FASD: 1700 Kinder pro Jahr in der Schweiz betroffen

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Schwangerschaft«Viele Frauen sind sich der Gefahr von Alkohol nicht bewusst»

1700 Kinder kommen jedes Jahr mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) in der Schweiz zur Welt. Wir haben mit Roger Mäder, Mitinitiant von FASD Schweiz, über das Ausmass und die Folgen gesprochen.

Darum gehts

  • Alkohol in der Schwangerschaft kann das ungeborene Kind schwer schädigen.
  • Kinder mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) leiden unter Lernproblemen, Entwicklungsstörungen und sozialem Rückzug.
  • In der Schweiz kommen jährlich über 1700 betroffene Kinder zur Welt.
  • Experte Roger Mäder erklärt, was ein kleines Glas Alkohol verursachen kann.

In der Schweiz kommen laut der Stiftung Sucht Schweiz jedes Jahr über 1700 Neugeborene mit FASD zur Welt. Fachgesellschaften, wie die Pädiatrie Schweiz, gehen davon aus, dass rund 2,6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen Anzeichen einer Alkoholspektrumstörung zeigen. Es wird geschätzt, dass in jeder Schulklasse mindestens ein Kind betroffen ist. Damit gehört FASD zu den häufigsten nicht genetisch bedingten Entwicklungsstörungen überhaupt. Die Erfahrungen von Betroffenen in der Community kannst du hier lesen.

Wir haben mit Roger Mäder, Mitinitiant von FASD Schweiz, gesprochen:

Wie gefährlich ist bereits ein kleines Glas Alkohol in der Schwangerschaft?

Das kann man nicht sagen – man weiss es schlicht nicht. Alkohol ist ein Zellgift und ist zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft schädlich. Je nach Entwicklungsphase des Ungeborenen treten unterschiedliche Schädigungen auf. Deshalb gilt die Empfehlung: Überhaupt keinen Alkohol trinken. In der Schweiz ist das Thema leider völlig unter dem Radar. Viele denken, ein wenig schade nicht. Doch das ist ein Trugschluss.
Störungen, die bei der Geburt auftreten können: geringes Geburtsgewicht, verzögertes Wachstum sowie Schlaf- und Saugprobleme.
Störungen, die bei der Geburt auftreten können: geringes Geburtsgewicht, verzögertes Wachstum sowie Schlaf- und Saugprobleme.Unsplash

Welche typischen körperlichen und kognitiven Schäden verursacht Alkohol in der Schwangerschaft?

Es können physische und mentale Störungen sowie Verhaltens- und Lernauffälligkeiten auftreten, die ein Leben lang bestehen. Bei der Geburt: geringes Geburtsgewicht, verzögertes Wachstum sowie Schlaf- und Saugprobleme. Später: verlangsamte Entwicklung, Hyperaktivität, Lern- und Denkprobleme, Schwierigkeiten im Alltag, im Sozialverhalten und beim Urteilsvermögen. Dabei sind diese Beeinträchtigungen nicht an den IQ gekoppelt. Betroffene sind auch häufiger gefährdet, selber eine Suchterkrankung zu entwickeln.

Ab wann und wie kann FASD zuverlässig diagnostiziert werden?

Wenn es äusserliche Auffälligkeiten gibt, sind diese gleich bei der Geburt feststellbar und eine Diagnose ist zu diesem Zeitpunkt auch am einfachsten. Später ist die Diagnosestellung sehr komplex, weil viele Kriterien zusammenkommen. Dazu sind aufwendige Testverfahren nötig, die erst ab Vorschulalter möglich sind. In der Schweiz gibt es jedoch kaum Abklärungsstätten und die Wartezeiten sind teilweise lang.

Gibt es wirksame Therapien?

Nein, heilen lässt es sich nicht und es gibt leider keine spezielle Therapie. Man kann Betroffene begleiten, damit die Nebenerscheinungen wie beispielsweise psychische Überbelastungen bis hin zu Straffälligkeiten nicht auftreten oder zunehmen, und den Betroffenen so das Leben erleichtern – etwa mit Angeboten wie Logopädie, sozialpädagogischer Begleitung oder Reittherapien. Je nach Symptomatik können auch Medikamente sinnvoll sein.

Wie gut fühlst du dich über die Risiken von Alkoholkonsum informiert?

Warum wird FASD so oft übersehen oder mit ADHS/Autismus verwechselt?

Die Symptome sind sehr ähnlich. Viele Kinder mit FASD werden als ADHS-Fälle diagnostiziert. Doch während ADHS therapeutisch behandelt werden kann, ist das bei FASD schwieriger, da die kognitiven Voraussetzungen fehlen. Fachleute schätzen, dass jedes vierte Kind mit einer Fehldiagnose lebt.

Mit welchen Belastungen kämpfen betroffene Familien im Alltag am stärksten?

Es gibt keine Hilfsangebote und es fehlt an Wissen. Wenn äusserliche Auffälligkeiten fehlen – und das ist in den allermeisten Fällen so –, ist FASD eine unsichtbare Behinderung. Es ist wichtig, dass anerkannt wird, dass es nicht eine Frage des «Nicht-Wollens», sondern eine Sache des «Nicht-Könnens» ist. Das Umfeld reagiert dann vielleicht mit Druck: noch mehr lernen, noch mehr fordern. Das verschlimmert die Situation, zerstört das Selbstwertgefühl und führt zu Stigmatisierung.

Was müsste sich in Gesellschaft und Politik ändern, um FASD-Betroffene besser zu unterstützen?

Es braucht mehr finanzielle Mittel und spezialisierte Anlaufstellen, damit Betroffene und ihre Familien einfacher Zugang zu verschiedensten medizinischen Hilfsangeboten bekommen. Vor allem aber Prävention: Ärzte und Ärztinnen sollten klar sagen, dass auch kleine Mengen Alkohol in der Schwangerschaft schädlich sein können. Gut wäre zudem, dass auch Väter solidarisch sind und auf Alkohol verzichten.

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Deborah Gonzalez (dgo) arbeitet seit 2021 für 20 Minuten. Einerseits schreibt sie für das Ressort Community und andererseits ist sie Print-Produzentin.

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