Nur in Ticino, Argentinien, brannte Licht

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Dem Blackout entgangenNur in Ticino, Argentinien, brannte Licht

Während in Argentinien flächendeckend der Strom ausfiel, blieb die Gemeinde Ticino in der Provinz Córdoba vom Blackout verschont – ein von Schweizern gegründetes Dorf.

von
K. Leuthold
Ticino, ein kleines Dorf in Argentinien hatte am 16. Juni 2019 als einziges Strom, als im ganzen Land das Stromnetz zusammenbrach.
48 Millionen Menschen waren davon betroffen, die 2188 Bewohner von Ticino hingegen versorgten sich mit dem Strom, den sie selber produzieren.
Die kleine Gemeinde liegt in der argentinischen Provinz Córdoba.
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Ticino, ein kleines Dorf in Argentinien hatte am 16. Juni 2019 als einziges Strom, als im ganzen Land das Stromnetz zusammenbrach.

ticino.gob.ar

«Wir befinden uns im Jahr 2019 n. Chr. Ganz Argentinien ist von der Stromversorgung ausgeschlossen ... Ganz Argentinien? Nein! Ein von unbeugsamen Argentiniern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem technologischen Rückstand Widerstand zu leisten» – was trotz abgeänderter Form an den berühmten Comic-Prolog von Asterix und Obelix erinnert, beschreibt genau das, was am letzten Sonntag in einem kleinen Dorf namens Ticino in Argentinien passiert ist.

Die Gemeinde mit 2188 Bewohnern hatte als einzige Strom, als es im ganzen Land während rund acht Stunden zu einem beispiellosen Blackout kam. Ticino versorgt sich seit August vergangenen Jahres selbst mit Strom aus Biomasse, der aus Erdnussschalen gewonnen wird. Die erneuerbare Energie wird von der Firma Lorenzati Ruetsch hergestellt. Ein Gespräch mit Liliana Ruetsch, Bürgermeisterin von Ticino.

Sind Sie stolz darauf, dass Ihr kleines Dorf als einziges Strom hatte?

Sehr, denn es ist die Folge harter Arbeit. Ausserdem zeigt es, dass es sich für die lokalen Unternehmer gelohnt hat, in unsere Gemeinde zu investieren.

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Warum entschied Ticino im Jahr 2018, sich vom staatlichen Stromnetz abzukoppeln?

Wir sind eigentlich nach wie vor an das öffentliche Stromnetz angegliedert. Der Strom, der unser Stromversorger erzeugt, fliesst in das nationale Versorgungsnetz und wir beziehen tagtäglich Strom aus diesem Netz, weil es stabiler und günstiger ist. Als aber am Sonntag das Versorgungssystem kollabierte, konnten wir uns vom Netz abschneiden und uns mit dem eigenen Strom versorgen.

Wie wird der Strom aus Erdnussschalen hergestellt?

Die Erdnussschalen werden in einem Kessel zum Sieden gebracht, was Hochdruckdampf produziert. Dieser Dampf wiederum treibt eine Turbine voran, die mechanische Energie erzeugt, die am Schluss in Strom umgewandelt wird.

Die Firma heisst Lorenzati Ruetsch. Ich nehme an, sie gehört Ihrer Familie?

Mein Vater und mein Onkel haben die Firma vor 50 Jahren gegründet. Es ist ein Familienbetrieb, der anfänglich mit Getreide handelte. Dann kamen die Erdnüsse dazu, da 95 Prozent von Argentiniens Erdnuss-Produktion in der Region angebaut wird. Die Firma meiner Familie selektiert die Ware, die im Land verkauft und ins Ausland exportiert wird. Im Jahr 2018 begann das Unternehmen dann auch, Energie damit zu produzieren.

Warum heisst das Dorf Ticino?

Weil die beiden Gründer des Dorfes, Ricardo Simonini und Juan Thiele, aus dem Kanton Tessin in der Schweiz stammten. Ticino wurde im Jahr 1911 gegründet.

Gehört Ihre Familie zu den Gründerfamilien?

Nein, meine Grosseltern zogen Anfang der 1930er Jahren hierher, da gab es das Dorf schon.

Ruetsch tönt aber sehr schweizerisch. Woher stammt Ihre Familie?

Mir wurde erklärt, dass ich einen Deutschschweizer Namen habe. Aber mein Urgrossvater war Franzose. Wahrscheinlich wanderte die Familie während einem Krieg nach Frankreich aus. Mein Grossvater wurde schon in Argentinien geboren.

Gibt es andere Bewohner mit Schweizer Herkunft in Ticino?

Nicht, dass ich wüsste.

Schweizer gelten als vorsorglich. Inwiefern glauben Sie, hat der Schweizer Ursprung des Dorfes dazu beigetragen, dass vorsorgliche Massnahmen in Bezug zur Stromversorgung getroffen wurden?

Ich glaube, dass ein bisschen Schweizer Esprit im Dorf weiterlebt. Wir sind sehr bescheidene Menschen. Im Dorf gibt es Arbeit für alle, die Firma ist in den letzten Jahren stark gewachsen. 90 Prozent der Strassen sind asphaltiert, alle Häuser sind zudem an das Wasser- und Gasnetz angeschlossen. Leute, die uns besuchen, staunen noch oft und sagen: «Hier sieht es ja aus wie in der Schweiz!»

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