Gespräch mit Ex-Nato-Chef«Putin testet Einmischung in unsere Wahlen»
Er war Nato-Generalsekretär. Jetzt beschäftigt sich Anders Fogh Rasmussen mit Fake News und Propaganda und ist überzeugt: Von Russland geht eine grosse Gefahr für Europa aus.
Mit Macht und Einflusssphären kennt er sich aus: Anders Fogh Rasmussen, während fünf Jahren Generalsekretär der Nato. Jetzt war er in Zürich zu Gast bei der schweizerisch-dänischen Handelskammer, wo er über den Zusammenhang von Demokratie und internationalem Handel sprach.
20 Minuten hat den Dänen an diesem Anlass getroffen, aber über ganz anderes gesprochen: über Propaganda, Wahleinmischung und über Russland, das Rasmussen als grösste Gefahr für Europa bezeichnet.
Herr Rasmussen, vermissen Sie die Nato?
Sagen wir es so: Ich geniesse meine Freiheit.
Die Nato feiert dieses Jahr ihren 70-jährigen Geburtstag. Wie beurteilen Sie den Zustand des Verteidigungsbündnisses?
Leider sät US-Präsident Trump Zweifel am bekannten Nato-Paragraphen 5: einer für alle, alle für einen. Dass Trump diesen fundamentalen Grundsatz anzweifelt, schwächt das Bündnis politisch. Andererseits stellen die Nato-Alliierten unseren östlichen Mitgliedstaaten mehr Truppen zur Seite als je zuvor. Dazu haben die Europäer in den letzten fünf Jahren ihre Verteidigungsausgaben um 50 Milliarden Dollar erhöht. Deswegen würde ich sagen: Die Nato ist heute militärisch gestärkt, aber politisch geschwächt.
Konventionelle Kriege werden seltener, doch wir sehen im Zeitalter der Cyberkriege neuartige Bedrohungen. Ist die Nato noch zeitgemäss?
Wer den Sinn und Zweck der Nato anzweifelt, sollte sich fragen, wieso sich so viele Staaten – die Ukraine, Georgien, Mazedonien und eben erst Montenegro – diesem Bündnis anschliessen wollen. Für diese Staaten ist die Nato eben nicht obsolet, sondern äusserst relevant für den Schutz vor autokratischen Regimes.
In den Augen von US-Präsident Trump ist die Nato obsolet. Er soll sogar erwägen, die Nato zu verlassen.
Das wird nicht passieren, dafür wird der US-Kongress parteiübergreifend sorgen. Aber allein die Tatsache, dass es solche Gerüchte gibt, zeigt, dass die Nato politisch geschwächt ist. Und das kann Autokraten wie Präsident Putin dazu verführen, die Bindungen und Verpflichtungen der Amerikaner gegenüber der Nato zu testen. Ich denke zwar nicht, dass Russland einen Angriff auf einen Nato-Partner in Erwägung zieht. Es gibt andere, viel ausgeklügeltere Möglichkeiten, die Glaubwürdigkeit unserer Institutionen zu unterhöhlen.
Sie sprechen die Versuche der Wahleinmischung an.
Ja. Das ist eine neue Strategie Russlands: Mit der Einmischung in unsere Wahlen und mit anderen Massnahmen soll versucht werden, Misstrauen und Zwiespalt in unserer Gesellschaft zu verstärken.
Was ist eine angemessene Antwort darauf?
Ein Antwort gibt etwa unsere Stiftung Alliance for Democracies Foundation, die eine Wahlbeobachtungs-Kommission ins Leben gerufen hat. Wir wollen die Wahleinmischungen entlarven und öffentlich machen. Denn wenn die Öffentlichkeit auf solche Übergriffe aufmerksam gemacht wird, wird sie sich auch stärker zur Wehr setzen.
Unternimmt Europa zu wenig, um solchen Einmischungen entgegenzutreten?
Ja. Man muss sich das vorstellen: Russland unterhält in St. Petersburg eine «Troll-Fabrik», die mit Fake News und gezielter Propaganda die sozialen Medien beeinflusst. Allein für den Unterhalt dieser Fabrik stellt Moskau zehnmal mehr Geld zur Verfügung, als es die EU für ihre gesamte Kommunikation in den Balkanländern tut. Das ist ein grosses Problem.
Geben Sie uns ein Beispiel von Wahlmanipulation, mit der Sie sich beschäftigen.
Eine neue Entwicklung bei Wahlkampagnen sind die sogenannten Deep Fakes (siehe Video). Das sind durch künstliche Intelligenz manipulierte Videos von Politikern, denen die lächerlichsten Aussagen in den Mund gelegt werden. Wir sind daran, Instrumente zu entwickeln, die solche Deep-Fake-Videos entdecken und die Nutzer davor zu warnen. Dieses Jahr finden etwa in der Ukraine Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Es ist davon auszugehen, dass die Wahlen in der Ukraine zum Haupttest für russische Wahleinmischungen in Europa werden.
Es fällt vielen Leuten schwer, zu glauben, dass Russland sich in die Wahlen in ihrem Land einmischt. Woran liegt das?
Wenn man Aufnahmen von einem Luftangriff sieht oder Bilder von Panzern, die an einer Grenze auffahren, ist es einfacher, zu verstehen, dass ein Krieg im Gang ist. Was aber in der virtuellen Welt vor sich geht, ist nicht sichtbar und entsprechend schwer vorstellbar. Wir wissen aber mittlerweile, dass Russland bei den Wahlen in Frankreich 2017 etwa die Kampagne des Front National finanzierte. Oder auch bei den Wahlen in Italien, wo Moskau die Extremisten und Populisten stärkte. Jetzt sitzen die Lega und die 5-Stern-Bewegung in der Regierung. Und siehe da: Rom spricht sich gegen die Russland-Sanktionen aus und ist auf einen Anti-EU-Kurs eingeschwenkt. Ein gewaltiger Erfolg für Moskau.
Sie sagten, Russland befeuere kontroverse Themen in einer Gesellschaft. Versteht Moskau unsere Ängste und Sorgen etwa mehr als die eigenen Politiker?
Ich vermute tatsächlich, dass Russland Experten hat, die Entwicklungen und Trends in unserer Gesellschaft aufmerksam verfolgen und darauf basierend Desinformationen verbreiten. Das sind nicht nur Fake News, sondern auch Nachrichten, die eine Prise Wahrheit enthalten, aber Fakten verzerren oder Dinge unzulässig aufbauschen. Umso mehr würden unsere Politiker gut daran tun, ihre Wahlversprechen zu erfüllen und Resultate zu liefern.
Womit wir wieder bei Trump wären, der ebendies tut ...
Man mag mit ihm einig sein oder nicht, aber er tut das wirklich. Das Problem ist: Sind die Menschen einmal unzufrieden mit ihren Politikern, sind sie auch geneigter, Kritik am ganzen System anzunehmen. Diese Kritik tritt immer öfter in Form von Bots und anderen Instrumenten auf, durch die sich russische Propaganda tarnt.
Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Gefahren, die wir zu Beginn der 2020er sehen werden?
Was Europa angeht? Sie gehen vor allem von Russland aus.
Kann man Ihnen eine antirussische Haltung vorwerfen?
Auf keinen Fall. Ich bin kein Gegner Russlands oder gar antirussisch eingestellt. Im Gegenteil. Ich glaube, wir sollten alles unternehmen, um die Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Aber ich habe jahrelang mit den Russen und mit Putin zu tun gehabt und weiss daher aus Erfahrung: Das Einzige, was Putin und seine Leute respektieren, ist Macht. Macht und eine standhafte Haltung. Deshalb muss die transatlantische Einheit zwischen den USA und Europa aufrechterhalten werden.