«Das müssen Einzelfälle sein»

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Suchmaschinen«Das müssen Einzelfälle sein»

Google Street View ist ebenso beliebt wie umstritten. Im Gespräch mit 20 Minuten Online nimmt der Macher des Angebots erstmals Stellung zu Datenschutzproblemen. Luc Vincent gibt überdies Einblick in die Technologie dahinter und verrät seine Lieblingsfunktion.

Henning Steier
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Henning Steier

Google hat heute auf Forderungen des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragen Hanspeter Thür reagiert und eine Liste mit den Orten, welche im Juli und August hierzulande von den Kamera-Autos des Suchmaschinenanbieters abfotografiert werden, ins Netz gestellt.

Thür hatte sich mit Google bereits geeinigt, dass Passanten oder Hausbewohner informiert werden, bevor Bilder für Google Street View aufgenommen werden. Gesichter und Nummernschilder werden zudem automatisch unkenntlich gemacht. Ein Problem, nämlich die geforderte Löschung der Rohdaten nach Anonymisierung der Bilder, sei noch ungelöst. Laut einem Firmenblogeintrag von Googles Datenschutzbeauftragtem Peter Fleischer ist man aber bereits auf auf EU-Ebene in Diskussionen zu diesem Thema.

Einer, der sich bisher kaum öffentlich geäussert hat, ist Luc Vincent, der Mann hinter Street View. Im Gespräch mit 20 Minuten Online nimmt der gebürtige Franzose, der seit mehreren Jahre in der Google-Zentrale im kalifornischen Mountain View arbeitet, Stellung zum Thema Datenschutz, zieht Bilanz und gibt Einblicke in das am schnellsten wachsende Angebot des Markführers.

20 Minuten Online:Stimmt es, dass Google-Gründer Larry Page Street View erfunden hat?

Luc Vincent: Ja, er hatte die Idee vor knapp sechs Jahren. Larry Page schnallte also einen Camcorder aufs Dach seines Autos und fuhr unter anderem im kalifornischen Palo Alto herum, um dabei Aufnahmen zu machen. Anschliessend fuhr er nach Stanford, gab die knapp drei Stunden Videomaterial einem Informatikprofessor und bat ihn, etwas daraus zu machen. Heraus kam eine sehr frühe Version von Street View, die unter dem Codenamen «City Block» entwickelt wurde: Zu Beginn wollten wir bloss Häuserreihen fotografieren und diese dann öffentlich zugänglich machen, bekanntlich ist viel mehr daraus geworden. 2004 startete ich im Unternehmen und war seitdem an allen Entwicklungen beteiligt.

Street View gibt es seit etwa zwei Jahren. In welchen Abständen werden die Bilder erneuert?

Wir bieten unsere 360-Grad-Panoramen bislang in neun Ländern an – und das noch nicht einmal flächendeckend. Daher ist es unser vorrangiges Ziel, erst einmal mehr Regionen aufzunehmen, bevor es neue Bilder gibt. In Europa haben wir von Beginn an auf hochauflösende Bilder gesetzt, in den USA, wo wir angefangen haben, aber nicht. Daher fahren unsere Autos zurzeit einige Städte zum zweiten Mal ab – beispielsweise San Francisco. Wir setzen aber auch verstärkt auch unverbundene Nutzerbilder, die eine weitere Perspektive bieten. Man sieht sie für einige Städte – beispielsweise New York – schon oben eingeblendet.

Sollen die Nutzer irgendwann Street View bestücken?

Erst einmal nicht. Sie können aber auch beispielsweise Fotos aus engen Gassen liefern, in die wir auch mit unseren Street-View-Trikes, noch nicht gefahren sind. Diese Fahrräder sind mit Kameras ausgestattet und seit ein paar Wochen auch in Europa unterwegs, um beispielsweise Fussgängerzonen und Parks abzulichten. Wir hatten auch mal überlegt, Leute mit Rucksäcken einzusetzen. Andere haben das gemacht – mit Kameras und Helmen. Aber wenn man eine gewisse Bildqualität verlangt, wird die Ausrüstung zu schwer – unter anderem wegen der grossen Akkus. Auf Panoramio.com geben wir Usern aber auch die Möglichkeit, ohne besondere Kenntnisse Panoramabilder zu erstellen. Vielleicht können wir sie irgendwann massenhaft für Street View verwenden, konkrete Pläne gibt es momentan aber nicht.

Wie werden Nutzerbilder überprüft?

Sie müssen mit Geodaten versehen sein, was uns die Kontrolle erleichtert. Natürlich muss auch die Qualität stimmen, die wir anhand verschiedener Kriterien messen. Letztendlich muss das Bild zu einem Panorama passen.

Wie kommt es, dass immer noch folgender Hinweis zu lesen ist «Die Adresse ist nur annähernd genau»?

Unsere Autos nutzen GPS-Daten, gleichen diese aber mit einer Vielzahl von Faktoren wie der gefahrenen Geschwindigkeit ab. Da kann es zu Ungenauigkeiten kommen. Wir sind zum Beispiel gerade unter anderem in Hongkong unterwegs. Die Kombination aus bergigem Umland und Hochhäusern macht es den GPS-Geräten schwer, weil es nicht immer Empfang gibt. Daher können sich Abweichungen im zweistelligen Meterbereich ergeben. Es gibt aber Fehler, für die wir keine Erklärung haben. Wenn man zum Beispiel einen virtuellen Spaziergang auf der Golden Gate Bridge unternimmt, geht es plötzlich nicht weiter. In der Realität würde man abstürzen, am Rechner kann man einfach den so genannten Pancake, jenen Kreis, der die Navigation erleichtert, zum Springen benutzen.

Seit knapp einem Jahr setzt Google eine Technologie ein, die Gesichter und Nummernschilder automatisch unkenntlich macht. Diese führt mitunter zu kuriosen Fotos, auf denen beispielsweise Haushaltsgeräte verwischt dargestellt werden. Werden Sie hier nachbessern?

Aus Kostengründen können wir diese Aufgaben von Computern erledigen zu lassen. Und daher müssen wir solche Fehler hinnehmen. In Frankreich ist es leider so, dass die Wegweiser zu Hotels auf ähnlicher Höhe wie Nummernschilder angebracht sind, daher werden Erstgenannte auch immer wieder unkenntlich gemacht. Grundsätzlich funktioniert die Verwischungstechnologie aber gut. Trotzdem arbeiten wir kontinuierlich daran, sie zu verbessern

Gab es schon Nutzer, die Ihre Gesichter wieder angezeigt haben wollten?

Bislang nicht.

Nehmen wir an, jemand meldet sich bei Google, weil er ein Bild eines Hauses entfernt haben möchte ...Falls es aber ein Scherz war – wird das Foto dann wieder eingefügt?

Nein, denn es wäre zu aufwändig.

Also wahrscheinlich zu teuer. Gutes Stichwort: Wie will Google mit Street View Geld verdienen?

In Google Maps können beispielsweise Hotel und Restaurantbesitzer bereits Werbung schalten. Die könnte man natürlich auch in Street View einbinden. Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin wollen aber das Produkt erst noch weiter verbessern.

Wie wird man Fahrer eines Street-View-Autos?

Wir arbeiten mit Agenturen zusammen, welche uns die Leute besorgen. Wichtig sind gute Ortskenntnisse, ein defensiver Fahrstil, aber auch dass man bei gutem Wetter und Tageslicht fährt (was aber nicht alle tun - wie in der obigen Bildstrecke zu sehen ist; Anmerkung der Redaktion). Wir bekommen übrigens immer wieder E-Mails von Leuten, die einen Job suchen. Das bringt aber nichts, denn wie gesagt: Darum kümmern sich externe Dienstleister.

Bekommen die Fahrer auch Schulungen in Selbstverteidigung? Denn nicht alle Bürger sind damit einverstanden, in Street View aufzutauchen.

Für den Fall, dass es örtlich Probleme gibt, hat jeder Fahrer Informationsmaterial zum Thema Street View dabei und ist aufgefordert, den Bürgern die Technologie zu erklären. Bekanntlich kann uns jeder Nutzer Beanstandungen mitteilen. Nicht zuletzt war die zuvor erwähnte, automatische Technologie zur Unkenntlichmachung von Gesichtern und Nummernschildern unsere Reaktion auf Datenschutzbedenken, als wir nach Europa kamen. Die meisten Internetnutzer sind aber grosse Fans von Street View. Dies belegt auch die Tatsache, dass wir 2008 im Vergleich zum Vorjahr das am schnellsten wachsende Google-Angebot waren. Ausserdem bekommen wir am Tag nur eine zweistellige Zahl E-Mails von Leute, die gern etwas entfernt haben möchten.

20 Minuten Online hat fünf Test-E-Mails mit der Bitte, etwas zu löschen, an Google geschickt. In allen Fällen dauerte es vier Werktage, bis es passierte. Woran lag das?

Das müssen Einzelfälle sein. Denn im Gros der Fälle sollte das binnen 24 bis 48 Stunden geschehen.

Wie entwickelt sich die mobile Nutzung von Street View?

Sie wächst ebenfalls rasant und macht mittlerweile etwa zehn Prozent aus. Wir bieten bislang einen Client für Blackberrys, Android-Handys und iPhones an.

Warum gibt es keine Tools für Symbian und Windows Mobile, zwei Betriebssysteme, die weitaus häufiger genutzt werden?

Die Version für Blackberrys und Android-Geräte haben wir selbst entwickelt, Apple hat das Ganze fürs iPhone übernommen. Wer die Entwicklung für sonstige Plattformen übernehmen möchte – gern.

Spielt da nicht auch die Rivalität mit Microsoft eine Rolle, welche sich unter anderem darin äussert, dass Google unlängst ankündigte, mit Chrome OS ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln?

Wie erwähnt, haben wir nur eine begrenzte Anzahl an Leuten zur Verfügung. Klar ist, wenn wir die Wahl haben, etwas für unser eigenes Handy-Betriebssystem Android oder für Windows Mobile zu entwickeln, fällt die Entscheidung nicht schwer. Fakt ist aber auch: Google will seine Angebote auf so vielen Plattformen wie möglich verfügbar machen. Deshalb sind viele unserer Produkte wie Android Open Source, das heisst, jeder kann sie weiter entwickeln. Das gilt natürlich auch für die Street-View-API, die jeder wie Google Maps auf seiner Homepage verwenden kann.

Welche ist Ihre Lieblingsfunktion in Street View?

Ich nutze oft die Routenplanung. Wenn man sich an seinem Standpunkt übers Mobiltelefon orten lässt, kann man beispielsweise das Fotos eines Hauses mit der Realität vergleichen und noch schneller sehen, wo man wirklich steht.

Google Street View

Das Angebot ist Teil des Kartendienstes Google Maps. Nutzer können sich Städte anschauen, ohne vom PC aufstehen zu müssen. Denn Google schickt Spezialfahrzeuge auf die Strassen, welche Fotos machen, die anschliessend zu 360-Grad-Panoramen verbunden werden. Im Mai 2007 in den USA gestartet, ist das Street View unter anderem auch für Teile Italiens, Frankreichs und Grossbritanniens verfügbar. Seit Mitte März 2009 sind Googles Autos in der Schweiz unterwegs. Wann der Dienst hierzulande verfügbar sein wird, ist bislang nicht bekannt.

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