Das Wunder von Bern

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Unvergessene WM-MomenteDas Wunder von Bern

Deutschlands sensationeller Sieg an der WM 1954 in der Schweiz war mehr als ein sportlicher Erfolg. Er half einer ganzen Nation wieder auf die Beine.

Peter Blunschi
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Peter Blunschi

Zusammenfassung des Finals von 1954 mit dem Radiokommentar von Herbert Zimmermann. (Video: YouTube)

Neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Bundesrepublik Deutschland einigermassen erholt. Seit fünf Jahren war man wieder eigenständig, wenn auch um den Preis der Teilung in West und Ost. Das Wirtschaftswunder hatte Fahrt aufgenommen. Doch international standen die Deutschen nach wie vor in der Schandecke. Die Schrecken des Krieges und der Nazi-Verbrechen lasteten schwer auf dem Land.

Als die deutsche Nationalelf an die WM 1954 in die verschonte Schweiz reiste – vier Jahre zuvor durfte man noch nicht teilnehmen –, waren die Erwartungen gering. Der haushohe Turnierfavorit waren die seit 1950 ungeschlagenen Ungarn mit ihren grossartigen Offensivspielern Ferenc Puskás, Nándor Hidegkuti und Sándor Kocsis. 1953 hatten sie als erste Mannschaft überhaupt England im «heiligen» Wembley besiegt, und das gleich mit 6:3.

Vom 3:8 in den Final

An der WM ging es im gleichen Stil weiter: In den Gruppenspielen wurden Südkorea mit 9:0 und die Deutschen in Basel mit 8:3 niedergekantert. Doch der schlaue Bundestrainer Sepp Herberger hatte nur seine B-Mannschaft aufs Feld geschickt. Danach erreichte Deutschland mit Siegen über die Türkei, Jugoslawien und Österreich den Final am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorf-Stadion, wo es zur Revanche gegen die Ungarn kam. Der legendäre Radioreporter Herbert Zimmermann bezeichnete die Endspiel-Teilnahme als «Fussball-Wunder».

Das eigentliche Wunder fand erst dann statt. Über die Gründe wird bis heute spekuliert. War es der strömende Regen? Von «Fritz-Walter-Wetter» sprachen die Deutschen in Anlehnung an die bevorzugten Witterungsbedingungen ihres Kapitäns. Das tiefe Terrain kam ihrem kampfbetonten Fussball sicher mehr entgegen als dem Kurzpassspiel der Magyaren. Waren es die Schuhe mit Schraubstollen, die Adidas exklusiv der Herberger-Truppe zur Verfügung stellte? War es die Überheblichkeit der Ungarn, die das 8:3 im Hinterkopf hatten? Oder waren die Deutschen gedopt? Mehrere Spieler erkrankten später an Gelbsucht.

«Aus dem Hintergrund müsste Rahn schiessen»

Allerdings führte der Favorit nach acht Minuten bereits mit 2:0, und hätte Max Morlock nicht zwei Minuten danach den Anschlusstreffer erzielt, die Partie hätte wohl den erwarteten Verlauf genommen. Doch als Helmut Rahn sogar der Ausgleich gelang, glaubten die Deutschen an ihre Chance. Vehement stellten sie sich dem ungarischen Angriffswirbel entgegen und zählten dabei auf Glück (zwei Treffer ans Gehäuse) und ihren Goalie Toni Turek, der nur als Ersatzmann angereist war und nun mit seinen Paraden zum «Fussballgott» avancierte.

Dann kam die 84. Minute und mit ihr die Worte von Herbert Zimmermann, die in Deutschland noch heute praktisch jedes Kind auswendig aufsagen kann: «Aus dem Hintergrund müsste Rahn schiessen – Rahn schiesst – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!» Helmut Rahn, genannt der Boss, der eigensinnige Stürmer von Rot-Weiss Essen, schoss Deutschland in den Fussball-Himmel. Der Ausgleich durch Puskas im Gegenzug wurde wegen Abseits annulliert, eine der grössten Sensationen der damaligen Fussballgeschichte war perfekt.

«Wir sind wieder wer!»

Die ungarischen Spieler erwiesen sich als faire Verlierer, doch in der Heimat war die Bestürzung riesig. In Budapest kam es zu Ausschreitungen. Viele halten dies für den Beginn jener Entwicklung, die zwei Jahre später zum blutig niedergeschlagenen Aufstand gegen die kommunistische Herrschaft führte.

Die Deutschen aber traten einen Triumphzug durch die Heimat an. Eine ganze Nation erhielt durch das «Wunder von Bern» das Gefühl: «Wir sind wieder wer!» Was nicht überall goutiert wurde. Als die Fans im Stadion bei der Siegerehrung inbrünstig die erste Strophe der Nationalhymne sangen («Deutschland, Deutschland über alles!»), klemmte das Schweizer Radio seine Live-Übertragung abrupt ab.

20 Minuten Online ruft in der Serie «Unvergessene WM-Momente» bis zum Ende der Fussball-Weltmeisterschaft in Südafrika täglich ein spektakuläres Ereignis vergangener Turniere in Erinnerung.

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