Bankgeheimnis-Serie, Teil IDie Geburt des Bankgeheimnisses
Das Bankgeheimnis wurde mitnichten eingeführt, um jüdische Vermögen vor dem Zugriff der Nazis zu schützen. Schon damals ging es nämlich darum, den Schweizer Banken einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Für Alt-Bundesrat Christoph Blocher steht am Anfang des Sonderfalls Schweiz eine militärische Niederlage: Schweizer Landsknechte wurden am 14. September 1515 bei Marignano von den Franzosen vernichtend geschlagen. Diese Niederlage habe Signalwirkung gehabt. «Marignano sollte die Leute daran erinnern, wie gut es der Schweiz in den vergangenen 450 Jahren als Sonderfall und neutralem Eigenbrötler ergangen war», schreibt der «Weltwoche»-Journalist Markus Somm in seiner Blocher-Biographie.
Etwas näher bei der historischen Realität ist es, den Sonderfall Schweiz mit dem Wiener Kongress von 1815 in Verbindung zu bringen. Damals wurde der Eidgenossenschaft von den Siegermächten über Napoleon das Recht auf eine «immerwährende Neutralität» zugesprochen. Von diesem Recht macht die Schweiz bis heute Gebrauch. «Neutral» zu sein ist für Schweizerinnen und Schweizer zur zweiten Natur geworden, so selbstverständlich, dass es nicht einmal in der Verfassung zu stehen braucht. Die Neutralität gehört zu diesem Land wie das Matterhorn.
Nicht aus humanitären Gründen geschaffen
Anders verhält es sich mit dem Bankgeheimnis. Es ist ein Gesetz, das unter Androhung von Strafe den Bankangestellten verbietet, Auskunft über ihre Tätigkeit zu geben. Dieses Gesetz hat sehr pragmatische Ursprünge und einen klar identifizierbaren politischen Vater. Er heisst Jean-Marie Musy, von 1920 bis 1934 Bundesrat und Finanzminister. Doch auch das Bankgeheimnis ist inzwischen mythisch verklärt worden. So sind nach wie vor viele Schweizerinnen und Schweizer überzeugt, es sei geschaffen worden, um jüdische Vermögen vor dem Zugriff der Nazis zu bewahren.
Das ist blanker Unsinn. «Die politische Auseinandersetzung um das Bankgeheimnis, die bereits ‹vor› der Nazi-Herrschaft einsetzte, bewegte sich in engen Grenzen und konnte nicht der Auslöser zur Einführung des Bankgeheimnisses gewesen sein», hält
der Bankenhistoriker Robert U. Vogler fest. «Die (…) Idee, das Bankgeheimnis sei aus humanitären Gründen geschaffen worden, ist durch nichts belegt und gehört klar ins Reich der Mythen.»
Unliebsame Zwischenfälle
Tatsächlich ist das Bankgeheimnis entstanden, um den Schweizer Finanzplatz vor dem Zugriff der ausländischen Steuerbehörden zu schützen und den Schweizer Banken damit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Zu Beginn der Dreissigerjahre waren die Verhältnisse nämlich so wie heute.
Die Schweiz hatte sich mitten in Europa zu einer Steueroase entwickelt. Deutschland und Frankreich fanden das alles andere als lustig. Immer wieder kam es zu unliebsamen Zwischenfällen mit gegenseitigen Beschuldigungen. So klagte der deutsche Fiskus gegen den Schweizerischen Bankverein, nachdem ihm Angestellte Unterlagen über deutsche Kunden zugespielt hatten. Am 26. Oktober 1932 ertappten französische Polizisten Schweizer Banker auf frischer Tat. Sie halfen reichen Franzosen bei der Steuerflucht. Das hatte nicht nur negative Schlagzeilen zur Folge, sondern auch knifflige juristische Probleme. Die Schweizer Banken hatten zwar schon damals die zivilrechtliche Pflicht, die Daten ihrer Kunden zu schützen. Strafrechtlich hatte es jedoch keine Folgen, wenn die Banken die Daten an eine ausländische Steuerbehörde weitergaben.
Zugeständnisse an die USA
Das änderte sich, als Bundesrat Musy am 24. Februar 1933 die Strafnorm gegen Bankspionage in den internen Gesetzesentwurf aufnahm. «Damit war das inzwischen weltberühmte Schweizer Bankgeheimnis bereits geboren», stellen Viktor Parma und Werner Vontobel in ihrem Buch «Schurkenstaat Schweiz?» fest. «Ein Jahr später nahm das Parlament das neue Bankengesetz an, ohne über das in Artikel 47 enthaltene Bankgeheimnis auch nur zu reden.»
Das Bankgeheimnis wird heute gerne als typisch für das Vertrauensverhältnis der Schweiz zu ihren Bürgern dargestellt. Das ist schön und gut. Nur: Ohne einen mächtigen Schutzpatron wäre spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg damit Schluss gewesen. In diese Rolle wuchsen die USA. Zuvor musste die Schweiz allerdings Zugeständnisse machen. Die Amerikaner sorgten dafür, dass sie ein bisschen gleicher waren als andere.
«Die Schweiz musste den USA als erstem und einzigem Land zugestehen, was sie 1931 der Weimarer Republik und seitdem allen anderen Staaten verweigert hatte: Bern verpflichtete sich im Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA zur Amts- und Rechtshilfe bei ‹Steuerbetrug und dergleichen›, also auch bei Steuerhinterziehung — für Schweizer Banken das Tabu schlechthin. Am 24. Mai und 9. Juli 1951 unterschrieb US-Aussenminister Dean Acheson ungerührt die für die Schweiz demütigenden Abkommen über Einkommens- und Erbschaftssteuern.
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Philipp Löpfe
schreibt für verschiedene Schweizer Zeitungen und Zeitschriften. Der frühere Chefredaktor von «SonntagsBlick» und «Tages-Anzeiger» analysiert und kommentiert aktuelle Themen aus Ökonomie und Politik. Er führt Interviews mit international bekannten Wissenschaftlern, Politikern und Wirtschaftsführern.
20 Minuten Online veröffentlicht in einer Serie Auszüge aus Löpfes neuem Buch «Banken ohne Geheimnisse» (2010). Der Wirtschaftsjournalist zeigt darin, was den Finanzplatz Schweiz gross gemacht hat, wo er heute steht und weshalb die einstigen Erfolgsrezepte nicht mehr greifen.
Im Orell Füssli Verlag bereits erschienen sind: «Der Irrsinn der Reformen» (2005) und «Ich verstehe nur DAX!» (2008).
