Der Tod des Chefermittlers wirft Fragen auf

Aktualisiert

Fall Kampusch - Teil 9Der Tod des Chefermittlers wirft Fragen auf

SOKO-Leiter Franz Kröll durfte nie alle Kampusch-Akten einsehen. Trotz heisser Spur wurde er schliesslich gezwungen, die Ermittlungen ganz einzustellen. Kurz danach war er tot.

K. Leuthold/F. Burch
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K. Leuthold/F. Burch

Franz Kröll, ein hochdekorierter Kriminalist, galt unter Kollegen als Aufdecker der Sonderklasse. Es überraschte niemanden, dass Kröll ab Dezember 2008 auch Chefermittler in der Sonderkommission (SOKO) Kampusch wurde und somit für einen der komplexesten Fälle zuständig war, die Österreich zu bieten hatte. Die Sache sollte ihm schliesslich auf tragische Weise zum Verhängnis werden.

Kröll kannte die Akte Kampusch wie kein Zweiter. Er arbeitete mit Hochdruck am Fall, auch wenn ihm immer wieder Steine in den Weg gelegt wurden. Von staatsanwaltschaftlicher Seite verweigerte man Kröll unter der führenden Verantwortung des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Werner Pleischl, bis zum Sommer 2009 den Zugriff auf sechs der insgesamt sieben mit Natascha Kampusch aufgenommenen Polizeiprotokolle (siehe Bildstrecke, Dok.1)

Zudem gibt es erwiesenermassen DVDs mit einer Vielzahl von Fotos einer jungen Frau, die aussieht wie Natascha Kampusch. Auch dieses – offenbar hochbrisante und ermittlungswesentliche - Material hielt die Staatsanwaltschaft unter Verschluss. Kröll soll es nie zu Gesicht bekommen haben, obwohl er der höchste Ermittler war. Der österreichische Abgeordnete Werner Amon, Leiter des Unterausschusses, welcher aktuell den Fall Kampusch durchleuchtet, findet es höchst problematisch, dass von der Staatsanwaltschaft gewisse Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt wurden (siehe Video unten). Kröll bekam ausserdem nie die Gelegenheit, Kampusch persönlich zu vernehmen. Sein Bruder Karl sagt dazu: «Hätte er mit Kampusch reden können, wäre der Fall gelöst.»

Schuldgefühle wegen falscher Ermittlungsergebnisse

Franz Kröll war stets von der Richtigkeit der Aussagen der Zeugin Ischtar A. überzeugt und glaubte fest, dass bei der Kampusch-Entführung mehr als nur ein Täter am Werk war. Am 3. Dezember 2009 geschah jedoch etwas Merkwürdiges. Bei einer Gegenüberstellung von Natascha Kampusch und der Zeugin Ischtar. A., die über Jahre von zwei Entführern sprach, soll die unbeteiligte Tatzeugin plötzlich ihre Meinung geändert haben. Sie habe sich wohl geirrt, es gebe offenbar wirklich nur einen Täter, ist in dem dazu verfassten polizeilichen Amtsvermerk sinngemäss nachzulesen. Wie kann es sein, dass Ischtar A. in Anwesenheit von Kröll dazu gebracht worden sein soll, ihre Meinung plötzlich zu ändern?

Der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofes in Wien, Johann Rzeszut, weiss die Antwort: Das sei keine Gegenüberstellung im Sinn der gesetzlichen Vorgaben gewesen, es habe sich um eine suggestive Umpolung der Zeugin gehandelt. Kröll habe zu diesem Zeitpunkt wohl schon resigniert, wiederholt habe er von einem «sinnlosen Anrennen gegen eine Betonwand» gesprochen (siehe Bildstrecke, Dok.2).

Zur Aufgabe gezwungen

Der Sonderkommissar soll bei seinen Ermittlungen andauernd von staatsanwaltschaftlicher Seite behindert beziehungsweise ignoriert worden sein (siehe Bildstrecke, Dok.3,4). Rzeszut spricht von einer beharrlichen Sperrhaltung der Staatsanwaltschaft gegenüber den Ermittlungsfortschritten Krölls und von Druckausübung auf den Chefermittler (siehe Bildstrecke, Dok.7,8). Im Januar 2010 wurde schliesslich eine Presskonferenz abgehalten und der Fall Kampusch für abgeschlossen erklärt. Kröll weigerte sich, daran teilzunehmen.

Zuvor erhielt er den Auftrag, die Ermittlungen entgegen seiner fachlichen Überzeugung einzustellen (siehe Bildstrecke, Dok. 5,6). Der SOKO-Leiter brachte in einem Mail zum Ausdruck, dass ihm die Beendigung des Ermittlungsverfahrens «unmissverständlich nahegelegt» worden war. Dass der Fall Kampusch so abrupt ad acta gelegt wurde, obwohl Kröll den bis zuletzt in massivste Widersprüche verstrickten und verdächtigen Priklopil-Freund Ernst H. zunehmend in die Enge getrieben hatte und er sich kurz vor der Lösung des Falles sah, belastete ihn ungemein.

Selbstvorwürfe plagten Kröll. Er äusserte immer wieder Schuldgefühle zum letztlich negativen Endergebnis des Ermittlungsverfahrens. Daran könnte er zerbrochen sein. Am 25. Juni 2010 nahm sich Franz Kröll, laut der offiziellen Version, mit einer alten Dienstpistole das Leben.

Die Zweifel des Bruders

Diese Version hält sein Bruder Karl für nicht den Tatsachen entsprechend. «Ich bin davon überzeugt, dass sie den Franz liquidiert haben, der hat zu viel gewusst», sagt Karl Kröll zu 20 Minuten Online.

Sein Bruder habe erwiesenermassen, nachdem die Akte Kampusch geschlossen worden war, auf eigene Faust weiterermittelt. Er habe Aufzeichnungen gemacht, dass Politiker in der Sado-Maso-Szene verkehrten. «Und ich glaube, dass er noch mehr wusste. Er führte immer ein Heft mit sich, worin er seine laufenden Ermittlungsergebnisse und -vorhaben notierte. Das Heft ist seit seinem Tod jedoch verschwunden.»

Ein Rechtshänder erschiesst sich mit links

Für Karl Kröll gibt es viele offene Fragen rund um den angeblichen Freitod seines Bruders: Ein erfahrener Polizist würde sich nicht in den Kopf sondern in den Mund schiessen, gibt Karl Kröll zu bedenken. Ausserdem habe er sich als Rechtshänder nach der offiziellen Version in die linke Schläfe geschossen, somit soll er sich mit seiner «schwächeren» Hand umgebracht haben, was auch keinen Sinn mache.

Weiter hätten die Beamten zuerst keinen Abschiedsbrief in der Wohnung ihres toten Kollegen gefunden. «Dann, ein paar Tage später, sollen die Polizisten auf einen Abschiedsbrief und ein Testament in einem offenen Möbeltresor im Schlafzimmer meines Bruders gestossen sein.» Karl Kröll behauptet, der Brief und das Testament seien nachträglich in die Wohnung gelegt und nicht von seinem Bruder verfasst worden. «Das war nicht seine Schrift.» Auch Johann Rzeszut spricht von Begleitumständen rund um den Tod Franz Krölls, «die hinterfragenswürdig sind». Für die Staatsanwaltschaft Graz hingegen ist der Fall klar. Weil keine Schmauchspuren auf der rechten Hand gefunden wurden (aber offenbar Partikel des Munitionszünders), ist es für die Stelle offiziell Selbstmord.

Die Verhaftung des Bruders

Seit dem Tod seines Bruder ruht Karl Kröll kaum noch. Er möchte dessen Werk zu Ende führen, er arbeitet ununterbrochen am Fall Kampusch. Gleich nach dem angeblichen Selbstmord ging Karl Kröll in die Wohnung seines Bruders und holte sich einen USB-Stick, den er in einer Kaffee-Tasse fand, Unterlagen, die unter einer Matratze versteckt waren sowie einen Laptop. Sämtliche Daten waren fallbezogen und sollten Franz Kröll die Fortsetzung seiner Ermittlungen selbst in der Freizeit ermöglichen. Karl wusste von seinem Bruder von der Existenz des Materials.

Wenig später bekam Kröll einen Anruf von Chefinspektor Kurt Linzer. Dieser wollte laut den Angaben Krölls unbedingt das Material. Kröll liess ihn wissen, dass er die geheimen Dokumente hohen Politikern und auch der Presse zuspielen werde (siehe Bildstrecke, Dok.9). Darauf kam es zu einer Hausdurchsuchung bei Karl Kröll, kurz danach wurde er verhaftet.

Geheimes Material freigegeben

Einer, den der Tod Franz Krölls ebenfalls nicht kaltlässt, ist Johann Rzeszut. Er arbeitete mit Sonderermittler Kröll in der Evaluierungskommission eng zusammen. Der ehemalige oberste Richter Österreichs schickte nur wenige Wochen nach dem Tod Franz Krölls ein dramatisches Schreiben an hohe Politiker. Darin zeigte er kurz zusammengefasst auf, was im Fall Kampusch alles falsch gelaufen sei.

Sein Aufruf rüttelte wach und blieb nicht wirkungslos. Zurzeit ist ein Unterausschuss damit beschäftigt, den gesamten Fall Kampusch zu analysieren. Einen Teilerfolg konnte der Ausschuss bereits verbuchen: Auf Druck der Politik musste die Staatsanwaltschaft unter Verschluss gehaltenes Material herausrücken. Erste Ergebnisse werden für Ende März/Anfang April erwartet. Rzeszut ist davon überzeugt, dass Franz Kröll noch am Leben wäre, hätten die mit dem Fall Kampusch befasst gewesenen Verantwortlichen der Staatsanwaltschaft Wien und der Oberstaatsanwaltschaft Wien pflichtgemäss gehandelt.

Video: Mathieu Gilliand/20 Minuten Online (Mitarbeit: Guido Grandt, Udo Schulze)

Lesen Sie am Montag Teil 10: «Politik - wie im Fall Kampusch vertuscht wurde»

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