Schlaue «Smartphones»Das digitale Vermächtnis von Steve Jobs
Spracherkennung à la Android ist von gestern. Apple macht das iPhone dank Siri-Technologie zum «intelligenten» Gesprächspartner. Und das ist erst der Anfang.
20 Minuten Online konnte Siri letzte Woche in London testen. Wegen der Hintergrundgeräusche kam es bei der Bedienung zu einigen Missverständnissen. Zudem hat auch das Aktivieren der Funktion seine Tücken.
Inzwischen sind die ersten aussagekräftigen «Reviews» zum iPhone 4S im Internet aufgetaucht. Den folgenden Dialog hat ein englischsprachiger Tester mit dem digitalen iPhone-Assistenten namens Siri geführt, wie «The Loop» berichtet. Jim: «Ich liebe dich, Siri.» Siri: «Unmöglich.» Jim: «Doch, wirklich, ich liebe dich.» Siri: «Ich hoffe, du sagst das nicht zu den anderen Smartphones, Jim.» (...)
Siri versteht die natürliche Sprache des Menschen und stellt selbstständig Zusammenhänge her. So kann man Anweisungen geben, die von der Formulierung her nichts mit dem zu tun haben, was man vom Smartphone will. Wer etwa den akustischen Alarm des iPhones stellen möchte, um ein Nickerchen zu machen, sagt einfach zu Siri: «Weck mich in 20 Minuten auf.» Oder um zu erfahren, ob am gleichen Tag noch Termine in der Agenda eingetragen sind, genügt ein einfaches «Wie sieht der Rest meines Tages aus?».
«Potenziell revolutionär»
In einem lesenswerten Beitrag geht «Cult of Mac» auf die Siri-Technologie ein, die das Leben der iPhone-4S-Nutzer erleichtern soll. Die Einschätzung: Siri sei kein «Big Deal», sondern bedeutend grösser. Diese Meinung wird inzwischen von immer mehr Leuten geteilt. Wenn der Computer natürliche Sprache verstehe, werde das unseren Umgang mit elektronischen Geräten grundlegend verändern, heisst es.
US-Fachleute bezeichnen Siri als mächtigen Mix aus Spracherkennung, künstlicher Intelligenz und der gelungenen Integration in Apples neues mobiles Betriebssystem iOS 5, das heute veröffentlicht wird. Mit Siri packe Apple ein «potenziell revolutionäres» neues Feature auf das iPhone 4S - und werde die Technologie wohl schon bald auch in andere Hardware integrieren.
Militär-Technologie
An dieser Stelle ist festzuhalten: Siri ist keine Erfindung von Apple. Die Technologie ist dem weltgrössten Projekt für künstliche Intelligenz entsprungen, das 2003 in den USA lanciert wurde. Vor nunmehr acht Jahren rief das Pentagon CALO ins Leben. Das Kürzel steht für «Cognitive Assistant that Learns and Organizes».
Ziel des vom US-Militär finanzierten Forschungsvorhabens war es, einen Computer-basierten Assistenten zu entwickeln. Es sollte eine menschen-ähnliche Maschine werden, die alle natürlich gesprochenen Anweisungen verstand. Damit nicht genug, sollte der digitale Soldaten-Assistent lernfähig sein und sich den Bedürfnissen seines «Meisters» perfekt anpassen.
Von Apple gekauft
Zeitweise arbeiteten mehr als 300 Wissenschaftler von 25 Top-Universitäten und privaten Forschungseinrichtungen am CALO-Projekt mit. 2008 zog das Pentagon wegen Sparmassnahmen den Stecker - doch der Projektleiter Adam Cheyer und seine Mitstreiter hatten längst das kommerzielle Potenzial erkannt. Sie gründeten im kalifornischen Silicon Valley ein Startup namens Siri und konnten so das über die Jahre gewonnene Knowhow mitnehmen.
Vor gut einem Jahr wurde die Hightech-Firma mitsamt den knapp 20 Angestellten von Apple gekauft - gerüchtehalber soll der iPhone-Konzern 200 Millionen US-Dollar hingeblättert haben. Und so leitet Adam Cheyer heute bei Apple die Smartphone-Entwicklungsabteilung.
Googles Spracherkennung
In den vergangenen eineinhalb Jahren ist die Siri-Technologie in Apples mobiles Betriebssystem iOS integriert und für kommerzielle Zwecke weiterentwickelt worden. Mit der herkömmlichen Spracherkennung, wie man sie von Android-Handys kennt, hat Siri wenig gemeinsam. Dazu muss man sich die unterschiedliche Funktionsweise der Technologien vor Augen führen.
Google stellt mit Voice Actions ein leistungsfähiges Spracherkennungs-Tool zur Verfügung. Der Nutzer spricht ins Mikrofon - das Smartphone reagiert. Dabei muss man sich aber an eine begrenzte Zahl von Anweisungen halten, damit das Gerät «versteht». Alle bisher auf dem Markt erhältlichen Spracherkennungs- und Diktier-Programme funktionieren laut «Cult of Mac» nach diesem Prinzip - das habe aber nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun.
Warum denn nicht?
Siri versteht bereits verblüffend gut, was der Nutzer von ihm/ihr will. Selbst dann, wenn nicht explizit gesagt wurde, welche Informationen oder Handlungen erforderlich sind. Die passende Anwendung (App) wird automatisch beigezogen. So kann man beispielsweise bequem herausfinden, ob es in Gehdistanz ein gutes italienisches Restaurant gibt und sich zum Lokal seiner Wahl lotsen lassen.
Sollen wir in Zukunft alle mit unseren Handys sprechen? Gegenfrage: Warum denn nicht, wenn es das Leben erleichtert? Bedenken und Skepsis gegenüber neuen Technologien sind normal, das haben frühere innovative Produkt-Vorstellungen von Apple gezeigt. Ausserdem bleibt einem ja die Touchscreen-Steuerung über Fingergesten erhalten - man muss also beispielsweise im Zug oder Tram auch in Zukunft nicht mit seinem iPhone sprechen.
Deutsch, aber kein Dialekt
Vorläufig reagiert Siri auf Englisch, Französisch und Hochdeutsch - weitere Sprachen sollen folgen. 20 Minuten Online war am 4. Oktober auf Einladung von Apple in London und konnte das iPhone 4S knappe zehn Minuten ausprobieren. Die Resultate waren erstaunlich: Siri konnte selbst komplexere Anliegen auf Deutsch und Englisch verstehen. Auf die Frage, ob man zurzeit Apple-Aktien oder Microsoft-Aktien kaufen solle, zeigte Siri die Kursentwicklung der letzten Wochen und gab eine Empfehlung ab.
Noch ist Siri alles andere als perfekt - die Technologie befindet sich gemäss Apple-Ankündigung noch im Beta-Stadium. Im Praxistest kam es zu einigen sprachlichen Missverständnissen, die aber auch mit Umgebungsgeräuschen zu erklären sind (siehe Video oben). Ausserdem interpretierte Siri ein undeutliches «Äh» als «Welt». Und weil das Wort nicht in den Zusammenhang des gesprochen Satzes passte, schlug das iPhone eine Suche im Internet vor.
Wieso ist der Himmel blau?
Je nach Anweisung oder Frage des Nutzers liefert Siri das Resultat einer Internet-Recherche, führt eine bestimmte Aktion aus («SMS an die Frau: Komme später, Liebling») oder greift auf die verschiedenen iPhone-Apps wie den Terminkalender zu und verknüpft die Informationen miteinander.
Der persönliche Assistent kann aber noch mehr, weil auch Wolfram-Alpha integriert ist. Dank diesem Online-Service kann der Nutzer alle möglichen Wissensfragen beantworten lassen. Etwa: «Wie spät ist es jetzt in Timbuktu?» Oder: «Wie viele Oktaven hat ein Klavier?». Aber auch: «Wieso ist der Himmel blau?»
«Mainstream»-Technologie
Das Grossartigste am digitalen Assistenten sei nicht die künstliche Intelligenz als solche, schreibt «Cult of Mac». Aus gesellschaftlicher Perspektive sei entscheidend, dass Apple die künstliche Intelligenz im Alltag verfügbar mache. Dank Siri werde künstliche Intelligenz zum Produkt für die Massen - einfach zu bedienen und vielseitig in der Anwendung. Darum sei davon auszugehen, dass sich Siri als Mainstream-Technologie weltweit durchsetzen werde. Man stehe am Beginn einer neuen Ära - andere IT-Grosskonzerne wie Google würden folgen.
Mit dem TV-Gerät sprechen
Siri vermag zwar noch nicht das zu leisten, was man aus Star Trek und anderen Science-Fiction-Filmen kennt. Doch die Entwicklung scheint nicht aufzuhalten zu sein. Zukünftige Siri-Versionen dürften noch viel mehr verstehen - das wirft auch grundlegende Fragen auf bezüglich der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine.
Zudem bestehen berechtigte Bedenken bezüglich Datenschutz und der Auswertung der persönlichen Sprachdaten. Ein grosser Teil der Nutzer-Inputs wird vom iPhone 4S über das Internet an die Apple-Server weitergeleitet und dort bearbeitet. Apple erhält also umfangreiche Informationen über die Wünsche und Bedürfnisse der Nutzer.
Einen Vorgeschmack liefert 9to5mac.com. Laut dem US-Blog gibt es erste (unbestätigte) Hinweise darauf, dass der persönliche digitale Assistent im Fernseher Einzug halten könnte. Genauer gesagt in der Settop-Box Apple TV. Natürlich wäre es bequem, mündlich nach dem gewünschten Film zu suchen. Aber dadurch werden die Nutzer gläsern.
Steve Jobs wird die Entwicklung der von ihm geförderten Siri-Technologie nicht mehr erleben. Als das iPhone 4S letzte Woche präsentiert wurde, verfolgte er die Apple-Show laut einer gut unterrichteten Quelle zuhause am Grossbildschirm. Zum Reden sei er zu schwach gewesen. Doch habe ihn die Live-Übertragung des Videostreams zufrieden lächeln lassen.
Siri-Werbevideo von Apple
(Quelle: youtube.com/Apple)
Siri-Demo bei YouTube
Auch das englischsprachige Stuff.tv hat die Fähigkeiten von Siri getestet.
(Quelle: youtube.com/stuffmagazine)
Update: 19.30 Uhr
Der persönliche Assistent namens Siri wird (vorläufig) nur auf dem iPhone 4S verfügbar sein. Die entsprechende Software, die einiges abverlangt vom Smartphone-Prozessor, kann nicht mit iOS 5 heruntergeladen werden. Apple hat iOS 5 am Mittwochnachmittag veröffenlicht. Das neue mobile Betriebssystem kann gratis über iTunes bezogen werden.
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