einer Reihe von Kreide- und Wandtafelkratzgeräuschen die zwei für sie unangenehmsten aussuchen. «Von diesen beiden Geräuschen haben wir Varianten erstellt, um den Einfluss von Filterung, tonalen beziehungsweise geräuschhaften Anteilen, Modulationen und zeitlicher Hüllkurve auf die Geräuschempfindung zu untersuchen», erklärt Christoph Reuter, von der Universität Wien.
Dann wurden die Probanden in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine wusste, dass es sich bei den modifizierten Geräuschen um Tafelkratzgeräusche handelt. Die andere glaubte, es seien Ausschnitte aus zeitgenössischer Musik. Um die Reaktion der Versuchspersonen bewerten zu können, wurden Atmung, Herzschlag, Blutdruck, Temperatur und Hautleitwert gemessen.
Überbleibsel unserer Vorfahren
Jene Personen, die von einer zeitgenössischen Komposition ausgingen, empfanden die Klänge als weniger unangenehm. Die An- oder Abwesenheit von Geräuschanteilen oder Modulationen hatte so gut wie keinen Einfluss auf die Klangbewertung. Dafür trug die starke Präsenz einer bestimmten Tonhöhe entscheidend zur empfundenen Abneigung gegenüber den Geräuschen bei: Fehlten die Tonhöheninformationen, wurden die Geräusche als sehr viel angenehmer eingestuft.
«Dieser Effekt ist bei Frequenzen zwischen 2000 und 4000 Hertz noch wesentlich stärker», erklärte Reuter, der die Ergebnisse der Studie mit seinem Kölner Kollegen Michael Oehler bei der Jahrestagung der Acoustical Society of America in San Diego präsentierte. Denn Frequenzanteile in diesem Bereich fielen in die Eigenresonanz des Aussenohrkanals und würden deshalb besonders gut beziehungsweise in diesem Falle besonders unangenehm übertragen.
Quintessenz des Versuchs: Störende Frequenzen, wie sie etwa beim Kratzen auf einer Wandtafel entstehen, werden von uns dann als besonders unangenehm empfunden, wenn wir uns darüber bewusst sind, wie das Geräusch tatsächlich entsteht (Vergleich Wandtafel versus Musikstück).
Wer besonders empfindlich auf bestimmte Frequenzen reagiert, hat nicht etwa einen Tick oder leidet unter einer psychischen Störung – der Grund für die Abneigung ist uns vom Urmenschen geblieben; damals bedeuteten hochfrequente Töne potentielle Gefahr, wie in einem Artikel von orf.at zu lesen ist.
Instinktive Abneigung gegen Selbstverletzung?
Nicht als minder nervig empfunden wird von manchen Menschen das Knacken, das entsteht, wenn die Fingerknochen überdehnt werden. Während wir die Abneigung gegen den Ton, der beim Kratzen auf einer Tafel zustande kommt, von unseren Vorfahren geerbt haben, liegt dem Gänsehaut-Effekt beim Fingerknacken eher eine «psychische Überreizung» zugrunde.
Vielleicht ist für diese Reaktion eine instinktive Aversion gegen Selbstverletzung ursächlich, denn das absichtliche Fingerknacken ist alles andere als eine harmlose Angewohnheit, zumindest nicht, wenn man Edmund Edelmann, Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Rheumatologen glaubt: «Wer dies häufig wiederholt, überdehnt und schädigt langfristig seine Gelenke». Weiter warnt Edelmann im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP, dass bei falscher oder übermässiger Belastung des Gelenks «Knorpelmaterial so abgerieben werden kann, dass Knorpelstückchen frei im Gelenk treiben».
Höchste Zeit also, die lockere Psycho-Schraube wieder anzudrehen und sich diesen, als äusserst nervig empfundenen Tick schnellstens abzugewöhnen.