Bankgeheimnis-Serie, Teil VIDie Folgen für die Schweiz
Das Bankgeheimnis ist nur noch ein schlechter Witz. Doch die Schweizer Banken werden auch ohne diesen Wettbewerbsvorteil überleben. Stabilität und Rechtssicherheit bilden die Grundlage für den Finanzplatz der Zukunft.

Stabilität statt Bankgeheimnis: Finanzplatz Schweiz
In der Schweiz, wo die Gefahren des Kolossalkapitalismus spätestens mit dem Fall UBS der ganzen Nation vor Augen geführt wurden, sind mittlerweile erste Schritte zur Risikoverminderung eingeleitet worden. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) hat die Banken gezwungen, ihre Risiken mit mehr Eigenmitteln abzusichern. Die Grossbanken haben zunächst aufgeheult, doch die Finma hat richtig entschieden: Bessere Eigenmittelpolster sind das wirksamste Rezept, um der Gefahr von Banken entgegenzutreten, die «too big to fail» und neuerdings auch «too big to be saved» sind.
Die Einstellung der Schweizerinnen und Schweizer zum Bankgeheimnis wird der Fall UBS längerfristig ebenfalls beeinflussen. Zumindest in den Medien zeichnete sich bereits im Sommer 2009 ein Wandel ab. Die Stimmen, die nach wie vor von einem «Wirtschaftskrieg» gegen die Schweiz sprachen und den Rückzug ins Reduit forderten, wurden seltener und leiser. Zu offensichtlich ist geworden, dass es weder moralisch noch politisch zu verantworten ist, dass die Schweiz reichen Ausländern weiterhin behilflich ist, Steuern zu hinterziehen. Wie gross aber wird der wirtschaftliche Schaden sein? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zunächst eine Vorstellung von den Dimensionen verschaffen, welche die globalen Finanzmärkte im 21. Jahrhundert erreicht haben.
Vertrauen, das Kapital der Zukunft
Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times», benutzt dafür einen Vergleich. Er spricht von einer «Pyramide der Versprechen». Diese sieht konkret wie folgt aus: Ende 2005 besass der amerikanische Privatsektor Vermögen in der Höhe von rund 52 Billionen Dollar. In der Eurozone waren es etwa 30 Billionen, in Japan 19,5 Billionen und in Grossbritannien etwa 8 Billionen. Weltweit wird die Summe privater Vermögen auf rund 140 Billionen Dollar geschätzt. Sie teilt sich auf in 44 Billionen Dollar für Aktien, 35 Billionen für private Anleihen, 23 Billionen für Staatsanleihen und 38 Billionen für Einlagen auf Banken. «Dieser riesige und rasch wachsende Berg von finanziellen Assets repräsentiert Versprechen für zukünftige Zahlungen», stellt Wolf fest.
«Obligationen versprechen fixe Zahlungen in regelmässigen Abständen; Aktien versprechen einen Anteil am künftigen Unternehmensgewinn; eine Pension verspricht ein regelmässiges Einkommen für Rentner; eine Lebensversicherung verspricht eine bestimmte Summe an einem bestimmten Datum oder im Todesfall, und eine Kranken- und Unfallversicherung verspricht eine Zahlung beim Eintreffen bestimmter Ereignisse. Je komplexer ein Finanzsystem wird, desto mehr Versprechen werden aufeinander geschichtet.»
Dieses Aufeinanderschichten von Versprechen ist jedoch kein Selbstzweck. Es ist auch mehr als lediglich die Voraussetzung für die moderne Volkswirtschaft. «Ohne solche Versprechen würde die Wirtschaft nur auf Bargeld beruhen», stellt Wolf fest. «Aber die Bereitschaft, diese Versprechen zu kaufen und zu behalten — und ebenso die Möglichkeit, sie wieder zu verkaufen —, hängt vom Vertrauen ab. Anstatt ihr Vermögen in Gold anzulegen oder Banknoten in Matratzen zu verstecken, müssen die Menschen bereit sein, Geld zu tiefen Zinsen für längere Zeit auszuleihen oder es in Unternehmen zu investieren, über die sie kaum direkte Kontrolle haben. Sie müssen bereit sein, ihre Kaufkraft jemandem zu übertragen, von dem sie glauben, dass er sie besser verwalten kann. Letztlich ruhen diese Versprechen nicht nur im Vertrauen in bestimmte Menschen, sondern auch in einem gefestigten und verlässlichen System, das Eigentumsrechte definiert und schützt.»
Beim Verwalten dieser 140-Billionen-Dollar-Vertrauenspyramide spielen die Banken eine zentrale Rolle. Ihre Aufgabe wird immer komplexer und immer wichtiger. Um die Zukunft der Banken muss sich deshalb niemand Sorgen machen, es ist eine Branche mit Zukunft. Und die Schweizer Banken haben sehr gute Voraussetzungen, davon zu profitieren. Sie haben gut geschultes Personal, und sie sind im richtigen Land beheimatet. Als Rechtsstaat und stabile Demokratie hat die Schweiz nach wie vor einen exzellenten Ruf. «Ein verlässliches Regierungssystem ist die Grundlage eines jeden komplexen Finanzsystems», stellt Wolf fest. «Es ist die Basis, auf der die Pyramide der Versprechen letztlich steht.»
Wenn Banken keine Geheimnisse mehr haben
So gesehen braucht die Schweiz in Zukunft eine stabile Demokratie, aber sie braucht kein Bankgeheimnis. Wer ein mythisches Bankgeheimnis zur «raison d'être» der Schweiz stilisiert und deswegen dem Rest der Welt den Fehdehandschuh hinwirft, der wird Held in einem sinnlos gewordenen Wirtschaftskrieg. Schlimmer noch: Er unterhöhlt die Glaubwürdigkeit und den guten Ruf der Schweiz und schwächt ihre Demokratie. Wenn Schweizer Banker über «US-Imperialisten» wettern wie einst verblendete Polit-Agitatoren, dann machen sie sich nicht nur lächerlich, dann werden sie zur Gefahr für den Schweizer Finanzplatz.
Zumal diese Tiraden völlig unnötig sind. So stellt der «Economist» erstaunt fest, dass für die Mehrheit der Kunden von Schweizer Banken das Bankgeheimnis nicht mehr entscheidend ist. Obwohl das Bankgeheimnis zum schlechten Witz wird, hat im ersten Halbjahr 2009 nur eine Schweizer Bank Kundengelder verloren: die UBS. Die anderen können sich gar über einen Zufluss von Neugeldern freuen. «Die Kunden sind aus einer Bank geflohen, nicht aus einem Land», folgert der «Economist». «Das Geld von rund einem Drittel der Offshore Funds in der Schweiz stammt aus Ländern, wo die Reichen ohnehin kaum Steuern zahlen, aus Russland oder aus dem Persischen Golf. Dieses Geld fliesst in die Schweiz wegen ihrer politischen Stabilität und weil die Banken gut funktionieren.» Den Gang ins Réduit des Bankgeheimnisses können wir uns also sparen.
DIE SERIE ZUM BANKGEHEIMNIS
Bisher erschienen:
Teil 1: Die Geburt des Bankgeheimnisses
Teil 4: Deutschland wehrt sich
Wie soll es weitergehen nach dem Bankgeheimnis? Was wird aus dem Finanzplatz Schweiz? Diskutieren Sie mit im TalkBack!

Philipp Löpfe
schreibt für verschiedene Schweizer Zeitungen und Zeitschriften. Der frühere Chefredaktor von «SonntagsBlick» und «Tages-Anzeiger» analysiert und kommentiert aktuelle Themen aus Ökonomie und Politik. Er führt Interviews mit international bekannten Wissenschaftlern, Politikern und Wirtschaftsführern.
20 Minuten Online veröffentlicht in einer Serie Auszüge aus Löpfes neuem Buch «Banken ohne Geheimnisse» (2010). Der Wirtschaftsjournalist zeigt darin, was den Finanzplatz Schweiz gross gemacht hat, wo er heute steht und weshalb die einstigen Erfolgsrezepte nicht mehr greifen.
Im Orell Füssli Verlag bereits erschienen sind: «Der Irrsinn der Reformen» (2005) und «Ich verstehe nur DAX!» (2008).
