Ägypten nach dem Putsch«Wir wachten auf, und die Krise war vorbei»
Stromausfälle und Benzinmangel hatten viele Ägypter gegen Präsident Mohammed Mursi aufgebracht. Seit seinem Sturz funktioniert plötzlich alles wieder. Sabotage, sagen die Muslimbrüder.

Die langen Schlangen vor den Tankstellen, wie hier in Kairo am 25. Juni 2013, sind seit dem Sturz von Mohammed Mursi verschwunden.
Es war das Chaos, das viele Ägypter gegen den Präsidenten aufgebracht hat: Stromausfälle, Benzinknappheit und Gesetzlosigkeit auf den Strassen. Seit der Absetzung Mohammed Mursis sind die Probleme wie von Zauberhand gelöst. Die Polizei markiert wieder Präsenz, die langen Schlangen vor den Tankstellen sind verschwunden und Strom gibt es auch wieder genug. Ist es möglich, dass der Ex-Präsident derart inkompetent agierte?
«Das war eine Vorbereitung für den Coup», sagte Naser al-Farasch in der «New York Times». Der frühere Sprecher des Ministeriums für Versorgung und Inlandhandel beschuldigt die Verwaltung, die mehrheitlich noch immer aus Mubarak-Getreuen besteht, die Krise absichtlich verursacht zu haben, um den verhassten Muslimbruder Mursi in der Bevölkerung zu diskreditieren. Subventioniertes Benzin sei im Ausland verkauft worden. Als Mursi eine Smartcard einführte, um den Benzinhandel zu überwachen, hätten sich die Beamten geweigert, diese einzusetzen.
Polizei akzeptierte Islamisten nicht
Das augenfälligste Zeichen, dass Vertreter des alten Regimes nicht mit der Mursi-Regierung kooperierten, ist die Rückkehr der Polizei. Selbst als die Kriminalitätsrate bedrohlich anstieg und der Verkehr kollabierte, weigerte sie sich, in voller Stärke einzurücken. «Diese Beamten arbeiteten unter einem Regime, das islamischen Extremisten und Islamisten allgemein feindlich gegenüberstand», sagte ein ehemaliger Polizei-Offizier. «Dass dieses Regime plötzlich verschwand und die Islamisten an die Macht kamen, haben sie nie akzeptiert.»
Nicht alle sind mit dieser Interpretation einverstanden. Laut regierungsnahen Medien war die Benzinkrise auf Hamsterkäufe verängstigter Bürger zurückzuführen. Mit dem Sturz Mursis sei die Zuversicht zurückgekehrt. Laut «Al Ahram» verzeichnete das ägyptische Stromnetz in den vergangenen Tagen erstmals seit Monaten wieder einen Energieüberschuss. Die Zeitung führte das auf «Energiespar-Massnahmen der Bevölkerung» zurück.
Sawiris-Bruder unterstützte Opposition
Einige mächtige Vertreter des alten Regimes stehen offen dazu, hinter den Kulissen gegen Mursi agitiert zu haben. Milliardär Naguib Sawiris, der älteste Bruder von Andermatt-Investor Samih Sawiris, liess die Oppositionsgruppe «Tamarod», welche die Unterschriftenkampagne gegen Mursi startete, gratis seine landesweite Infrastruktur benutzen. Zudem verschaffte er ihnen Publizität über seine Medien und bezahlte sogar für ihr Musikvideo. «Die wussten nicht einmal, dass ich das war», sagte er. Er schäme sich nicht dafür. Ehemalige hohe Richter berieten die Gruppe in Rechtsfragen.
Tankstellenbesitzer Ahmed Nabawi freut sich, dass die Krise behoben ist – obgleich auch er erstaunt ist, wie plötzlich das geschah: «Eines Nachts gingen wir schlafen, und als wir am nächsten Tag aufwachten, war die Krise vorüber.» Unabhängig von den Ursachen sei die Mursi-Regierung nicht hilfreich gewesen: «Niemand wollte mit ihnen zusammenarbeiten, weil er nicht akzeptiert war.» Seit seinem Sturz würden alle wieder ihren Job machen.