Lohnerhöhung soll Suizidserie stoppen

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FoxconnLohnerhöhung soll Suizidserie stoppen

Kurz nachdem der CEO einer Meute von Journalisten eine Führung gegeben hatte, stürzte sich schon wieder einer der Angestellten in den Tod. Jetzt will der Elektrokonzern die Gehälter erhöhen.

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ddp/mbu

Sechs Busladungen Journalisten liess das chinesische Unternehmen Foxconn, der weltgrösste Hersteller von Elektronikteilen, durch sein riesiges Werksgelände in Shenzen karren. Nach einer Serie von Selbstmorden bemühte sich der medienscheue Firmenchef Terry Gou bei der Besichtigung selbst, den Verdacht zu entkräften, dass miserable Arbeitsbedingungen seine Angestellten in den Tod trieben. Wenige Stunden darauf sprang der nächste.

Der 23 Jahre alte Wanderarbeiter aus der weit entfernten Provinz Gansu stürzte sich am Mittwochabend vom Balkon im siebten Stock seines Wohnheims in die Tiefe, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete. Erst am Tag zuvor hatte sich ein 19-Jähriger, der erst einen Monat in dem Werk arbeitete, auf gleiche Weise das Leben genommen. Elf Suizide gab es damit bei Foxconn in diesem Jahr, zehn in Shenzen und einen weiteren in einem Werk in Nordchina.

Das Unternehmen, das zum Konzern Hon Hai Precision Industry aus Taiwan gehört, beschäftigt in ganz China 800 000 Menschen. Es fertigt iPods und andere Geräte für bekannte Firmen wie Apple, Sony, Dell, Nokia und Hewlett-Packard.

Sicherheitsnetze und Berater

Die Selbstmorde brächten ihn um den Schlaf, sagte Gou. Er fürchte das Klingeln des Telefons nach Dienstschluss, weil womöglich ein neuer Fall gemeldet werde. Der Firmenchef entschuldigte sich wiederholt für die Todesfälle und versicherte, die Firma werde alles in ihrer Macht stehende tun, um weitere zu verhindern. Gebäude werden mit Netzen gesichert und rund 100 zusätzliche Berater ausgebildet, die Beschäftigten mit Problemen zur Seite stehen sollen. «Wir brauchen etwas Zeit», sagte Gou. «Aber wir sind zuversichtlich. Wir sind äusserst entschlossen.»

Die Besichtigungstour führte durch die palmengesäumten Strassen des riesigen Industriekomplexes, hinter dessen Mauern 300 000 Menschen arbeiten. Mit Wohnheimen und Bankfilialen, Schnellrestaurants und Bäckereien, einer Buchhandlung und selbst einem Schwimmbad ist er eine Stadt für sich. Arbeitnehmervertreter werfen dem Unternehmen indes einen rigiden Führungsstil vor, den sie für die Selbstmordserie mitverantwortlich machen. Die Beschäftigten müssten viel zu viele Überstunden machen, und die Bänder liefen zu schnell, kritisieren sie.

Interviews unter Beobachtung

Fragen dazu nahm Guo auf einer Pressekonferenz nicht an. Er betonte jedoch, die grosse Mehrheit der Beschäftigten sei glücklich. Den wenigen Unzufriedenen werde zu viel Aufmerksamkeit zuteil. «Wir möchten, dass jeder Arbeiter hier ein schönes Leben und einen schönen Arbeitsplatz hat», erklärte er in einer langen und weitschweifigen Ansprache, die er mit Hinweis auf einen Termin abrupt beendete.

Beim Gang durch ein Festplattenwerk schwärmten Angestellte in weissen Polohemden aus und beobachteten die Beschäftigten, die mit den Journalisten sprachen. «Wir werden hier ganz gut behandelt», sagte eine Arbeiterin namens Chen. «Ich glaube, die Selbstmorde sind auf individuelle Probleme zurückzuführen.» Auf die Frage, ob die Arbeitsbedingungen vielleicht eine Rolle gespielt haben könnten, zuckt Kollege Zhang nur mit den Schultern: «Weiss ich nicht.»

Zum Besichtigungsprogramm gehörte auch der Swimmingpool neben einer weitläufigen Cafeteria, in der es zu Mittag Reis, Kohl, Tofu und Rindfleisch mit rotem Paprika gab. Eine Arbeiterin, die in der Mittagspause neben dem Schwimmbad stand, ist noch nie darin geschwommen. «Das Becken schliesst zu früh, um 21.00 Uhr», erklärte Frau Wu. «Nach den Überstunden komme ich normalerweise um 19.30 oder 20.00 von der Arbeit raus und habe keine Zeit zum Schwimmen.»

Mehr Geld für die Angestellten

Nun hat Foxconn seinen Mitarbeitern eine Gehaltserhöhung in Aussicht gestellt. Die Löhne würden im Schnitt um 20 Prozent angehoben, verlautete am Freitag aus Konzernkreisen in Taipeh. Mehr Geld könnte auch die Stimmung der Mitarbeiter heben, sagte ein Firmenvertreter. Das monatliche Grundgehalt in den chinesischen Fabriken von Foxconn, des weltgrössten Herstellers von Elektronikteilen, liegt derzeit bei rund 900 Yuan (106 Euro). «Wir hoffen, dass die Angestellten eine positive Lebenseinstellung bekommen», sagte der Firmenvertreter. Pläne für eine Gehaltserhöhung gebe es bereits seit Monaten. Seit Jahresbeginn haben sich elf Foxconn-Mitarbeiter das Leben genommen, drei weitere haben Selbstmordversuche unternommen. Zuletzt versuchte sich ein 25-Jähriger am Donnerstag die Pulsadern aufzuschneiden.

Nachahmungseffekt befürchtet

Neuere Daten über Selbstmorde in China zu finden, ist schwierig. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO nahmen sich 1999 insgesamt 13 von 100 000 Männern das Leben. Bei Frauen lag die Quote bei 14,8.

Professor Stephen Palmer, Leiter des Londoner Zentrums für Stressmanagement, findet es besorgniserregend, dass die Lebensmüden bei Foxconn alle auf die gleiche Weise in den Tod sprangen. «Wenn eine Methode einmal populär ist, finden sie auch andere Leute naheliegend», erklärte er. «Menschen, die über Selbstmorde lesen und aus dem Bekanntenkreis davon hören, können eher dazu neigen, sich umzubringen. ... Dann ist es irgendwie zulässig, sich umzubringen.» Problematisch findet Palmer auch, dass viele Foxconn-Beschäftigte Wanderarbeiter sind. «Wenn man immer lange arbeitet und von der Familie getrennt ist, dann ist das schon so eine Sache.»

Apple mit eigenen Inspektoren vor Ort

Gegenüber dem Finanzportal Bloomberg gab ein Apple-Sprecher an: «Wir sind traurig und erschüttert über die letzten Selbstmorde bei Foxconn. Wir stehen in direktem Kontakt mit dem oberen Management bei Foxconn und glauben, dass sie die Angelegenheit sehr ernst nehmen. Ein Team von Apple wird unabhängig davon überprüfen, wie man dort mit den tragischen Ereignissen umgeht. Wir werden weiterhin Inspektoren in die Betriebe schicken, wo unsere Produkte gefertigt werden.» Auch HP und Dell äusserten ihre Besorgnis und kündigten an, die Arbeitsbedingungen untersuchen zu wollen.

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