Schülerverband«Wir müssen fast betteln, dass wir mitreden können»
Schweizer Schüler fordern, dass Künstliche Intelligenz schneller und flächendeckend den Weg in die Schulzimmer findet. Der Lehrerverband kontert, es passiere schon viel – eine einheitliche Regelung sei aber nicht zielführend.
Darum gehts
- Schweizer Schüler fordern eine nationale KI-Strategie für Schulen, um den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu standardisieren.
- Der Lehrerverband betont den Föderalismus und sieht keine Möglichkeit für eine nationale Regelung.
- Schüler möchten stärker in die Diskussionen über den Einsatz von KI in Schulen einbezogen werden.
- Der Lehrerverband sieht die Verantwortung bei den Lehrpersonen, die den Einsatz von KI individuell gestalten sollen.
In einem sind sich Maximilian Thiersch, Vizepräsident der nationalen Schülervertretung (Union of Student Organizations, USO) und Beat Schwendimann, Leiter Digitale Transformation beim Lehrerverband, einig: Künstliche Intelligenz hat die Schweizer Schulen im Sturm erobert.
Die USO arbeitet gerade an einem Positionspapier. «Es herrscht Wildwuchs in den Schulen. Wir sind überzeugt, dass das Schweizer Bildungswesen mit einem einheitlichen Umgang extrem profitieren und das Bildungsniveau gesteigert werden könnte», sagt Thiersch. Das sind die zentralen Forderungen der Schülerorganisation:
Eine einheitliche, nationale KI-Strategie für Schulen
«Bisher haben die wenigsten Schulen klare Regeln für den Umgang mit KI. Und dort, wo es sie gibt, drehen sie sich vor allem darum, wie die Lernenden bestraft werden, wenn sie KI unerlaubt einsetzen. Wir fordern eine nationale Strategie. Denn: Es fehlt schlicht die Zeit, damit jede Schule eigenständig Konzepte ausarbeiten könnte. Die Technologie entwickelt sich so rasant.»
Das sagt der Lehrerverband
Schwendimann verweist auf den Föderalismus: «Das Bildungswesen ist per Verfassung Sache der Kantone. Der Bund hat nicht die Kompetenz, hier Vorgaben zu machen. Eine nationale Strategie wird also nicht möglich sein.»

Einbezug der Lernenden
Thiersch: «Aktuell müssen wir fast darum betteln, dass die Bildungsinstitutionen uns mitreden lassen. Dabei sind wir die Generation, die mit diesen Tools aufgewachsen ist. Wenn es darum geht, wie das Bildungswesen mit KI umgehen soll, muss die Schülermeinung systematisch berücksichtigt werden.»
Das sagt der Lehrerverband
Schwendimann begrüsst es grundsätzlich, wenn die Schülerschaft ihre Meinung einbringen will. «Doch Lehrpersonen sind pädagogische Experten. Sie müssen entscheiden, inwiefern eine Anwendung pädagogisch sinnvoll ist. Im Idealfall einigen sich Lernende und Lehrpersonen auf einen sinnvollen Kompromiss.»
Genereller Wandel im Schulsystem
Für Thiersch steht fest: «Mit KI wird Auswendiglernen – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie im Fremdsprachenunterricht – überflüssig. Stattdessen müssten die Schulen viel mehr Softskills lehren: auf das Verständnis von Zusammenhängen, Prozessen oder etwa Führungsqualitäten. Das würde die Schüler wesentlich besser auf die Herausforderungen der Arbeitswelt vorbereiten, als Formeln zu büffeln.»
Das sagt der Lehrerverband
«Diese Diskussion ist nicht neu. Wir haben sie auch beim Aufkommen des Internets geführt, bei Google oder Wikipedia», sagt Schwendimann. Die Antwort sei aus pädagogischer Sicht immer dieselbe: «Gewisse Konzepte muss man sich erarbeiten, unser Hirn funktioniert so. Mit dem Auswendiglernen, der Auseinandersetzung mit Unterrichtsstoff – auch solchem, der im Internet oder über KI verfügbar wäre – trainieren wir unser Hirn. So entwickeln wir wichtige Kompetenzen, die später etwa auch dabei helfen, KI-erstellte Materie zu begreifen und in einen Zusammenhang stellen zu können.» Studien zeigten, dass der Lerneffekt deutlich geringer sei, wenn man einen Text durch eine KI erstellen lasse und überarbeite, als wenn man ihn selber schreibe.
Die Frage, wie KI sich auf den Lehrplan auswirkt, werde man in der Schweiz früher oder später diskutieren müssen, sagt Schwendimann: «Das wird aber vermutlich erst mit der nächsten grossen Lehrplanreform in rund zehn Jahren passieren.»
KI soll fächerübergreifend systematisch angewendet werden
Für die Schülerschaft gehe es weniger darum, KI als eigenes Fach zu implementieren. «Das kann ergänzend stattfinden. Viel wichtiger ist aber, dass für jedes Fach geprüft wird, ob, und wenn ja, wo der Einsatz welcher KI-Tools Sinn macht», sagt Thiersch.
Das sagt der Lehrerverband
Dem stimmt Schwendimann zu: «Mit dem Lehrplan21, der vor über zehn Jahren eingeführt worden ist, hat die Schweiz eine Vorreiterrolle inne. Neue Technologien werden darin bewusst als transversales Thema verstanden, sprich: KI kann heute schon problemlos im Deutsch- oder Geschichtsunterricht genauso wie im Sport- oder Musikunterricht eingesetzt werden. Das eigene Fach Medien & Informatik gibt es ergänzend dazu.» Wie intensiv das tatsächlich passiere, hänge aber stark von den Lehrpersonen ab: «Einige sind sehr technikaffin und wenden schon diverse Tools an, die grosse Mitte befasst sich hin und wieder damit und dann gibt es auch einen kleinen Teil, der sich gegen die Implementierung von KI wehrt.»
Ein Ziel, zwei Visionen
Sowohl Thiersch als auch Schwendimann sind überzeugt: KI wird die Arbeitswelt ebenso verändern wie das Bildungssystem. Während Thiersch als Schülervertreter aber eine nationale Strategie und sofortige Änderungen fordert, vertraut Schwendimann auf gut ausgebildete, engagierte Lehrpersonen, die den technologischen Wandel Stück für Stück in den Unterricht einbauen. Und setzt damit letztlich auf Selbstverantwortung.
Auch ohne nationale Strategie seien die Schulen nicht untätig. «Umfang und Tempo von KI-Einsätzen an Schulen sind individuell und hängen am Ende oft auch einfach von der Technologieaffinität des Lehrpersonals ab.»
Sollten Schüler stärker in die Diskussionen über den Einsatz von KI in Schulen einbezogen werden?
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Daniel Graf (dgr) arbeitet seit 2020 für 20 Minuten. Er ist Leiter des Ressorts News, Wirtschaft & Videoreportagen und seit September 2023 Mitglied der Redaktionsleitung.
