Debatte der VizesScharfes Wortgefecht führt zum Patt
In der zweiten Debatte des US-Wahlherbsts kreuzten die Kandidaten fürs Amt des Vizepräsidenten beherzt die Klingen. Unentschiedenen Wählern haben sie die Wahl nicht erleichtert.
Mit seinen Worten hatte wahrscheinlich Joe Biden die Oberhand. Aber vor den Kameras sah Paul Ryan besser aus. Unter dem Strich endete das 90 Minuten dauernde Debattenduell zwischen den zwei Anwärtern auf Amerikas Vizepräsidentschaft gestern mit einem Unentschieden.
Vizepräsident Joe Biden war in mehrerer Hinsicht das Gegenteil seines republikanischen Herausforderers, des Abgeordneten Paul Ryan. Der 69-jährige Biden spielte seine reiche Erfahrung als langjähriger Politiker in Washington voll aus. Nichts vermochte ihn einzuschüchtern, und immer wieder fand er spontan kraftvolle Formulierungen. Ryans Behauptungen quittierte er mit «Blödsinn», «Geschwätz» und «Zeugs».
Biden unterstrich seine Passion für die Nöte der einfachen Leute. Wiederholt nannte er die Zahl der 47 Prozent - den Anteil jener Amerikaner, die der Präsidentschaftskandidat Mitt Romney im September als Schmarotzer bezeichnet hatte. Aber irritierend wirkte, dass er immer wieder grinste und feixte, während Ryan sprach.
«Das kriegt man in dieser Regierung: Reden»
Der 27 Jahre jüngere Ryan blieb vergleichsweise ruhig und beherrscht. Er verwendete trockene Formulierungen und vermied Aggression. Ryan bewies Faktenkenntnis, indem er seine Aussagen mit einer Unmenge von Zahlen spickte. Seinem Gegenspieler und dem Präsidenten Barack Obama warf er insbesondere vor, die Wirtschaft nicht wieder in Gang gebracht zu haben. «Das kriegt man in dieser Regierung: Reden», sagte Ryan. «Aber Führung erhalten wir keine.»
Die Vizedebatte fand in Kentucky statt und wurde von der ABC-Fernsehjournalistin Martha Raddatz geführt, einer Spezialistin für Aussenpolitik. Entsprechend erhielten sicherheitspolitische Fragen einen grossen Stellenwert. Paul Ryan warf Biden und Obama unter anderem vor, sie hätten die Bedeutung des Terrorangriffs auf das Konsulat von Benghazi in Libyen vom 11. September 2012 heruntergespielt. Joe Biden wiederum unterstellte Romney und Ryan, sie würden den Truppenabzug aus Afghanistan verzögern und einen Krieg gegen den Iran anzetteln wollen.
Beide Vizes erfüllten Erwartungen
Sprecher beider Seiten sahen ihre Schützlinge als Sieger. Stephanie Cutter vom Team Obama sprach von einem «entschiedenen Sieg Bidens»; der republikanische Parteipräsident Reince Priebus erklärte: «Der Schwung auf unserer Seite bleibt bestehen.» Nach dem Urteil der meisten Analysten hat der Vizepräsident seine Hauptaufgabe erfüllt und der nach dem Debattendebakel der Vorwoche schwächelnden Obama-Kampagne neue Energie eingeflösst. Umgekehrt habe der unerfahrene Paul Ryan eine wichtige Hürde genommen und sich als ausreichend «präsidentiell» präsentiert.
Die ausgeglichene Beurteilung wurde von einer Blitzumfrage von CNN bestätigt, wonach die TV-Zuschauer den Zweikampf als unentschieden wahrnahmen. 48 Prozent sahen Ryan als Sieger, 44 Prozent Biden. Dieser Einschätzung entsprach die Reaktion von repräsentativen Fokusgruppen unentschiedener Wähler, die von Fernsehsendern einberufen wurden. In der Gruppe von CNN erklärten drei Mitglieder, sie würden jetzt eher Obama wählen, und drei schwenkten zu Romney über. Bei Fox News kam keiner der Gruppenmitglieder einer Entscheidung näher.
Telegener Ryan
Im Grund spielte sich die Debatte auf mehreren Ebenen ab. Der konservative Kommentator Charles Krauthammer beschrieb die möglichen Wahrnehmungen so: Auf dem Transkript gelesen, wirken beide Kandidaten gleich stark; am Radio gehört, siegt Biden; aber am Fernsehen geschaut, gewinnt Ryan. Republikanische Kommentatoren freuten sich schon kurz nach der Debatte darauf, die vielen Momente von Joe Bidens Grinsen in einem Video aneinanderzumontieren. «Wochen und Monate später wird man sich an diese Bilder erinnern», sagte der einstige Bush-Berater Karl Rove voraus.
Andere Analysten prognostizierten keine grosse Wirkung der Debatte. Es sei genau so wahrscheinlich, dass man sie bis zum nächsten Obama-Romney-Duell am Dienstag vergessen werde. Dann werden die zwei Präsidentschaftskandidaten im Format eines Town-Meeting-Treffens aufeinandertreffen. Der Umfrageforscher Charlie Cook sagte zu den McClatchy-Zeitungen: «Vielleicht sollte man an den Debatten der Vizepräsidentschaftskandidaten die Klausel anbringen: Nur für Unterhaltungszwecke geeignet.»
Entertainment jedenfalls bot das Duell Biden-Ryan reichlich.
(Quelle: YouTube/AP)