Syngenta exportiert in der EU verbotenes Pestizid

Aktualisiert

Kritik an Schweizer FirmaSyngenta exportiert in der EU verbotenes Pestizid

Ein Schweizer Pestizid sei mitverantwortlich für Vergiftungsfälle in Indien, sagt der Verein Public Eye. Syngenta hält dagegen.

S. Strittmatter
von
S. Strittmatter
Im vergangenen Jahr haben sich im zentralindischen Yavatmal rund 800 Landarbeiter schwer vergiftet, als sie auf Baumwollfeldern Pestizide ausbrachten.
Rund 50 Menschen verloren ihr Leben, ...
... viele mehr leiden bis heute unter den schweren Schäden.
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Im vergangenen Jahr haben sich im zentralindischen Yavatmal rund 800 Landarbeiter schwer vergiftet, als sie auf Baumwollfeldern Pestizide ausbrachten.

epa/Raminder pal Singh

Das Pestizid Polo biete «ausgezeichnete Kontrolle der weissen Fliege auf Baumwolle und Gemüse» und sei unter anderem auch gegen Milben und Blattläuse einsetzbar. So der Kurzbeschrieb des Produkts auf der Website des Basler Herstellers Syngenta. Eingesetzt werde Polo in Brasilien, Pakistan, der Türkei, Indien, Indonesien, Sudan, Malaysia, Kuba, Taiwan und den Philippinen.

Nun steht der Marktführer in der Sparte chemische Pflanzenschutzmittel für Polo in der Kritik: Gemäss Recherchen des Berner Vereins Public Eye (vormals Erklärung von Bern) ist das Pestizid mitverantwortlich für die Vergiftungswelle, die im vergangenen Jahr im zentralindischen Yavatmal gewütet hat.

Schwere Schäden

Damals waren rund 800 Landarbeiter schwer vergiftet worden, als sie auf Baumwollfeldern Pestizide ausbrachten. Viele von ihnen verloren vorübergehend das Augenlicht. Alleine im Distrikt Yavatmal starben über 20 Männer, in der ganzen Region Vidarbha, in der Yavatmal liegt, waren es über 50, viele mehr haben bis heute schwere Schäden davongetragen.

Die nun veröffentlichte Recherche von Public Eye, das sich seit 1968 dafür einsetzt, dass «Schweizer Unternehmen und die Politik ihre Verantwortung zur weltweiten Achtung der Menschenrechte wahrnehmen», zeigt auf, dass eines der eingesetzten Insektizide aus der Schweiz stammt. Polo werde von Syngenta im Wallis hergestellt und in Länder des Südens ausgeführt, obwohl es hierzulande wegen seiner Gefährlichkeit für Gesundheit und Umwelt längst verboten sei.

In der EU verboten

In der Europäischen Union wurde das 1991 auf den Markt gebrachte Insektizid im Jahr 2002 verboten, in der Schweiz 2009. Gemäss der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (Echa) ist Diafenthiuron, der Wirkstoff von Polo, «giftig, wenn es eingeatmet wird» und kann «bei längerer oder wiederholter Exposition Organschäden bewirken».

Alleine 2017 habe Syngenta 126,5 Tonnen Diafenthiuron aus der Schweiz ausgeführt, 75 Tonnen davon nach Indien. Diese Zahlen nennt Public Eye mit Verweis auf Dokumente, die mit Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz eingesehen werden konnten.

Fehlende Beweise

Gemäss Schweizer Fernsehen SRF ist die Produktion am Walliser Standort Monthey 2016 eingestellt worden. Gegenüber 20 Minuten präzisiert Oliver Classen, Mediensprecher von Public Eye: «Ob die Produktion in Monthey gestoppt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir haben für diese Behauptung nie Beweise gesehen. Was wir hingegen belegen können, sind die riesigen Exportmengen von 2017. Ob diese aus Lagerbeständen kamen oder frisch hergestellt wurden, spielt letztlich keine Rolle.»

Lokale Generika

In einer gestern veröffentlichten Stellungsnahme, die auch 20 Minuten vorliegt, weist Syngenta darauf hin, dass es «weder

Hinweise noch Belege» dafür gebe, dass Polo für die aufgetretenen Vorfälle verantwortlich sei. Dies sei auch vom Special Investigation Team, das die Regierung des indischen Bundesstaates Maharashtra nach den Vorkommnissen ins Leben gerufen hatte, eindeutig bestätigt worden.

Des Weiteren kritisiert Syngenta die jüngsten Medienberichte, in denen nicht erwähnt werde, dass es in Indien «mehr als 30

Hersteller lokaler Generika und mehr als 200 identische Produkte» gebe. Bei diesen fehlten im Gegensatz zum Original die Warnhinweise für den Umgang mit dem Pestizid.

Vergangenen Oktober hatte der Landwirtschaftsminister von Maharashtra angekündigt, ein Verfahren wegen «Totschlags» gegen Syngenta zu eröffnen. Bis heute wurde nicht bekannt, ob dies tatsächlich geschehen ist und was allenfalls aus dem Verfahren geworden ist.

Tragische Unfälle

Gegenüber SRF rechtfertigte Syngenta den Export des Pestizits wie folgt: «Es kommt häufig vor, dass ein Pflanzenschutzmittel in einem Land registriert ist und in einem anderen nicht – aufgrund unterschiedlicher regulatorischer Kriterien sowie klimatischer und agronomischer Bedingungen oder unterschiedlicher Bedürfnisse der Landwirte.»

Syngenta unterstütze die Landwirte im sicheren Umgang mit den Produkten. Weiter schreibt der Konzern: «Um solch tragischen Unfällen bestmöglich vorzubeugen, weisen wir stetig darauf hin, dass unsere Produkte nur unter strenger Einhaltung der auf jedem Etikett oder Beipackzettel angegebenen Vorgaben angewendet werden dürfen.»

Starker Schädlingsbefall

Syngenta hatte im letzten Oktober gegenüber indischen Medien «tiefe Besorgnis» über die Vergiftungen bekundet, stellte aber auch gleich klar, dass ihr Insektizid für diese nicht verantwortlich sei: Polo werde in Indien seit 14 Jahren erfolgreich grossflächig verwendet, ohne dass es dabei zu Todesfällen gekommen sei, teilte Syngenta mit.

Auch hier kontert Oliver Classen von Public Eye gegenüber 20 Minuten: «Hauptgrund (für die gehäuften Vergiftungen, Anm. d. Red.) war der extrem starke Befall mit der für Baumwollpflanzen extrem schädlichen weissen Fliege, weswegen Polo besonders stark eingesetzt wurde. Ein zweiter Grund war das aufgrund klimatischer Bedingungen ausserordentlich schnelle Pflanzenwachstum, weshalb noch mehr als sonst auf Kopfhöhe gesprüht wurde.»

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