Verletzte Kinder: Schweizerin hilft bei Evakuierung aus Gaza

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Netzwerk«Ich kriege die Bilder von verletzten Kindern nicht aus dem Kopf»

Zusammen mit anderen Frauen gründete die Schweizerin Melanie Abou Shaisha das Netzwerk «Save Gaza’s Children», um schwerverletzte Kinder aus Gaza zu evakuieren. Auf Social Media verbreitet sie aber auch radikale Botschaften.

Melanie Abou Shaisha besucht in Kairo den fünfjährigen Ahmed, der aus Gaza evakuiert wurde.
Die Schweizerin setzt sich mit ihrem Netzwerk «Save Gaza's Children» für die Evakuierung von schwerverletzten Kindern aus Gaza ein.
Über Whatsapp und Instagram organisiert sich das Hilfsnetzwerk, das Unterstützerinnen und Unterstützer aus verschiedenen Ländern hat. Auf Social Media verbreitet Abou Shaisha aber auch radikale Botschaften.
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Melanie Abou Shaisha besucht in Kairo den fünfjährigen Ahmed, der aus Gaza evakuiert wurde.

Privat

Darum gehts

  • Die Zürcherin Melanie Abou Shaisha gründete zusammen mit anderen Frauen ein Netzwerk, das bei der Evakuierung von schwerverletzten Kindern aus Gaza Unterstützung anbietet.

  • «Dank unserer Hilfe konnten bereits über 100 Kinder aus Gaza gerettet werden», sagt Abou Shaisha.

  • Auf den sozialen Medien sucht Abou Shaisha nach neuen Fällen von verletzten Kindern und vermittelt zwischen Angehörigen, Ärzten und Rettungsorganisationen vor Ort.

  • Dort zeigt sie aber auch eine andere Seite: Sie fällt durch radikale Positionen und Wortmeldungen auf, bezeichnet etwa die Schweiz als «zionistische Hochburg». Ihre Kanäle sind schon mehrfach gesperrt worden.

«Ich kriege die Bilder der verletzten Kinder in Gaza nicht aus dem Kopf», sagt Melanie Abou Shaisha aus Obfelden ZH. Nachts habe sie Alpträume. «Ich wusste nach Kriegsbeginn, dass ich was unternehmen muss», so die Mutter eines Sohnes (3), die gerne vor Ort helfen würde, hätte sie kein eigenes Kind, um das sie sich kümmern muss. Sie bete Tag und Nacht, dass diese Katastrophe ein Ende nimmt.

Terrorakt auf Israel

Am 7. Oktober 2023 griff die Terrororganisation Hamas Israel an. 1139 Menschen wurden gemäss israelischen Angaben ermordet oder im Kampf getötet, darunter 695 israelische Zivilisten. Die Hamas filmte ihre Gräueltaten mit Bodycams und stellte die Aufnahmen ins Internet. Gemäss einem UN-Bericht ist es «wahrscheinlich», dass Hamas-Kämpfer Frauen vergewaltigten, die Beweisführung ist schwierig. Mindestens 239 Zivilistinnen und Zivilisten verschleppte die Terrororganisation in den Gazastreifen, 133 sind bis heute in Geiselhaft oder tot.

Die EU und der Bundesrat verurteilten die Terrorangriffe der Hamas gegen Zivilistinnen und Zivilisten in Israel aufs Schärfste und erkannten den legitimen Willen Israels zur nationalen Verteidigung und Sicherheit an. Der Bundesrat rief zur sofortigen Freilassung der Geiseln auf, forderte ein sofortiges Ende der Gewalt und erinnerte daran, dass die Zivilbevölkerung jederzeit zu schützen und das humanitäre Völkerrecht einzuhalten sei.

Als Reaktion auf die Attacke der Hamas griff Israel den Gazastreifen an. Gemäss israelischen Angaben wurden dabei 13’000 Terroristen getötet. Das von der Hamas kontrollierte palästinensische Gesundheitsministerium spricht von 30’000 getöteten Palästinenserinnen und Palästinensern.

Vernetzung in den Sozialen Medien

Der Krieg und das Leid, das er auf palästinensischer Seite verursacht hat, beschäftigenAbou Shaisha. So vernetzte sich die Zürcherin in den sozialen Medien mit anderen Frauen. «Innert kurzer Zeit waren wir in der gegründeten Whatsapp-Gruppe über 80 Personen aus aller Welt.» Mit dem von ihr mitgegründeten Netzwerk «Save Gaza’s Children» setzt sich Abou Shaisha für die Evakuierung schwer verletzter Kinder aus Gaza ein. «Dank unserer Unterstützung konnten bereits über 100 Kinder aus Gaza gerettet werden», so die Zürcherin.

Abou Shaisha agiert als Vermittlerin: «Ich suche in sozialen Medien nach Fällen verletzter Kinder, teile sie in unserer Gruppe und versuche, mit Familienangehörigen Kontakt aufzunehmen. Nach ersten Abklärungen mit unseren Kontakten vor Ort setzen wir uns dafür ein, dass die schwer verletzten Kinder auf eine Liste gesetzt werden, die den ägyptischen Behörden übergeben wird.»

Wenn Ägypten bestätige, dass ein Kind evakuiert werden dürfe, werde es in der Regel mit einer Ambulanz oder einem anderen Fahrzeug an die Grenze gefahren. «Israelische Grenzbeamte entscheiden dann, ob sie die Ausreise erlauben», sagt Abou Shisha. Stellten sie nur die entfernteste Verwandtschaft mit einem Hamas-Mitglied fest, erlaubten sie die Evakuation nicht. Klappe die Ausreise, organisierten die ägyptischen Behörden in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz oder der WHO den Weitertransport. «Viele Kinder werden in Kairo behandelt.» Einige würden von dort auch nach Katar, in die Vereinigten Arabischen Emirate oder in die Türkei geflogen.

Ihr Anliegen sei es, die menschliche Seite des Krieges öffentlich zu machen, sagt Abou Shaisha. Das Leid der Palästinenserinnen und Palästinensern werde in der westlichen Öffentlichkeit zu wenig thematisiert. Dabei seien tausende Kinder verwaist, von ihren Eltern getrennt oder verletzt. Ohne Schmerzmittel würden ihnen Gliedmassen amputiert. Online sehe sie täglich, wie Kinder verhungerten. «Weitere Hilfe ist dringend nötig», sagt Abou Shaisha. Über Instagram versuche die Gruppe darum auch, Spenden für die verletzten Kinder zu sammeln.

«Irritierende Botschaften» und «problematische Narrative»

Doch auf Social Media bleibt es nicht beim Spendenaufruf. Melanie Abou Shaisha fällt auf durch radikale Positionen und Wortmeldungen auf. Zum Beispiel bezeichnete sie die Schweiz als «zionistische Hochburg» oder äusserte sich wohlwollend gegenüber einem möglichen Angriff Irans auf Israel. An anderer Stelle hat sie ein Meme gelikt, das Israel als «Israhell» (Isra-Hölle) bezeichnete. Ihre Social-Media-Kanäle sind mehrfach gesperrt worden – mutmasslich, weil die Beiträge gegen die Nutzerbedingungen verstiessen.

Auf die Frage, ob sie sich vom Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 distanziere, antwortet sie ausweichend. Sie verurteile jeden Angriff, egal, von wem er ausgehe. Gleichzeitig stellt sie den Hamas-Angriff jedoch als eine verständliche Reaktion auf den Umstand dar, dass Israel Palästinenser seit Jahrzehnten «angreift, unterdrückt, ermordet».

«Ich habe überhaupt nichts gegen jüdische Personen»

Sie bestreitet, antisemitisches Gedankengut zu vertreten: «Ich habe überhaupt nichts gegen jüdische Personen. Es gibt auch in Israel viele Juden, die Netanjahus Regierung und das Vorgehen in Gaza scharf kritisieren.» Mit dem Post über einen möglichen iranischen Angriff auf Israel habe sie zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Land, das selbst mehrere Länder angreife, mit einem Gegenschlag rechnen müsse. Als Beispiel nennt sie den israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Syrien. «Auf keinen Fall möchte ich aber, dass israelische Zivilisten zu Schaden kommen.»

Mit der Frage konfrontiert, ob ihr bewusst sei, dass Iran die komplette Vernichtung Israels anstrebt und die Terrororganisationen Hamas sowie die Hisbollah im Libanon finanziere und mit Waffen beliefere, sagt Abou Shaisha: «Ich stehe nicht hinter dem Iran. Und ich will auch nicht, dass Israel untergeht. Ich will, dass die Netanjahu-Regierung gestürzt wird und ich bin für eine Zweistaatenlösung.»

Rechtsanwalt: «Irritierend, aber nicht strafrechtlich relevant»

Aus strafrechtlicher Sicht sind gemäss Anwalt Christian Lenz von Lenz & Caduff Rechtsanwälte die genannten Posts «nicht relevant, da diese die geforderte sozial schädliche Schwelle wohl noch nicht erreicht haben», damit der Tatbestand der Diskriminierung erfüllt sei. Auch wenn gewisse Botschaften in den Posts «irritierend» seien.

Jonathan Kreutner, Generalsekretär vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund SIG, bedauert derweil, «dass jemand, der sich für humanitäre Hilfe einsetzt, das nicht ohne die Verbreitung von problematischen Narrativen und ohne Gewaltaufruf gegen den jüdischen Staat tun kann.»

Transparenzhinweis: Weil der Artikel in einer ersten Version nicht in allen Belangen unseren journalistischen Qualitätskriterien genügte, wurde er vorübergehend vom Netz genommen und überarbeitet.

Update 8. August: Seit der Veröffentlichung dieses Artikels ist Abou Shaisha mit mutmasslich antisemitischen und strafrechtlich relevanten Drohungen gegen eine Jüdin aufgefallen. Mehr dazu findest du hier.

Verübt Israel Genozid?

«Wie Israel in Gaza vorgeht, ist unmenschlich», sagt Abou Shaisha. Als Halb-Bosnierin sei sie besonders sensibilisiert, weil ihr Vater ist vor einem Genozid aus Bosnien geflüchtet sei. Sie wünscht sich, «dass der Krieg sofort aufhört und dass Israel zur Rechenschaft gezogen wird.» Verübt Israel tatsächlich einen Genozid? Diese Frage kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden. Beim Genozid handelt es sich um einen juristischen Tatbestand. «Es müsste vor Gericht festgestellt werden, ob dieser Tatbestand erfüllt ist», sagte der Nahost-Experte und Politologe Reinhard Schulze bereits im Februar gegenüber 20 Minuten. Südafrika hat im Januar beim Internationalen Gerichtshof (IGH) eine Klage gegen Israel mit der Anschuldigung des Völkermords eingereicht. In einem ersten Schritt entschied der IGH, die juristische Prüfung zuzulassen. Ob der Tatbestand des Genozids erfüllt ist oder nicht, wird man erst in einigen Jahren wissen.

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