Ein Hoch auf das virtuelle Eier-Quetschen

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Insert Coins!Ein Hoch auf das virtuelle Eier-Quetschen

Der jahrelange Krieg um den Thron hat aus «Fifa» und «PES» technisch perfekte Videogames gemacht - aber auch Spassbremsen. Dabei wäre die Tätlichkeit per Knopfdruck so befreiend.

Patrick Toggweiler
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Patrick Toggweiler

Wieso gibt es in «Fifa 12» keinen Lepra-Modus? Je nach Schussstärke fliegt das eine oder andere Bein ins Publikum und «am Gegner hängen bleiben» bekäme plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Ein Riesenbrüller.

Sie können nun behaupten, ich sei geschmacklos. Sie können aber nicht behaupten, dass die Lepra-Idee an der Lizenzgeberin Fifa scheitern würde. Spätestens seit den Vergaben der Weltmeisterschaften ist bekannt, dass man sich beim Weltfussballverband sehr wohl für schwachsinnige Ideen begeistern kann.

Den Lepra-Modus in «Fifa 12» gibt es nicht, weil es den bei «PES 2011» nicht gab. Und umgekehrt kann man bei «PES 2012» den Gegner nicht headbutten, weil das in «Fifa 11» nicht möglich war. Das Duopol hat sich auf politische Korrektheit geeinigt. Es ist wie bei Migros und Coop: Veränderungen finden vor allem dann statt, wenn der Erzfeind in einer Sache vorgelegt hat. Und Fussballgames hätten einen Aldi bitter nötig.

Ich will simulieren

«PES» und «FIFA» schimpfen sich Fussballsimulationen. Wenn «Fifa 12» realistisch wäre, könnten die Spielfiguren per Knopfdruck spucken. Mindestens Alex Frei müsste das können. 0:4 verloren, dafür im San Siro eine Speichellache hinterlassen. Sabber Siro quasi - was für ein Spass. Für eine südländische Stimmung sollte es möglich sein, das eigene Publikum mit Klorollen und Schweineköpfen auszurüsten, oder mit Pyros. Dann bräuchte es für die fliegenden Körperteile auch keinen Lepra-Mode mehr.

Konami und EA sind derart ineinander verbissen, sich gegenseitig zu kopieren, dass sie vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Genau solche hirnrissigen Features bringen doch echten Spielspass. Wie an einer richtigen WM will ich halbnackte und betrunkene Frauen und Männer im Publikum sehen, die von den Stühlen fallen. Apropos fallen: Wieso gibt es bei «Fifa» keine Schwalben? Bei «This is Football 2005» waren diese möglich wie auch, soweit ich mich erinnern mag, beidbeinige Brutalo-Grätschen (Nachträglicher Eintrag: Bei PES 2012 darf man sich wieder freiwillig hinlegen - das zeigt hoffentlich Signalwirkung).

Selbstzensur bis zur Verstümmelung

Seit wann muss die virtuelle Welt korrekter sein als die reale? Selbstzensur auf Kosten von Fun ist in der Gameindustrie so absurd wie eine Fussball-WM in Katar – aber das hatten wir ja schon. Sportspiele scheinen von dieser Krankheit ganz besonders betroffen. Auf das Doping-Feature bei Leichtathletik-Games warte ich schon seit Jahren. Die sonst so knallharte Gameindustrie macht auf Biedermann. Lächerlich. Games sind wie Humor: Mit einer Prise Selbstironie ist alles erlaubt – und je böser, desto besser.

Genau deshalb braucht es das PEGI-18-Fussballgame. Das müsste sich wohl die Sponsorenmillionen an den Hut stecken, könnte dafür aus dem Vollen schöpfen. Ich verzichte gerne auf die offiziellen Lizenzen, wenn ich dafür dem Gegner in die Eier greifen kann - was sicher auch gut wäre für die Psychohygiene.

Fussballspiele sind nämlich die wahren Aggressivmacher unter den Games. Was in Insiderkreisen schon lange bekannt ist, hat auch eine dieser berüchtigten Gamer-Studien herausgefunden. Die besprochenen Games bieten kein Ventil, um Niederlagen zu verdauen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die virtuelle Tätlichkeit noch so manchem realen Controller den gewaltsamen Tod erspart hätte.

«Fifa» oder «Pro Evolution Soccer» sind sensationelle Fussballspiele. Ich will sie nicht missen. Tränen in den Augen hatte ich bei beiden Spielen, aber bisher nur vor Wut. Weggeschmissen habe ich mich hingegen bei «Sensible Soccer» aus dem vorderen Jahrtausend. Technisch ist der Titel etwas so gut wie eine britische Sechstliga-Partie. In Sachen Spielspass kann er sich aber noch heute mit den bierernsten «Fifa 12» oder «PES 2012» messen.

Statt den beiden Spielen habe ich mir übrigens die Monkey Island Special Edition Collection gekauft. Das ist lustig - und dort darf man wenigstens spucken.

Patrick Toggweiler ...

... spielt seit Tombstone City auf dem TI-99 oder seit fast drei Jahrzehnten Videospiele. Zu seinen Lieblingstiteln gehören «Bubble Bobble», «Ultima 6», «Total Annihilation» und «God of War».

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