SBB-Chef im InterviewHerr Ducrot, schnappen bald Chinesen Peter Spuhler Aufträge weg?
SBB-CEO Vincent Ducrot versteht den Ruf nach mehr Swissness bei der Zugbeschaffung. Die Spielregeln müsste aber die Politik ändern.
Darum gehts
- Der SBB-Chef möchte in Zukunft die Schweiz mit London verbinden. Er rechnet mit sechs Stunden Fahrzeit.
- Er verteidigt den Entscheid, die neuen Züge für die Zürcher S-Bahn in Deutschland bauen zu lassen.
- Das Gesetz lasse der SBB keinen Handlungsspielraum. Alle Anbieter – auch chinesische – müssten gleich behandelt werden.
Herr Ducrot, Sie standen zuletzt unter Beschuss, weil Sie die neuen Züge für die Zürcher S-Bahn im Ausland bauen lassen. Haben Sie den Patriotismus im Land unterschätzt?
Oh nein! Wir haben das erwartet, wenn auch nicht in dieser Heftigkeit. Ich habe auch Verständnis für die Forderung nach mehr Swissness. Wir sind jedoch den WTO-Regeln unterstellt und müssen öffentlich ausschreiben und alle gleich behandeln. Die Offerten werden strikt nach einem Punktesystem bewertet – der beste Zug gewinnt.
Bei der Armee hat der Rüstungschef «Swiss made» beim Pistolenkauf einfach zum Killerkriterium erklärt.
Noch einmal: Die Beschaffungsgesetze sind für uns sehr strikt. Solch grosse Beschaffungen enden oft vor Gericht. Und dort wollen wir nicht verlieren. Abgesehen davon: Die Anbieter kannten unsere Kriterien. Keiner hat sie angefochten.
Wegen des Entscheids haben Sie und Ihre Familie Drohungen bekommen, brauchten Personenschutz. Hat Ihnen das zugesetzt?
Ja, das belastet uns selbstverständlich. Ich schlafe aber gut, weil wir die Vergabe gesetzeskonform und sehr genau durchgeführt haben. Die Gesetzgebung, die das Parlament 2019 noch massiv verschärft hat, lässt uns gar keine andere Wahl. Sie müssten die Parlamentarier fragen, welche Industriepolitik sie wollen.

Alle reden von Siemens und Stadler. Mit Hitachi war aber auch ein japanischer Hersteller im Rennen. Wieso ist Hitachi in der Schweiz chancenlos?
Ganz einfach: Siemens hat die beste Offerte geliefert und am meisten Punkte bekommen. Die Züge bieten viele Sitzplätze, sind günstig in Beschaffung und Unterhalt. Wir werden bald neue internationale Züge sowie Züge für den Raum Genf bestellen. Hier werden die Karten neu gemischt. In Europa sind heute unter anderem Alstom, Hitachi, Stadler und Siemens tätig. Wir sind froh, dass es Wettbewerb gibt. Das kommt den Kundinnen und Kunden und Steuerzahlenden entgegen. Sonst gäbe es eine Monopolsituation und die Preise würden steigen.
«In Österreich wurden erstmals chinesische Züge beschafft.»
Auch chinesische Hersteller sind in den Startlöchern. Werden sie Peter Spuhler künftig Aufträge wegschnappen?
In Österreich wurden erstmals chinesische Züge beschafft. Bei uns sind die Spielregeln klar: Wir können nicht einfach einen Zug oder einen Hersteller ausschliessen. Es gewinnt derjenige, der die vereinbarten Kriterien am besten erfüllt, am innovativsten ist und am meisten Kundennutzen bringt. Peter Spuhler braucht kein Rezept. Er weiss sehr gut, mit Konkurrenz umzugehen. Er hat in den letzten 25 Jahren über 70 Prozent der Aufträge der SBB gewonnen.
Das neue Beschaffungsrecht
Trotzdem: Da entstehen gerade Giganten. Wie in der Autoindustrie.
Sie haben völlig recht. Die Politik muss entscheiden, ob die Schweiz zu schützen ist oder nicht. Das ist nicht Aufgabe der SBB.
Dann müsste die Politik das Beschaffungsrecht ändern?
«Swissness» ist heute gesetzlich nicht erlaubt. Ich kann die Forderung nach Wertschöpfung in der Schweiz nachvollziehen. Eine allfällige Gesetzesänderung müsste allerdings den Wettbewerb der Hersteller weiterhin sicherstellen.

Themawechsel: Immer wieder hört man schrille Warnungen, die Schieneninfrastruktur verlottere – tue man nichts, drohten deutsche Zustände. Der Investitionsrückstand belaufe sich bereits auf über acht Milliarden Franken. Ist es wirklich so schlimm oder erhofft man sich einfach mehr Geld vom Staat?
Die Situation ist sehr ernst. Es fahren immer mehr Züge, was die Infrastruktur belastet. Wir müssten alle 30 Jahre die Fahrbahn erneuern. Umgerechnet wären das 230 Kilometer pro Jahr. Heute machen wir nur 200. Das heisst: Wir ersetzen zu wenig.
Wer hat es so weit kommen lassen?
Wie gesagt: Mehr Züge, die schneller beschleunigen, fordern die Infrastruktur. Und vor ein paar Jahren waren wir noch nicht in der Lage, so viel zu erneuern. Wir machen 20’000 Baustellen pro Jahr. Das ist extrem viel. Zur normalen Alterung kommt hinzu: Sehr viel Infrastruktur ist zwischen 1900 und 1920 entstanden. Die Brücken und Tunnel aus dieser Zeit müssen nun alle saniert werden. Auch die heutige Elektronik hält nicht mehr so lange. Der Gotthardtunnel wurde 2016 eingeweiht, einige elektronische Komponenten sind schon «end of life».
«Die Situation ist sehr ernst. Immer mehr Züge belasten die Infrastruktur.»
Müssen sich auch die Fahrgäste beteiligen? Sprich: Werden die Billettpreise nächstes Jahr steigen?
Das ist offen. Es kommt immer auch darauf an, wie viel Abgeltung im regionalen Personenverkehr das Parlament beschliesst. Aber auch der Bund muss sparen, weil weniger Geld in der Kasse ist. Festgelegt werden die Tarife von der Alliance Swisspass, die SBB hat in diesem Gremium nur eine Stimme.
Die Digitalisierung der Stellwerke wird über eine Milliarde verschlingen. Was versprechen Sie sich davon?
Wir haben 600 Stellwerke, die noch mit ganz alten Technologien funktionieren. Sie sind mit Relais ausgerüstet, das sind Schalter, mit denen man über ein Kabel ein Signal oder eine Weiche steuern kann. Allein in Zürich gibt es Tausende dieser Relais. Wir werden diese Technologie durch Computertechnik ersetzen. So können wir noch mehr Züge auf das Netz bringen.
Die Politik debattierte wochenlang, ob ein Nachtzug nach Malmö subventioniert werden sollte. Ist das nicht absurd angesichts der massiven Herausforderungen?
Ich musste 2009 den Nachtzugverkehr einstellen, weil die Nachfrage stark zurückgegangen war. Die Züge waren fast leer, die Qualität lausig. Und plötzlich haben wir ein Revival. Das ist schön, aber leider sind die Nachtzüge nach wie vor nicht rentabel, weil die Trassen viel zu teuer sind im Vergleich zur Zahl der Passagiere.
Es macht Ihnen also nicht weh, dass das Projekt am Ende abgestürzt ist?
Nein. Wäre es politisch gewünscht worden, hätten wir es gerne gemacht für unsere Kunden. Jedoch liegt unser Fokus ohnehin auf den internationalen Tageslinien, die auch rentabel sind. Wir möchten London, Barcelona und Rom bis in ein paar Jahren schneller verbinden. Es würde mich enorm freuen, könnten wir in sechs Stunden nach London fahren.
Bedauerst du, dass der Nachtzug nach Malmö im Parlament gescheitert ist?
