«Papa, Papa! Mach, dass das Brennen aufhört!»

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Nordsyrien«Papa, Papa! Mach, dass das Brennen aufhört!»

Das Video eines schwer verbrannten, schreienden Buben ist schwer zu ertragen. Wird in Nordsyrien weisser Phosphor gegen Zivilisten eingesetzt?

Ann Guenter
Nordsyrien
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Ann Guenter
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Der schwer verletzte Bub, der Mohammed heissen und 13 Jahre alt sein soll, wurde ins Shachid-Legerin-Spital von Tel Tamr gebracht.
«Drei Kinder, drei Zivilisten und mehrere kurdische Kämpfer wurden letzte Woche bei Luftschlägen verletzt. Sie wiesen Verbrennungen auf, die nicht normal erschienen», sagt Krankenschwester Fathma (24) zu 20 Minuten.
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Der kleine Oberkörper des Buben ist mit Blasen übersät. Der Bub weint und schreit immer wieder: «Papa, Papa! Mach, dass das Brennen aufhört!» Das Video, das das vor Schmerzen brüllende Kind mit schwersten Brandverletzungen in einem Spital zeigt, geht von Nordsyrien aus viral. Es ist kaum zu ertragen.

20 Minuten machte sich auf den Weg in das Krankenhaus, von dem es hiess, dass dieses junge Opfer dort eingeliefert worden sei. Das Spital Shachid Legerin liegt in Tel Tamr, rund 38 Kilometer von der Stadt Serekaniye (arab.: Ras al Ain) entfernt.

Türkische Angriffe auf die Stadt hatten Dutzende Verletzte gefordert, die zur Erstversorgung in das Krankenhaus von Tel Tamr gebracht wurden, darunter der Bub aus dem Video.

«Die Wunden brannten noch»

«Drei Kinder, drei Zivilisten und mehrere kurdische Kämpfer wurden letzte Woche bei Luftschlägen verletzt. Sie wiesen Verbrennungen auf, die nicht normal erschienen», sagt Krankenschwester Fathma (24).

«Die Wunden waren regelrechte Löcher und einige davon brannten noch, als diese Verletzten hierherkamen.» Fathma behandelte den verbrannten Buben, von dem sie glaubt, dass er Mohammed Hamid heisst und 13 Jahre alt ist. Sie habe viel Wundcreme aufgetragen und Morphinspritzen verabreicht.

«Also filmte ich, statt zu weinen»

Alia (29), eine andere Krankenschwester, filmte das schreiende Kind. Sie gibt uns ihr Video unter Tränen, die Erinnerung an diesen Tag schmerzt sie. «Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Also filmte ich, statt wie jetzt zu weinen», sagt sie. Beide Schwestern erzählen zudem von etwa 40 eingelieferten Patienten, die äusserlich zwar keine Verletzungen aufgewiesen hätten. Doch: «Sie hatten Atemnot, ihre Lippen waren blau, auch unter ihren Augen hatten sich blaue Ringe gebildet. Wir wissen nicht, was das sein könnte.»

Wir fragen einen Arzt des Spitals nach einer Einschätzung. «Ich bin kein Experte», sagt Doktor Hassan, der in seinem grünen Kittel müde und ausgelaugt wirkt. «Aber die Wunden waren keine normalen Brandwunden. Mir bleibt nur ein Vergleich: Diese Patienten sahen aus wie Grillpoulets.»

«Keinen kümmern solche Attacken»

Er vermutet, dass bei den Kämpfen weisser Phosphor eingesetzt wurde – ein hochgiftiger Stoff, der in Brandbomben und Nebelkampfstoff enthalten sein und Verbrennungen bis auf die Knochen hinterlassen kann. Durch die grossflächigen Verbrennungen sterben Betroffene qualvoll langsam. Auch wenn Phosphor durch Wasser löschbar ist, kann er sich immer wieder entzünden. Alleine Sand kann ihn permanent löschen.

Man habe im Spital keine Spezialisten, um die Patienten adäquat zu behandeln oder gezielte Untersuchungen zu machen, sagt Doktor Hassan. Die Wut packt ihn: «Keinen kümmern solche Attacken, erst recht nicht den Westen.»

Nach Frankreich geflogen

Gemäss den Mitarbeitern des Shachid-Legerin-Spitals wurden der schwer verletzte Mohammed sowie die anderen Opfer in eine Spezialabteilung eines der vier Spitäler der Grossstadt Hassaka und schliesslich nach Qamishli verlegt, in die De-facto-Hauptstadt der Kurden Nordsyriens.

Das Video ging auch den Kurden im benachbarten Irak ans Herz. Die schwerreiche Hilfsorganisation Barzani Foundation nahm sich der Behandlung des Buben an und bestätigt gegenüber 20 Minuten: «Die Verbrennungen des Kindes waren derart schwer, dass wir ihn zur Behandlung ins Ausland fliegen mussten.» Vorgestern landete der kleine Mohammed in Frankreich. Ob er überleben wird, steht noch nicht fest.

Weisser Phosphor: Verbrennungen bis auf die Knochen

Der Einsatz von weissem Phosphor gegen Zivilsten im Krieg ist gemäss dem Genfer Abkommen seit 1977 verboten, nicht aber im Allgemeinen. So setzten die USA, die dieses Zusatzabkommen nie unterzeichneten, tonnenweise weissen Phosphor im Irakkrieg ein. Auch die Türkei verneint den Einsatz chemischer Waffen während ihrer aktuellen Offensive. Medien zufolge wurde die Organisation für das Verbot chemischer Waffen mit Sitz in Den Haag über die Anschuldigungen der Kurden informiert.

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