Georgien: Trotz Agenten-Gesetz gehen Pro-Europa-Demos weiter

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Heftige DemosSchweizer in Georgien: «Es geht um die Zukunft dieses Landes»

In Georgien hat das Parlament am Dienstag das umstrittene Agentengesetz verabschiedet. Seit Wochen gehen Zehntausende dagegen auf die Straße – 20 Minuten sprach mit zwei Betroffenen.

Darum gehts

  • In Georgien gehen seit Wochen Zehntausende gegen das nun verabschiedete «Agentengesetz» auf die Strasse.
  • Die Menschen fürchten eine Hinwendung zu Russland und eine Abkehr von Europa.
  • Das Gesetz zwingt NGOs und Medien offenzulegen, wenn ihre Gelder zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland kommen.

Seit mehreren Wochen reissen die Proteste in Georgien nicht ab: Zehntausende Menschen gehen gegen den prorussischen Kurs der Regierung und gegen ein neues Gesetz auf die Strasse, das die «ausländische Einflussnahme» eingrenzen soll (siehe Box). Die Polizei geht mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Demonstrierenden vor, trotzdem lassen sich diese nicht abschrecken. Einer von ihnen: der Schweizer Fabio Bolognese (43), der jeden zweiten Tag in Georgiens Hauptstadt Tiflis auf die Strasse geht.

Fabio Bolognese (rechts) mit seinen georgischen Freunden Shalva (links) und Vaska (Mitte).
Fabio Bolognese (rechts) mit seinen georgischen Freunden Shalva (links) und Vaska (Mitte).privat

Und auch wenn das Parlament am Dienstag mit 84 zu 30 für das Gesetz stimmte – der Protest nimmt kein Ende: «Es geht noch weiter mit den Demos, aber ich weiss nicht wie lange», sagt der 43-Jährige, der ursprünglich aus dem Aargau kommt. Er sei aber überzeugt, dass die Proteste sich spätestens vor den Wahlen im Oktober noch massiv ausweiten werden.

Bolognese  merke aber, dass die Stimmung unter den Demonstranten und Demonstrantinnen zunehmend angespannter werde. Kein Wunder: Ihnen steht ein Grossaufgebot an Polizei inklusive Tränengaswagen gegenüber. «Man hört immer wieder von Menschen, die wahllos von der Polizei festgenommen werden.» Erst kürzlich wurde der Oppositionelle Davit Katasarava brutal zusammengeschlagen, vermutlich von einem Sondereinsatzkommando. Das berichten mehrere georgische Zeitungen übereinstimmend. Dennoch: «Mit der Angespanntheit wächst auch die Solidarität zwischen den Demonstranten», so Bolognese.

Das steckt hinter dem neuen Gesetz

Das Gesetz zu «ausländischer Einflussnahme» sieht eine verschärfte Rechenschaftspflicht für Medien, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und andere gemeinnützige Gruppen vor. Diese müssen sich künftig registrieren lassen, wenn sie mehr als 20 Prozent ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten und «die Interessen einer ausländischen Macht verfolgen».
Kritiker bezeichnen das Gesetz als Bedrohung für die Medienfreiheit und die Bestrebungen des Landes, der Europäischen Union beizutreten. Die Opposition nannte den Entwurf ein «russisches Gesetz», weil Moskau ähnliche Gesetze benutzt, um gegen unabhängige Nachrichtenmedien, gemeinnützige Organisationen und kremlkritische Aktivisten vorzugehen. Die Regierung sieht in dem Vorhaben hingegen ein Mittel, um als schädlich empfundene ausländische Einflüsse auf die Innenpolitik zurückzudrängen und nicht näher erläuterte externe Akteure daran zu hindern, Georgien zu destabilisieren. (dpa)

Personen erhalten anonyme Drohanrufe

Bolognese berichtet ausserdem, dass Personen immer wieder Drohanrufe von ausländischen Nummern erhielten. Die Anrufer würden auf georgisch Prügel- und Morddrohungen aussprechen, selbst Kinder blieben davon nicht verschont. Von wem die Anrufe ausgehen, lässt sich nicht sagen. Dennoch will Bolognese weiter demonstrieren.

Verfolgst du die Lage in Georgien?

Der Schweizer zog 2019 in die ehemalige Sowjetrepublik, zuvor hatte er sich während seiner zahlreichen Ferienaufenthalte in das Land verliebt. In Bezug auf die Demos sagt er: «Es geht nicht nur um das Gesetz, sondern um viel mehr. Nämlich um die Ausrichtung Georgiens.» Gemeint ist damit, ob das Land sich künftig mehr gen Europa und EU, oder wieder gen Russland wenden wird. Georgien war von 1921 bis 1991 Teil der Sowjetunion. Bolognese sagt, alle in seiner Bubble gehörten zum Pro-Europa-Lager. Er würde auch kaum jemanden kennen, der sich Russland zugehörig fühle – auch nicht bei den Älteren.

Natia (34) hat Angst vor neuem Krieg

Auch die Georgierin Natia (34) beobachtet die Lage in ihrem Heimatland mit Sorge. Sie tut das von Deutschland aus, dorthin zog sie vor zehn Jahren zum Studieren. Sie sagt: «Wenn Georgien sich nun wieder Russland zuwendet, wird der ganze Fortschritt der letzten 20 Jahre zunichte gemacht.» Sie habe Angst, dass ein neuer Krieg ausbricht und auf einmal, wie 2008, russische Truppen durch Georgien marschieren.

«Am liebsten würde ich meine Familie deswegen nach Deutschland holen», sagt die 34-Jährige. Diese nehme aktuell auch an den Protesten teil und kämpfe für die Zukunft Georgiens. Eigentlich war es immer ihr Traum, wieder nach Georgien zurückzukehren und dort eine Genossenschaftsbank für die Finanzierung sozialer und ökologische Projekte zu gründen. Wegen der aktuellen Lage kann sie sich das aber nicht mehr vorstellen.

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Letizia Vecchio (eve) arbeitete seit 2023 bei 20 Minuten, sowohl am Newsdesk als auch als Reporterin im Team News und Gesellschaft.

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