«Es braucht eine Debatte über Netzneutralität»

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Balthasar Glättli«Es braucht eine Debatte über Netzneutralität»

Das Bakom hat den Bericht zur Netzneutralität veröffentlicht. Nationalrat Balthasar Glättli erklärt, warum alle Daten im Internet gleich behandelt werden müssen.

Philipp Stirnemann
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Philipp Stirnemann
In der Schweiz werden nicht alle Daten bei ihrer Übertragung im Internet gleich behandelt.

In der Schweiz werden nicht alle Daten bei ihrer Übertragung im Internet gleich behandelt.

Am Donnerstag hat das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) den Bericht zur Arbeitsgruppe Netzneutralität veröffentlicht. Dieser erläutert die Funktionsweise des Internets und stellt die Kernfragen der sogenannten Netzneutralität (siehe Box) dar, gibt einen Einblick in die Situation in der Schweiz und stellt Bezüge zur Entwicklung im Ausland her.

Der Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli (GPS) setzt sich für die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität in der Schweiz ein. Dazu hat er bereits 2012 eine Motion eingereicht.

Herr Glättli, gibt es Anzeichen dafür, dass Firmen in der Schweiz die Netzneutralität verletzen oder gefährden?

Nicht nur Anzeichen. Es gibt klare Beispiele dafür, dass Firmen beim Internetzugang über Mobilfunk die Netzneutralität verletzen.

Was sind das für Firmen?

Auf netzneutralitaet.ch werden Beispiele genannt, wo und wie die Netzneutralität hierzulande verletzt wird. Ein Beispiel wäre das Sunrise24.ch-Abo, das Voice-Over-IP verbietet respektive blockiert.

Wie genau gehen diese Firmen dabei vor?

Einerseits können heute technisch problemlos einzelne Inhalte, Dienste oder Inhaltsanbieter gegenüber anderen diskriminiert werden. Man blockiert oder verlangsamt die Konkurrenz und beschleunigt die eigenen Angebote oder die einzelner Partner. Andererseits kann man die Datenmenge unterschiedlich berechnen: Die meisten Mobilfunkabos haben heute eine bestimmte Datenmenge im Grundbetrag eingeschlossen. Wenn nun Daten von einem eigenen Angebot oder von einem Partner nicht zu dieser Datenmenge hinzugerechnet werden, ist dieses Angebot massiv bevorteilt gegenüber der Konkurrenz: Es ist quasi «gratis», während bei der Konkurrenz der Zähler läuft. Diese zweite Form findet heute in einzelnen Abos schon statt.

Wie kann der Bund die Einhaltung der Netzneutralität gewährleisten?

Er müsste ein Verbot technischer und kommerzieller Diskriminierung unterschiedlicher Inhalte durch die Zugangsanbieter festschreiben - das rege ich mit meiner Motion an.

Kann der Bund feststellen, ob ein Unternehmen die Netzneutralität verletzt?

Kompliziert ist das im technischen Bereich. Die Unternehmen, die den Zugang zum Internet anbieten (ISP), müssten verpflichtet werden, ihre Netzwerkmanagement-Massnahmen offenzulegen oder entsprechende Kontrollen zuzulassen. Im Bereich der klassischen Interkonnektion - wenn Internet-Inhalte oder Telefonate verschiedene Netze durchqueren müssen - gibt es heute bereits bestimmte Vorschriften, die aber nicht immer kontrolliert werden können. Eine solche Kontrolle ist aber einfacher durch den Bund als durch die ISPs durchzuführen.

Einfach festzustellen sind dagegen die gebräuchlichsten Verletzungen der Netzneutralität, die bei der Verrechnung stattfinden: Wenn der Internetzugang bei der Nutzung eines Dienstes anders verrechnet wird als bei der Nutzung der Konkurrenz. Das wird ja schon im Werbeprospekt oder im Vertrag sichtbar.

Wer profitiert von der Aufgabe der Netzneutralität?

Die integrierten Zugangsanbieter, die gleichzeitig den Internetzugang und Inhalte anbieten. Sie können ihre eigenen Inhalte und die von Partnern technisch und finanziell gegenüber der Konkurrenz bevorzugen. Das Nachsehen haben die Konsumenten, weil sie weniger Wettbewerb und weniger Auswahl zwischen konkurrierenden Angeboten haben. Und auch die Innovation im Internet würde massiv gebremst. Kleine, innovative Start-ups würden zurückgeworfen, die grossen starken Inhaltsanbieter bevorteilt.

Muss Ihres Erachtens das Fernmeldegesetz geändert werden?

Ja, ohne eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität werden die Verletzungen rasch zunehmen. Die Zugangsanbieter betonen zwar heute, dazu bestehe keine Absicht - aber gleichzeitig wehren sie sich gegen das Diskriminierungsverbot mit dem Argument, das störe den freien Wettbewerb ... ein klares Signal.

Wie geht es nach der Veröffentlichung des Berichtes weiter?

Als wichtigste Folge erhoffe ich, dass auch in der Schweiz die Debatte über Netzneutralität Fahrt aufnimmt. In den USA und der EU ist dies bereits ein grosses Thema in der Politik. Mit Spannung erwarte ich den für Ende Jahr angekündigten Bericht des Bundesrates. Und schliesslich hoffe ich, dass die zuständige Ständeratskommission (KVF-S) und der Ständerat dem Nationalrat folgen und meiner Motion für die Netzneutralität im Interesse eines offenen und innovativen Internets zustimmen.

Balthasar Glättli

Der Grünen-Politiker Balthasar Glättli wurde 2011 in den Nationalrat gewählt. Er ist dort Mitglied der Staatspolitischen Kommission (SPK) und seit April 2013 auch der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK).

Im Dezember 2012 hat Balthasar Glättli eine Motion für die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität (12.4212) eingereicht.

Netzneutralität:

Netzneutralität bezeichnet die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet. Netzneutrale Internetdienstanbieter behandeln alle Datenpakete bei der Übertragung gleich, unabhängig von Sender und Empfänger, dem Inhalt der Pakete und der Anwendung, die diese Pakete generiert hat.

Berechnet ein Netzbetreiber beispielsweise bei gewissen Abos den Datenverbrauch seiner eigenen Angebote nicht mit, denjenigen der Konkurrenzangebote dagegen schon, verletzt er die Netzneutralität. Bietet ein Zugangsprovider VoD-Dienste an und stellt einem konkurrierenden Video-Service weniger Bandbreite für das Streaming zur Verfügung, verschlechtert er bewusst dessen Service-Qualität und verhält sich ebenfalls nicht netzneutral. (pst)

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