Attentäter Amri stärker überwacht als bekannt

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Berliner WeihnachtsmarktAttentäter Amri stärker überwacht als bekannt

Die Behörden hatten schon ein Jahr vor dem Weihnachtsmarkt-Anschlag zahlreiche Infos zu Anis Amri. Haben internationale Geheimdienste mit der Nicht-Festnahme zu tun?

von
kko
Der Tunesier Anis Amri war am 19. Dezember mit einem zuvor gekaperten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast.
Gravierender Vorwurf: Amri soll als V-Mann tätig gewesen sein.
Der Lastwagen krachte durch die Gasse zwischen den Buden des Marktes und kam erst rund 60 bis 80 Meter später zum Stehen. (20. Dezember 2016)
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Der Tunesier Anis Amri war am 19. Dezember mit einem zuvor gekaperten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast.

Keystone/Britta Pedersen

Die deutsche Polizei und Geheimdienste haben den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, laut der Zeitung «Welt am Sonntag» viel früher und intensiver überwacht als bisher bekannt. Dies gehe aus Akten, Berichten und den Protokollen von Telefon- und Internetüberwachungen hervor, die dem dem deutschen Blatt nach eigenen Angaben vorliegen.

Spätestens seit November 2015 liess die deutsche Bundesanwaltschaft demnach den Tunesier vom Bundeskriminalamt (BKA) und vom Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen durch einen V-Mann der Polizei, der sich «Murat» nannte und als «VP01» in den Akten auftaucht, gezielt überwachen. Dies sei Teil verdeckter Ermittlungen gegen die mutmassliche IS-Terrorzelle des Hildesheimer Predigers Abdullah Abdullah, alias «Abu Walaa», gewesen.

Spätestens seit dem 3. Dezember 2015 seien deshalb die häufig wechselnden Mobiltelefone Amris abgehört und seine Internetverbindungen überwacht worden.

Amri bot sich als Selbstmordattentäter an

Mitte Dezember 2015 soll Amri mit seinem rund um die Uhr überwachten Smartphone detaillierte Anleitungen zum Mischen von Sprengstoff sowie zum Bau von Bomben und Handgranaten herunter geladen haben.

Weiter heisst es, spätestens ab Februar 2016 habe Amri mit dem abgehörten Handy mit zwei Kadern der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Libyen telefoniert und sich als Selbstmordattentäter für einen Anschlag in Deutschland angeboten.

Mithilfe des V-Manns «VP01» sei es den Staatsschützern noch im selben Monat gelungen, in die zusätzliche, verschlüsselte Chat-Kommunikation Amris mit den IS-Kadern über die Messengerdienste Telegram und WhatsApp einzudringen.

Eigene Sachbearbeiterin

Der Zeitung liegen nach eigenen Angaben Behörden-Mails und Akten vor, die eine stärkere Rolle der deutschen Nachrichtendienste belegen als bislang von der Bundesregierung dargestellt. So habe der Verfassungsschutz bereits im Januar 2016 eine zweiseitige Analyse zu Amri verfasst.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll zudem für Amri eine eigene Sachbearbeiterin eingesetzt haben. Die Recherchen der «WamS» belegen demnach ferner, dass Amri schon vor seiner Ankunft in Italien im April 2011 enge persönliche und familiäre Verbindungen zu Kämpfern und Führungsleuten des IS in Libyen gehabt habe. Diese Kontakte seien zumindest dem tunesischen Geheimdienst seit Jahren bekannt gewesen. Auch BKA und Bundesanwaltschaft hätten spätestens im März 2016 davon erfahren.

Verwicklung internationaler Geheimdienste?

Die mehrmonatigen Recherchen der Zeitung legen eine Verwicklung auch internationaler Geheimdienste nahe, wie die «WamS» schreibt. Diese dürften in Amri einen Lockvogel gesehen haben, der sie zu seinen Hintermännern, den Anschlagsplanern des IS in Libyen führen sollte.

Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, vermutete in der «Welt am Sonntag» daher die «ordnende Hand» eines US-Geheimdienstes oder des US-Militärs hinter der «ansonsten unerklärlichen» Nicht-Festnahme von Amri.

Ströbele nannte es einen «riesigen Skandal», dass die Bundesregierung die zugesagte Aufklärung der Hintergründe auch ein Jahr nach dem Anschlag noch nicht geliefert habe. Bei dem Attentat waren am 19. Dezember zwölf Menschen getötet worden. (kko/sda)

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