EM 2024: Murat Yakin im Interview mit 20 Minuten

Murat Yakin, wer steht im EM-Tor der Schweiz an der EM?

Ich bleibe auf meinem Standpunkt, dass Yann Sommer die Nummer eins ist.

Und wenn Kobel die Champions League gewinnt?

Wir sind froh, dass wir gleich auf mehrere Top-Torhüter zurückgreifen können. Was aber in dieser Diskussion oft zu kurz kommt, ist die Beständigkeit. Ich hätte Gregor gerne drei Mal spielen lassen und er konnte jeweils nicht, weil er Pech mit Verletzungen hatte und sich so nicht mit dem Team einspielen konnte.

Haben Sie Yann Sommer schon gratuliert?

Ja, ich war auf dem Trainingsgelände von Inter Mailand und habe ihn besucht.

Auch Granit Xhaka ist schon Meister. Wie können Sie als Nati-Trainer davon profitieren?

Es hatte Granit schon gewurmt, dass er im letzten Jahr mit Arsenal keinen Titel gewonnen hatte. Dieses Jahr hat er gleich die Chance auf das Triple – auch Manuel Akanji ist mit ManCity noch im Rennen. Das gibt dem ganzen Team ein Gefühl, dass man nicht nur hier ist, um zu spielen, sondern auch sieht, dass mehrere Mitspieler Trophäen aus grossen Ligen gewinnen können.

Gab es das schon mal, dass die ganze Achse der Nati mit richtig grossen Titeln einrücken? Ist dieses Nationalteam auf dem absoluten Zenit?

Die Momentaufnahme ist sehr gut, extrem positiv, fast schon exzellent. Bei diesen Titeln gehen andere Leistungen fast unter – etwa die von unseren Bologna-Spielern, die einen attraktiven und erfolgreichen Fussball spielen. Es ist erleichternd für mich, dass ich keine Spieler suchen muss, die auf diesem Level spielen können.

In der Champions League hat Manuel Akanji überragend im defensiven Mittelfeld gegen Real Madrid gespielt.

Ja. Das ganze Spiel war Unterhaltung pur – wie im Showbusiness. Aber was nützt eine überragende Leistung, wenn man schlussendlich nicht weiterkommt im Wettbewerb?

Wäre Mittelfeld auch eine Option für Akanji in der Nati?

Grundsätzlich kann Manu alles spielen. Aktuell ist er fast unser treffsicherste Torschütze – und ich sagte Giorgio Contini, ob wir ihn nicht auch im Sturm bringen sollen (lacht).

Eine Option für den Sturm ist auch Breel Embolo. Ist er gesetzt an der EM?

Ja, wenn er gesund ist.

Neben seiner langen Verletzungspause war er aber auch wieder in den Schlagzeilen wegen gefälschter Covid-Zertifikaten. Ist er noch tragbar in der Schweizer Nationalmannschaft?

Die Geschichte ist lange her. Er ist älter und reifer geworden.

Glauben Sie, Embolo ist weiterhin für die Schweizer Fans vermittelbar?

Sobald er das erste Tor schiesst, ist vieles wieder vergessen.

Wie steht es um Haris Severovic, der seit Sommer in Dubai spielt und nicht mehr nominiert wurde?

Die Tür für ihn war nie zu. Wir beobachten ihn intensiv und erhalten die Informationen sowie Daten über alle Spieler. Es ist nach wie vor alles möglich.

Sie hatten als FCB-Trainer Erfahrungen mit Matthias Delgado, der nach einem Abenteuer in den Vereinigten Arabischen Emiraten zurückkam.

Ja, es ist kein grosser Vorteil. Es sind nicht die gleichen Abläufe, die gleichen Gegenspieler. Wenn Haris mit vielen Toren und Selbstvertrauen kommen würde, wäre das aber auch etwas wert.

Haris Tabakovic führt mit 21 Toren die Torschützenliste der 2. Bundesliga an. Ein Fehler, dass man ihn den Bosniern überlassen hat?

Klar, es war ein Thema. Aber was wäre das nach der WM für ein Zeichen gewesen an unsere jungen Talente, die in den Topligen spielen. Er spielt zudem in der 2. Liga – da ist die Stufe Nationalmannschaft schon deutlich höher. Wir hätten einen anderen Spieler kaputt gemacht, wenn wir ihnen Tabakovic vor die Nase gesetzt hätten.

Einer dieser jungen Sturmtalente ist Zeki Amdouni. Hat er sich ein Stück weit selber kaputt gemacht mit einem Wechsel zum Premier-League-Aufsteiger, wo man kaum Torchancen hat?

Der Markt entscheidet. Zeki hat diesen Weg gewählt und arbeitet hart daran, sich in der Premier League durchzusetzen.

Cameron Puertas hat in Belgien schon 14 Tore und 21 Assists erzielt. Bedauern Sie es, dass der gebürtige Lausanner aktuell keinen Schweizer Pass besitzt?

Wir hätten ihn sicher gerne mal eingeladen und ihn kennengelernt. Vielleicht ergibt sich in Zukunft eine Möglichkeit – vor 2025 gibt es sowieso keine Chance.

YB-Stürmer Joël Monteiro soll noch vor der EM den Schweizer Pass erhalten. Wie sieht es bei ihm aus?

Er ist sehr treffsicher, hat gute körperliche Voraussetzungen. Er ist ein interessanter Spieler. Leider hat er sich jetzt zu einem ungünstigen Zeitpunkt verletzt.

Vincent Sierro hat bei seiner Nati-Premiere einen hervorragenden Eindruck gemacht. Ihre Erkenntnis?

Ja, einen sehr, sehr guten Eindruck. Vom ersten Tag arbeitete er konzentriert, fokussiert und hat sich sehr professionell ins Team integriert.

Ein grosses Thema beim letzten Zusammenzug im Frühling war Xherdan Shaqiri und seine Rolle.

Wir wissen, was wir an Shaq haben. Wo er seine Stärken hat und dass er ein enorm wichtiger Spieler ist für die Nati. Ein Entscheidungsspieler.

Es machte den Eindruck, als würden Sie nicht mehr zwingend auf ihn setzen.

Der Saisonstart in der MLS war kurz zuvor, er hatte erst wenige Spieler in den Beinen. Es war abgemacht, dass er im ersten Spiel pausiert und im zweiten von Beginn an spielt.

Wo ist denn das Problem?

Man darf den Rhythmus, die lange Pause im Winter und die Spielweise in der US-Liga nicht unterschätzen. Schlussendlich liegt die Verantwortung bei ihm wie bei allen anderen Spielern auch, dass sie fit zu uns kommen.

Könnte das für Sie eine heikle Personalie werden?

Niemand hat so einen genialen Fuss wie er. Wenn es spielerisch und taktisch Sinn ergibt, kommt er natürlich von Beginn an. Am Schluss entscheide ich, welches Team gegen welchen Gegner die beste Option ist.