Street View: Google zieht vors Bundesgericht

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BeschwerdeStreet View: Google zieht vors Bundesgericht

Google akzeptiert das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Es droht die Abschaltung des beliebten Online-Dienstes. Der Datenschützer begrüsst den Weiterzug.

Daniel Schurter
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Daniel Schurter
Google betont, der Schutz der Privatspähre sei «integraler Bestandteil» von Street View. Dem Eidgenössischen Datenschützer gehen die getroffenen Massnahmen wie das Verwischen («Blurring») der Gesichter zuwenig weit. (Bild: Keystone)

Google betont, der Schutz der Privatspähre sei «integraler Bestandteil» von Street View. Dem Eidgenössischen Datenschützer gehen die getroffenen Massnahmen wie das Verwischen («Blurring») der Gesichter zuwenig weit. (Bild: Keystone)

Der Rechtsstreit um den Online-Dienst Street View geht in eine neue und entscheidende Runde: Google akzeptiert das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht und zieht vor Bundesgericht. Damit müssen die obersten Richter des Landes entscheiden, wie es mit Street View in der Schweiz weitergeht.

In einer Medienmitteilung hat Google diesen Schritt soeben angekündigt. «Im Interesse der Schweizer Internetnutzer und Unternehmen» ziehe man das Urteil an die nächste Gerichtsinstanz weiter, «um sicherzustellen, dass Street View auch weiterhin in der Schweiz angeboten werden kann».

Argumentiert wird mit dem öffentlichen Interesse an Street View. Seit der Einführung vor fast zwei Jahren sei der virtuelle Spaziergang auf Schweizer Strassen Teil des Alltagslebens für Nutzer und Unternehmen geworden. «Jeden Tag erkunden abertausende Menschen die Schweiz über die Street-View-Funktion in Google Maps.»

Auch für Schweizer Unternehmen erweise sich Street View als hilfreich, argumentiert Google. Nahezu 1000 Schweizer Firmen, Institutionen und Verbände hätten Street View in ihre eigenen Internet-Auftritte eingebunden.

Es droht die Schliessung

Google droht aber auch unverhohlen mit der Einstellung von Street View in der Schweiz. Aufgrund des kürzlich gefällten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts bestehe «die Gefahr, dass dieses für Schweizer Nutzer und Unternehmen so innovative Tool geschlossen werden muss». Das Bundesverwaltungsgericht hatte eine Reihe von weitreichenden Änderungen angeordnet und ist damit den Forderungen des Eigenössischen Datenschützers gefolgt (siehe Box). «Falls diese Anordnungen tatsächlich Bestand haben sollten, wäre Google leider gezwungen, den Dienst in der Schweiz abzustellen.»

Der höchste Google-Manager in der Schweiz, Country-Manager Patrick Warnking, lässt sich wie folgt zitieren: «Der enttäuschendste Aspekt des Gerichtsurteils liegt darin, dass es die Vorteile von Street View für die Menschen und Unternehmen in der Schweiz in keiner Weise in Betracht zieht.» Google werde sich sehr bemühen, Street View für die Schweizer Nutzer zu erhalten. Sie gehörten zu denen, die Street View weltweit mit am häufigsten verwenden ‒ demnach wurden seit Einführung des Tools im August 2009 über 212 Millionen Schweizer Street-View-Ansichten angeschaut. Laut einer aktuellen Umfrage, die Google im März durchführte, hat mehr als jeder zweite Schweizer (53 Prozent) den Dienst schon mindestens einmal genutzt.

«Nicht aus finanziellen Interessen»

Der juristische Kampf werde nicht aus finanziellen Gründen geführt, sagt Warnkind: «Wir führen nicht deshalb Beschwerde, weil wir eigene finanzielle Interessen verfolgen, wir verdienen kein Geld mit Street View, sondern wir stehen für Innovationen ein und für die Vorteile, die Street View der Schweiz bringt». Tatsächlich ist die Benutzung von Street View kostenlos für die Nutzer - dafür verdient der Anbieter Google aber Geld mit dem Verkauf von Online-Werbung auf dem Kartendienst Google Maps.

Weiter heisst es, Google nehme den Datenschutz «äusserst ernst» und habe Massnahmen ergriffen, um die Identität von Einzelpersonen und Fahrzeugen bei Street View zu schützen. «Und wir hoffen sehr, dass dies im Beschwerdeverfahren auch entsprechend gewürdigt wird», so Warnkind.

Laut Googles oberstem Datenschützer, Peter Fleischer, sind die Forderungen des Schweizer Datenschützers in letzter Konsequenz nicht umsetzbar. «Wenn wir eine 100-prozentige Unkenntlichmachung von Gesichtern und Kennzeichen erreichen wollten, müssten wir jedes einzelne der Millionen von Schweizer Bildern manuell prüfen ‒ und es ist offensichtlich, dass es einfach keine 100-prozentige Perfektion geben kann, wenn manuelle Vorgänge beteiligt sind.»

Datenschützer begrüsst Weiterzug

In einer offiziellen Stellungnahme aus dem Büro des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten, Hanspeter Thür, steht: «Wir nehmen Googles Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zur Kenntnis. Der Weiterzug ans Bundesgericht bzw. die Abklärung der Problematik durch die höchstrichterliche Instanz ist zu begrüssen, weil damit die Rechtslage in diesem Bereich abschliessend geklärt wird. Unabhängig vom Ausgang wird der Entscheid wegweisendenden Charakter für vergleichbare Onlinedienste in der Schweiz haben. Im Vordergrund steht die Klärung der Frage, ob es erlaubt ist, Menschen automatisch, massenhaft und ohne deren ausdrückliche Einwilligung im Internet abzubilden und somit einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen. Wir sind zuversichtlich, dass die Richter der überzeugenden Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts folgen und dessen Urteil bestätigen werden.»

Erste Reaktionen

Thomas Geiser, Rechtsprofessor an der Hochschule St. Gallen (HSG) und Anwalt, hält das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nachwievor für richtig. Der Persönlichkeitsschutz sei höher zu gewichten als das öffentliche Interesse an den Street-View-Aufnahmen. Das Gericht habe die verschiedenen Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen. «Es würde mich eher erstaunen, wenn das Bundesgericht zu einem anderen Entscheid kommt.»

Nichtsdestotrotz sei es das gute Recht von Google, sich mit allen juristischen Mitteln zu wehren. Das höchste Gericht des Landes werde erneut eine Interessenabwägung vornehmen, von daher sei der Ausgang des Verfahrens offen.

Dass Google gezwungen werden soll, ausnahmslos alle Gesichter und Fahrzeug-Kennzeichen zu anonymisieren, sei zu begrüssen. Auch wenn der Internet-Konzern mit unverhältnismässigem Aufwand und damit verbundenen Kosten argumentiere: Dies könne keine akzeptable Begründung eines kommerziellen Unternehmens sein, um weiterhin die Rechte der Personen zu verletzen, die ohne ihr Einverständnis im Internet abgebildet werden. Das «Recht am eigenen Bild» sei nicht erst seit gestern von den Gerichten in der Schweiz und auch in unseren Nachbarländern anerkannt und müsse auch in Zukunft geschützt werden.

«Enorme Nachteile»

Der Chef der Swiss-American Chamber of Commerce, Martin Naville, setzt sich für die Weiterführung von Street View in der Schweiz ein. Er bedauere den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ausserordentlich. «Dieses Urteil stellt die Schweiz als Ort für Innovation und Neuentwicklungen in Frage. Das Urteil könnte auch für andere IT-Unternehmen in der Schweiz weit reichende Konsequenzen haben. Solche Entscheide hemmen innovative Entwicklungen und können dadurch dem Wirtschaftsstandort Schweiz enorme Nachteile bringen.»

Besorgt geäussert haben sich auch Vertreter von Tourismus-Organisationen und Standort-Gemeinden. Das gegen die Interessen von Schweizer Internetnutzern und touristischen Einrichtungen gerichtete Urteil sei «ein grosser Schritt zurück ins digitale Steinzeitalter», sagte der Zermatter Tourismusdirektor, Daniel Luggen. «Wo ist das Verständnis und die Offenheit gegenüber fortschrittlichen Technologien?»

Die Vorgeschichte

Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür hatte im September 2009 von Google Massnahmen gefordert, um bei Street View den Schutz der Privatsphäre zu verbessern (siehe Box). Weil Google die Umsetzung der Vorschläge mehrheitlich ablehnte, musste auf Klage des Datenschutzbeauftragten das Bundesverwaltungsgericht darüber entscheiden. Die Richter in Bern kamen zum Schluss, dass Google fast alle Forderungen Thürs erfüllen muss.

Im Zentrum steht die Pflicht von Google, Gesichter von Personen und Fahrzeugkennzeichen manuell vollständig unkenntlich zu machen. Im Bereich von sensiblen Einrichtungen, etwa bei Frauenhäusern, Gefängnissen, Schulen, Gerichten, Sozialbehörden und Spitälern muss vollständige Anonymität hergestellt werden. Dazu muss Google neben dem Gesicht auch weitere individuelle Merkmale wie Hautfarbe oder Kleidung entfernen.

Weiter muss Google in Lokalzeitungen über geplante Aufnahmefahrten und die Aufschaltung der Bilder ins Netz informieren anstatt wie bisher nur auf der Startseite von Google Maps. Unzulässig ist laut Gericht zudem der Einblick in Höfe und Gärten, deren Anblick einem «normalen Passanten» verschlossen bleiben würden.

Was Thür von Google fordert

In seiner Empfehlung an Google zum verbesserten Schutz der Privatsphäre auf Street View hat der Eidgenössische Datenschützer die sechs folgenden Punkte aufgelistet:

1. Google habe sicherzustellen, dass die Veröffentlichung der Bilder in Street View nur erfolge, wenn Gesichter und Autokennzeichen vollständig unkenntlich gemacht würden.

2. Google habe zu gewährleisten, dass die Anonymität von Personen im Bereich von sensiblen Einrichtungen gewahrt werde, insbesondere vor Frauenhäusern, Altersheimen, Gefängnissen, Schulen, Sozialbehörden, Vormundschaftsbehörden, Gerichten und Spitälern.

3. Google müsse dafür sorgen, dass der Privatbereich, wie etwa umfriedete Höfe oder Gärten, nicht auf Bildträger aufgenommen und bereits bestehende Bilder dieser Art aus Street View entfernt würden.

4. Google stelle sicher, dass die von Privatstrassen aus gemachten Aufnahmen aus Street View entfernt würden, sofern keine Einwilligung für die Aufnahmen vorliege.

5. Google habe mindestens eine Woche im Voraus darüber zu informieren, in welchen Städten und Dörfern in der darauf folgenden Woche Aufnahmen getätigt würden.

6. Google habe eine Woche vor Aufschaltung aufs Netz zu informieren, welche Dörfer und Städte aufgeschaltet würden.

Bis auf Punkt 4 hat das Bundesverwaltungsgericht alle Empfehlungen abgesegnet.

(sda)

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