Stress bewältigen: Psychologe René Träder gibt Tipps

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René Träder«Stress ist unser Freund, nicht unser Feind»

Fast jeder hat ihn, keiner will ihn: Stress. Doch was hilft wirklich gegen den eigenen Stress? Psychologe René Träder gibt im Interview konkrete Tipps und erklärt, warum wir oft selbst unser grösster Stressor sind.

Darum gehts

  • René Träder sieht Stress als Freund, nicht als Feind, und gibt Tipps zum Umgang damit.
  • Viele Menschen verursachen unbewusst ihren eigenen Stress durch falsche Bewertungen.
  • Träder empfiehlt, Stressoren zu identifizieren und gezielt an ihnen zu arbeiten.
  • Stress kann als Superkraft dienen, wenn er richtig genutzt wird.

Das Thema Stress ist nicht neu. Warum haben Sie ausgerechnet dazu ein Buch geschrieben?

René Träder: Das stimmt. Wir reden sehr viel über Stress und erleben ihn auch. Ich habe aber in meinen Workshops gemerkt: Viele Leute haben keine konkrete Idee davon, was Stress wirklich ist, wie er entsteht und wie man damit umgeht. In der Schule lernen wir nichts darüber, obwohl wir davon in allen Lebensphasen betroffen sind. Wir nehmen Stress als Unruhe wahr, sind nervös, haben Bluthochdruck, eine dünne Haut oder Schlafstörungen. Aber wie wir am besten damit umgehen, müssen wir uns selbst beibringen.

Ein möglicher Umgang: Den Stress wegschieben und sich ablenken.

Genau. Viele tun dies, weil die Empfindung erstmal unangenehm ist. Wir wollen sie wegbekommen, denn Stress ist anstrengend. Wir holen uns dann eine Riesen-Packung Schoggi-Glacé oder schauen uns auf Instagram Katzenvideos an, damit wir uns besser fühlen – diese «Lösungen» sind einfach und schnell verfügbar. Den eigentlichen Stress-Auslöser schleifen wir aber weiter mit: über Stunden, Tage und manchmal sogar Jahre.

Wie gehst du mit Stress um?

Stichwort Auslöser: Sie sagen: «wir sind selbst unser grösster Stressor» – heisst das, wir sind selbst verantwortlich?

Nicht immer, aber oft. Das liegt daran, dass unsere innere Bewertung von Stressoren oft nicht korrekt ist. Ich mache mir gern das Beispiel von unserem Bodyguard, der in unserem Kopf wohnt und uns beschützen will. Er scannt permanent die Lage: Womit haben wir zu tun und überschreitet das unsere Kräfte und Ressourcen? Oder können wir damit umgehen? Wenn nicht, schlägt er Alarm und leitet die Stressreaktion ein.

Das Problem: Die Einschätzung des Bodyguards kann komplett falsch sein. Wenn wir zum Beispiel kein grosses Selbstvertrauen haben, fühlen wir uns ständig überfordert mit den äusseren Anforderungen. Kurz gesagt: Ja, Dinge von aussen prasseln auf uns ein. Gemeinsam mit unserer Bewertung der Situation kommt es dann zu Stress.

So erkennst du deine Stressoren

In Ihrem Buch bezeichnen Sie Stress dennoch als Superkraft. Warum?

Stress ist unser Freund, nicht unser Feind. In Gefahrensituationen schützt uns die biologische Stressreaktion – wir müssen zum Beispiel im Auto nicht nachdenken, bevor wir auf die Bremse treten oder, ob wir auf der Strasse einem vorbeifahrenden Velo ausweichen. Stress wird erst dann problematisch, wenn er dauerhaft auftritt. Ich vergleiche das gern mit Fieber. Das ist ebenfalls eine Schutzreaktion des Körpers, um Erreger abzutöten. Kurzfristig ist das sinnvoll. Nur wenn das Fieber zu lange anhält, wird es problematisch.

Das Wort Stress ist relativ jung. Hatten die Menschen früher keinen Stress, weil es kein Wort dafür gab?

Eine spannende Frage, denn Begriffe formen auch unser Denken. Auch wenn zum Beispiel meine Oma oder Goethe den Begriff Stress noch nicht kannten, waren sie grossen, oft existentiellen Krisen ausgesetzt: Hungersnöte, Krankheiten, eine hohe Kindersterblichkeit. Also doch – die Menschen hatten Stress. Aber im Gegensatz zu uns heute hatten sie nicht die Erwartung, ein perfektes und leidfreies Leben zu führen. Tragödien und Krisen gehörten mehr zum Alltag.

René Träder...

...ist Psychologe, Coach, Dozent, Autor, Journalist und waschechter Berliner. Er begleitet seit vielen Jahren Entwicklungsprozesse von Einzelpersonen, Teams und Unternehmen im Rahmen von Coachings, Workshops und Vorträgen. Zu seinen zentralen Themen gehören Resilienz, Stress-Management, Achtsamkeit und psychische Gesundheit.

Am 10. Juni 2025 erschien sein neues Buch zum Thema Stress: «SUPERKRAFT STATT SUPER STRESS – In 7 Schritten raus aus der Stressspirale».
René Träder begleitet viele Menschen bei ihrem Weg aus der Stressspirale.
René Träder begleitet viele Menschen bei ihrem Weg aus der Stressspirale.Rene Träder

Heute leiden die meisten Menschen im Westen keinen Hunger, gegen Krankheiten gibt es mehr Therapien. Dennoch haben wir Stress, aber eher mental: Einerseits, weil die Erwartungen an das Leben wahnsinnig hoch geworden sind. Andererseits wissen wir viel besser Bescheid, was sich auf der Welt abspielt. Gegen Kriege und globale Krisen können wir als Individuum fast nichts tun, und das stresst uns.

Und wie sollen wir damit umgehen?

Das ist eine echte Herausforderung! Schliesslich können wir nicht alle ins Kloster oder eine einsame Hütte im Wald ziehen. Aber, wir können unsere Welt wieder etwas «verkleinern», indem wir uns von der Erwartung lösen, zu jedem Konflikt auf der Welt eine dezidierte Meinung haben zu müssen. Wir müssen nicht alle Nachrichten konsumieren. Der Steinzeitmensch damals kannte ja nur die Stressoren, mit denen er unmittelbar konfrontiert war. Ausserdem ist es wichtig, mehr körperliche Erfahrungen zu machen, also riechen, schmecken, fühlen, sehen und hören.

«Wenn wir nur noch in unserem Kopf leben, wird das Leben im wahrsten Sinne des Wortes sinn-los.»

René Träder

Das kann ein Bad im See oder ein Spaziergang im Wald sein. Das Essen bewusst wahrnehmen, sich voll und ganz auf Musik einlassen, Basteln, Malen, Singen, Tanzen oder einfach ein paar bewusste Atemzüge nehmen und dadurch das Gedankenkarussell und den Puls beruhigen und mit sich selbst wieder in Kontakt kommen. Wenn wir nur noch in unserem Kopf leben, wird das Leben im wahrsten Sinne des Wortes sinn-los.

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Letizia Vecchio (eve) arbeitete seit 2023 bei 20 Minuten, sowohl am Newsdesk als auch als Reporterin im Team News und Gesellschaft.

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