KolumneChum i nöd drus: Die Schweiz ist herzig und niemand wills hören
Ob Märlitram, Fondue-Stübli oder Jugendstil-Badi: In der Schweiz sehen viele Sachen so aus, als wären sie einem Bilderbuch für Kinder entsprungen. Für mein Nostalgie-affines Herz genau das Richtige.
Darum gehts
Redaktorin Letizia liebt die «herzige» Atmosphäre in der Schweiz.
Viele Kleinigkeiten im alltäglichen Leben, so zum Beispiel das Märlitram oder die vielen Brunnen, vermitteln ihr diesen Eindruck.
Viele Schweizer mögen das Label «herzig» nicht – zu Unrecht, findet Letizia.
Endlich ist es wieder soweit: Rot und leuchtend tuckert das Märlitram durch Zürich, verziert mit Engeln, Nikoläusen sowie vielen Lämpchen – und lässt damit nicht nur Kinderherzen, sondern auch mein eigenes höher schlagen. Ich weiss, mit 31 Jahren gehöre ich nicht zur Zielgruppe des Märlitrams, Erwachsenen ist das Mitfahren ohnehin verboten. Aber mir reicht schon alleine der Anblick. Der gibt mir das Gefühl, mich in einer heilen Welt zu befinden – und nicht in einer, wo Kriege und Klimakrise die Menschheit bedrohen.

Nostalgie pur: Redaktorin Letizia liebt das Zürcher Märlitram.
20min/Michael ScherrerUnd es ist nicht nur das Märlitram, das mir dieses wohlig-angenehme Nostalgie-Gefühl beschert: In der Schweiz gibt es eigentlich an jeder Ecke etwas, das mir den Eindruck vermittelt, es entspringt der Illustration eines Kinderbuches. Um beim Verkehr zu bleiben: Auch die Polybahn, die sich den steilen Zürichberg hochkämpft, sieht einfach herzig aus. Mir geht dann immer ein «Tuktuktuk» durch den Kopf, obwohl die Bahn sich dank Schweizer Ingenieurskunst relativ geräuschlos fortbewegt.
Die Herzigkeit reicht vom Brunnen bis zur Sprache
Auch viele Zürcher Bauten bekommen von mir das Gütesiegel: «Sehr herzig». Zum Beispiel die vielen kleinen Häuschen, die die Strassen im Niederdorf zieren. Besonders die Fensterläden haben es mir angetan. Oder die 1200 Trinkwasserbrunnen, einer schöner als der andere, wo jeder seinen Durst kostenlos stillen kann. Jedes Mal, wenn ich mir dort Wasser «zapfe», komme ich mir ein wenig vor wie eine Magd aus dem Mittelalter, die zum Dorfplatz eilt, um dort ihre Wasservorräte aufzufüllen. Somit fallen die Brunnen für mich auch etwas aus der Zeit – auf sehr positive Art und Weise.
Findest du, dass die Schweiz «herzig» ist?
Diese «Herzigkeit» ist sogar im Schweizerdeutschen allgegenwärtig: Ob Gipfeli, Guetzli, Rüebli oder das Vögeli – die Schweizer verniedlichen alles Mögliche. Mein Bruder sagte mir einmal, er könne keinen erwachsenen Mann ernst nehmen, der Wörter benutzt, die so auslauten. Ich finde, er hat Unrecht. In der Schweiz gehört das -li genauso dazu wie das Brot zum Fondue und offenbart einen besonders – Achtung, Wortwitz – li-ebevollen Blick auf die Welt.
Genervt vom Label «süss» – aber warum eigentlich?
Die Krux an der Sache mit dem Süsssein: Man fühlt sich nicht ganz ernst genommen. Denn was ist in der Regel süss? Vor allem Kinder und Tiere und Dinge im Miniaturformat. Diese Eigenschaft einer ganzen Nation zuzuschreiben, kann etwas überheblich daherkommen. Von ein paar Schweizerinnen und Schweizern habe ich schon gehört, wie sehr es sie nervt, dass die Deutschen immer sagen: «Ach, das Schweizerdeutsche klingt ja soooo süss.» Oft kichern sie dabei noch munter vor sich hin, was die Sache wohl nicht besser macht.
«In der Schweiz sieht alles aus wie im Bilderbuch»
Ich kann den Unmut verstehen. Wenn es darum geht, sich als Staat in einer globalisierten Welt zu behaupten, ist süss sein wohl eher hinderlich. Andererseits: Was ist so schlecht daran, süss zu sein? Auch seinen Crush findet man süss, Schoggi ebenfalls, ein Katzenbaby sowieso. Süss sein ist also immer etwas Gutes. Und auch der Duden findet für den Begriff nur positive Umschreibungen: «Zart, lieblich klingend und eine angenehme Empfindung hervorrufend». Die Definition von «herzig» geht noch einen Schritt weiter: «Durch besondere Anmut, Niedlichkeit, Gefallen erregend; reizend, wonnig.» Vielleicht könnten auch andere Länder sich eine Scheibe davon abschneiden.
Findest du auch, die Schweiz ist herzig? Oder denkst du, das ist alles totaler Quatsch? Dann schreib mir an letizia.vecchio@20minuten.ch
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