Hier gehen 300 Kilo IS-Sprengfallen in die Luft

Aktualisiert

Reportage aus dem IrakHier gehen 300 Kilo IS-Sprengfallen in die Luft

Steve entschärft und zerstört für eine Schweizer Anti-Minen-Organisation die Sprengfallen der Terrormiliz Islamischer Staat im Irak. 20 Minuten hat ihn begleitet.

Ann Guenter
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Ann Guenter
Peshmerga-Stützpunkte gegenüber der von Bäumen gesäumten IS-Frontlinie.
Steve (im grünen T-Shirt) und sein Team von der Swiss Foundation for Mine Action (FSD) ...
... vernichten in der Steinwüste in der nordirakischen Provinz Salah ad-Din 300 Kilogramm Sprengstoff der Terrormiliz IS (siehe Video).
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Peshmerga-Stützpunkte gegenüber der von Bäumen gesäumten IS-Frontlinie.

Ann Guenter/20Minuten

Die rund 300 Kilogramm Sprengstoff, die irgendwo in der Steinwüste in der irakischen Provinz Salah ad-Din in die Luft gehen, lösen eine Druckwelle aus, die es in sich hat. Wir sitzen in sicherer Entfernung einige hundert Meter entfernt an einem Stützpunkt der Peshmerga und beobachten das Spektakel.

Zuvor sind wir mit Blaulicht in einem Dreierkonvoi um vier Uhr morgens in Arbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion im Nordirak, losgefahren. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 140 Kilometern pro Stunde donnern wir links und rechts an riesigen Lastwagen vorbei, die Strassen gestalten sich entsprechend – mir ist etwas flau im Magen.

Unterwegs bin ich mit Steve und seinem Team. Der ehemalige US-Soldat und Vollblut-Minenräumer mit 30 Jahren Erfahrung arbeitet für die Swiss Foundation for Mine Action (FSD). «Ich kam in den Nordirak, um Mark zu ersetzen, der im Mai ums Leben gekommen ist.» Damit meint Steve den Australier Mark Belford: Er starb, als er Sprengsätze des «Islamischen Staates» (IS) entschärfte. «Sie arbeiteten seit einem halben Jahr im Gebiet um Tal Rabba. Mark stützte sich mit der Hand ab, da ging eine vergrabene Druckplatte los. Zwei Beine waren alles, was von ihm übrig blieb. Er wurde regelrecht vaporisiert.»

IS spickt ganze Landstriche mit Sprengfallen

Mit vollem Namen will Steve nicht genannt werden: «Für die IS-Typen bin ich ein gefundenes Fressen.» Er hat recht: Dem IS, der ganze Landstriche mit seinen tödlichen Sprengfallen (IEDs) spickt, sind die westlichen Anti-Minen-Spezialisten ein Dorn im Auge. Ende August kam in Ramadi ein Brite beim Entschärfen einer Sprengfalle ums Leben.

«Der Sprengsatz war mit einem Handy verbunden. Jemand beobachtete den Mann bei der Arbeit, rief auf das Handy an und zündete so den Sprengsatz. Der Brite hatte keine Chance, er kniete direkt über der tödlichen Falle, die er entschärfen wollte. Der IS gab danach in Internetforen damit an. Widerlich», erzählt Steve.

50 Behälter voller Sprengstoff

Fast drei Stunden später sind wir an einem der vielen Stützpunkte der Peshmerga angekommen. In einem Container lagern rund 50 Behälter voller Sprengstoff: Plastik-Kanister, abgesägte Teile von Abwasserrohren und zusammengeschweisste Metallplatten. Solche IEDs haben die Islamisten im nahen Dorf Bashir auf Strassen, Feldern und Häusern versteckt, bis sie im Juni vertrieben wurden.

Es ist nur ein kleiner Teil des tödlichen Materials, das Steve und sein Team in drei Wochen aufgespürt, entschärft und auseinandergenommen haben. «Wir werden das alles in die Luft jagen», sagt Steve. Man hört ihm die Befriedigung an.

Das FSD-Team lädt das hochexplosive Material in zwei Pick-ups und fährt damit querfeldein in die Wüste. Der Peshmerga-Kämpfer, der mit seiner Kalaschnikow in eine rosa Decke gehüllt auf einer Pritsche im Freien schläft, lässt sich von dem ganzen Trubel nicht stören. Er habe die ganze Nacht über gegen den IS gekämpft, erzählen seine Kameraden.

In der Einöde entladen Steve und seine Männer die Kanister, Rohrteile und Platten und hieven sie vorsichtig in ein bereits ausgehobenes, gut drei Meter tiefes Erdloch. Die Hitze kriecht unerbittlich herauf, und ich will der Aufforderung des Sicherheitsbeauftragten, meine schusssichere Weste anzuziehen, zunächst nicht nachkommen. Wieso auch? In diesem Gebiet reiht sich ein Peshmerga-Stützpunkt an den nächsten. «Siehst du diese Baumline dort hinten?», fragt Steve. «Das sind IS-Linien. Sie beobachten uns und wir beobachten sie.» Es sind keine zwei Kilometer Distanz dazwischen. Ein guter Sniper, und davon hat der IS einige, könnte uns leicht ins Visier nehmen.

Die Kanister sind aufgereiht, eine gelbe Zündschnür wird abgerollt und nach Steves Vorgaben verlegt. Es herrscht geschäftiges Treiben. Hier sind keine Hobby-Pyromanen am Werk, Konzentration und Genauigkeit sind gefragt. Ein Probezündkopf wird erfolgreich getestet.

Kann die Kamera das überstehen?

Wir stellen eine Kamera in gut 20 Metern Entfernung von dem Erdloch auf, um zu dokumentieren, wie sich eine Explosion von 300 Kilogramm Sprengstoff aus der Nähe anhört. «Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kamera das übersteht, liegen bei 85 Prozent», meint Steve. Chef, vergib mir, denke ich. Dann scheucht mich Steve ins Auto und zurück zum Peshmerga-Stützpunkt.

Steve stösst etwa eine halbe Stunde später zu uns auf den Stützpunkt. Er wird von hier aus zünden. «Bleibt hinter den Sandsäcken», sagt er, «jetzt knallts.»

Nach dem Megaknall ist es unheimlich ruhig. Staub legt sich auf alles. Wir fahren zurück, um nach der kleinen Kamera zu sehen. Mir schwant nichts Gutes. 300 Kilogramm Sprengstoff, und wir spürten die Druckwelle selbst auf dem hunderte Meter entfernten Stützpunkt. Wie soll die Kleine das überlebt haben? Sehen Sie selbst:

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